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Brennpunkt Schule

 

Herausgegeben von

 

Norbert Grewe

Herbert Scheithauer

Wilfried Schubarth

Sebastian Wachs

Markus Hess

Herbert Scheithauer

Wilfried Schubarth

Mobbing an Schulen

Erkennen – Handeln – Vorbeugen

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-023071-2

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-030041-5

epub:    ISBN 978-3-17-030042-2

mobi:    ISBN 978-3-17-030043-9

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Inhalt

 

 

 

  1. 1 Einleitung
  2. 2 Wie kann man Mobbing erkennen?
  3. 2.1 Begriffsbestimmung
  4. 2.2 Erscheinungs- und Interaktionsformen des Mobbings
  5. 2.3 Was Mobbing nicht ist
  6. 2.4 Verbreitung von Mobbing
  7. 2.5 Erklärungsansätze von Mobbing
  8. 2.6 Folgen von Mobbing
  9. Exkurs I: Cyber-Mobbing
  10. Exkurs II: Lehrer als Opfer oder Täter von Mobbing
  11. 3 Wie kann man gegen Mobbing handeln?
  12. 3.1 Grundhaltung beim Umgang mit Mobbing: Genau hinschauen und schnell handeln
  13. 3.2 Eine Interventionsstrategie gegen Mobbing in zehn Schritten
  14. 3.3 Welches Interventionsprogramm gegen Mobbing passt zu meiner Schule?
  15. 3.4 Konzeptioneller Vergleich der Interventionsprogramme
  16. 3.5 Schulrechtliche Aspekte
  17. 4 Wie kann man Mobbing vorbeugen?
  18. 4.1 Präventionsmodell und Wirkfaktoren
  19. 4.2 Situationsanalyse, Mobbing-Prävention an deutschen Schulen
  20. 4.3 Methoden und Best-Practice-Hinweise für die Prävention von Mobbing
  21. 4.4 Sicherung der Nachhaltigkeit
  22. 4.5 Was sollte man nicht tun? Wirkungslose Maßnahmen
  23. 4.6 Ausgewählte, evaluierte Präventionsprogramme
  24. Literatur
  25. Materialsammlung1
  26. Anhang A: Checklisten und Leitfäden
  27. A-1: Liegt wirklich Mobbing vor?
  28. A-2: Beteiligte Rollen
  29. A-3: Mobbing-Interventions- und Präventions-Checkliste
  30. A-4: Gesprächsleitfaden
  31. Anhang B: Unterrichtsmaterialien
  32. B-1: Ausgewählte Arbeitsblätter, Unterrichtseinheiten und Lehrfilme
  33. B-2: Ausgewählte Romane zum Thema Mobbing
  34. Anhang C: Handlungsempfehlungen, die Lehrer Eltern geben können
  35. C-1: Was können besorgte Eltern tun?
  36. C-2: Wie erkennen Eltern, ob das eigene Kind von Mobbing betroffen ist?
  37. C-3: Was können Eltern von »Opfern« tun?
  38. C-4: Was können Eltern von »Tätern« tun?
  39. C-5: Was können betroffene Schüler tun?
  40. Anhang D: Hilfsangebote für Betroffene
  41. D-1: Telefon-Beratung
  42. D-2: Online-Beratungsangebote
  43. Anhang E: Ausgewählte Fragebögen zur Erfassung von Mobbing in der Schule

 

 

1    Die Materialsammlung können Sie unter folgendem Link kostenfrei herunterladen: URL: http://downloads.kohlhammer.de/?isbn=978-3-17-028747-1 PW: tj2tsabw
Wichtiger urheberrechtlicher Hinweis: Alle zusätzlichen Materialien, die im Download-Bereich zur Verfügung gestellt werden, sind urheberrechtlieh geschützt. Ihre Verwendung ist nur zum persönlichen und nichtgewerblichen Gebrauch erlaubt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

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Einleitung

 

 

 

Mobbing an Schulen ist unbestritten ein sehr altes Phänomen, das vermutlich existiert, seitdem es die Institution Schule gibt. Vergleichsweise neu ist jedoch die wissenschaftliche Erforschung des Phänomens und die damit einhergehende Erkenntnis, dass es sich bei Mobbing nicht um eine »Randerscheinung des Erwachsenwerdens« oder um Konflikte handelt, die selbstständig unter den beteiligten Schülern2 ausgehandelt werden sollten. Viele Menschen leiden noch im Erwachsenenalter unter den Folgen von Mobbing-Erfahrungen, die sie während ihrer Schulzeit erlebt haben. Deshalb wird Mobbing heute viel stärker als Gefahr für das kindliche Wohlbefinden und als Beschneidung elementarer Kinderrechte eingeschätzt. Hierbei spielte nicht zuletzt auch die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention und die damit verbundene Stärkung der Rechte des Kindes als Subjekt und Träger von Grundrechten eine wesentliche Rolle. Daher ist es ein wichtiges Ziel, Schule für alle Beteiligten so zu gestalten, dass Lernen und Lehren in einer angenehmen, anregenden und förderlichen Atmosphäre möglich wird.

Dieses Buch will dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen, indem es Grundlagen der Mobbing-Problematik darstellt und Möglichkeiten der Intervention und Prävention aufzeigt. Es ist in die drei thematischen Bereiche »Erkennen«, »Handeln« und »Vorbeugen« gegliedert und berücksichtigt neueste Erkenntnisse der Mobbing-Forschung. Im ersten Teil »Erkennen« wird ein Überblick über Merkmale und Formen von Mobbing gegeben. So erfährt der Leser z. B., wie man in einer Schulklasse Fälle von Mobbing erkennen und welche Ursachen und Folgen Mobbing haben kann. Der Teil schließt mit zwei Exkursen ab. In dem ersten Exkurs wird eine neue Variante des Mobbings, das sog. Cyber-Mobbing, behandelt, und im zweiten Exkurs wird auf das Phänomen »Lehrer als Opfer und Täter von Mobbing« eingegangen.

Im zweiten Teil des Buches »Handeln« liegt der Schwerpunkt auf dem professionellen Umgang mit Mobbing-Vorfällen und dem konkreten Eingreifen zur Unterbindung. Dementsprechend werden Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, um die jeweils spezifische Situation zu analysieren.

Im dritten Teil des Buches »Vorbeugen« wird ein umfassender Überblick über mögliche Maßnahmen gegeben, die dazu beitragen, Mobbing gar nicht erst auftreten zu lassen und Mobbing entgegenzuwirken. Dabei werden anhand eines internationalen Forschungsüberblicks Empfehlungen zur wirksamen Vorbeugung von Mobbing gegeben, Gründe für eine mögliche Unwirksamkeit von Präventionsmaßnahmen aufgezeigt und schließlich drei in Deutschland erfolgreich umgesetzte Präventionsprogramme detailliert vorgestellt.

Wir wünschen uns, mit diesem Buch einen Beitrag zur intensiveren Auseinandersetzung mit Mobbing in der Schule zu leisten. Darstellungen von Fallbeispielen, Steckbriefen zu Präventions- und Interventionsprogrammen sowie eine Materialsammlung als Download-Material3 (u. a. Checklisten zum Erkennen von Mobbing, Links zu Unterrichtsmaterialien, ein Ratgeber, wie Eltern in die Mobbing-Prävention und -Intervention einbezogen werden können, ein Überblick verschiedener Beratungsmöglichkeiten) sind zusätzliche praxisbezogene Angebote für alle Personen, die mit Kindern und Jugendlichen zum Thema »Mobbing« arbeiten möchten und dadurch ihre Entwicklung zu zivilcouragierten, eigenverantwortlichen und sozial kompetenten jungen Menschen unterstützen können.

Mobbing sollte in demokratischen Institutionen, wie Schulen sie bestenfalls sind, keinen Raum finden. Hierzu ist es notwendig, Kinder, Eltern und Lehrkräfte in die Lage zu versetzen, Mobbing zu erkennen, bei Konfrontation mit Mobbing handeln zu können und im günstigsten Fall Mobbing gar nicht erst entstehen zu lassen – also vorzubeugen.

Bremen, Berlin, Potsdam im Dezember 2015

Fallbeispiele

Fallbeispiel »Finn, ein Mobbing-Opfer«

»Wann hört das endlich wieder auf, warum hassen mich alle? Ich kann einfach nicht mehr!«, sind die verzweifelten Gedanken des 13-jährigen Finn, als er von der Schule nach Hause kommt. Mal wieder ist Finns Tag in der Schule die reinste Qual gewesen. Schon wieder so ein Tag, an dem er nach dem Mittagessen schnell auf sein Zimmer verschwindet und sich ins Bett legt, niemanden sehen möchte, weint und sich fragt, was er falsch gemacht hat.

Finns Leidensweg begann mit einer harmlosen Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und seinem Klassenkameraden Daniel. Ab diesem Moment hatte es Daniel auf ihn abgesehen. Daniel ist im Gegensatz zu Finn sehr beliebt an der Schule. Er gehört zu den besten Fußballspielern der Schule, ist kräftig und gilt als »cool«. Auch bei den Mädchen ist Daniel durchaus beliebt. Finn empfand die Auseinandersetzungen mit Daniel zunächst nicht sonderlich besorgniserregend, weil Daniel dafür bekannt war, sich gerne mal mit anderen zu »duellieren«. Ungewöhnlich war nur, dass die Streitigkeiten nun schon seit Monaten andauerten, mit der Zeit immer heftiger wurden, immer öfter auftraten und sich Daniel nicht wie sonst auch nach einer gewissen Zeit jemanden anderes aussuchte, auf dem er rumhacken konnte. Jetzt reicht schon ein kurzer Blick Finns, und schon fühlt sich Daniel provoziert und fängt an, Finn zu attackieren.

Immer öfter lauert Daniel ihm nun auf, beschimpft ihn als »Schwuchtel« und »Opfer«, schubst ihn und verpasst ihm kleinere Backpfeifen und Tritte. Dabei ist Daniel nie allein, sondern stets in Begleitung seiner Clique, die ihn anfeuert oder auch mal Finn festhält, wenn er versucht, Daniels Schlägen und Tritten auszuweichen. Selbst während des Unterrichts wird Finn drangsaliert. Einmal, als der Sportlehrer kurz die Turnhalle verlassen hatte, schrie Daniel den Jungs zu: »Los, alle auf das Opfer!«. Daraufhin umzingelten Finn gleich fünf Jungs, die ihn abwechselnd mit Bällen abschossen. Einige andere aus der Klasse standen in der zweiten Reihe. Sie jubelten den Ballwerfern zu und schrien die vermutete Richtung, in die Finn springen würde und Daniel und die anderen also die Bälle werfen müssten, um ihn zu treffen. Ein paar Mädchen dagegen äußerten ihren Unmut, was dann dazu führte, dass die Jungen von Finn abließen.

Immer häufiger versucht Finn, der Schule fernzubleiben, denn darin sieht er die einzige Möglichkeit zu entkommen. Durch die vermehrten Fehltage verpasst Finn immer mehr Lernstoff in der Schule. Hinzu kommt, dass ihm das Lernen zu Hause schwerfällt, was sich negativ auf seine Noten auswirkt. Er schläft schlecht in den Nächten und leidet immer häufiger unter Übelkeit und Kopfschmerzen. Und dann sind da noch diese Gefühle von Hilflosigkeit und Verzweiflung.

Für Finn ist allerding eines klar: Weder Eltern noch Lehrkräfte will er um Hilfe bitten. Es ist ihm zu peinlich, dass er sich nicht alleine helfen kann, und ebenso will er nicht als Petze dastehen und damit Gefahr laufen, noch unbeliebter zu werden. Insgeheim redet er sich ein: »Das härtet mich nur ab für später. Irgendwann sucht Daniel sich schon ein neues Opfer.«

Fallbeispiel »Klara, eine Mobbing-Täterin«

»Mir kommt so die Wut, wenn ich Juliane allein sehe, drehe ich durch. Wenn ich mit der fertig bin, dann will keiner mehr was mit ihr zu tun haben.« Das sind die wutentbrannten Gedanken der 16-järigen Klara, als sie mit dem Bus zur Schule fährt. Juliane kam vor einem Jahr neu in Klaras Klasse und freundete sich prompt mit Klara an. Doch die Freundschaft der beiden Mädchen hielt nicht lange, denn Juliane wollte sich nicht an Klaras Spielregeln halten.

Klara ist Anführerin der Party-Clique der Schule. Wer hier dazugehört, hat es geschafft und gilt automatisch als cool. Um zu dieser Clique dazuzugehören, muss man attraktiv sein, top gestylt und Klara gefallen. Denn wer »in« und »out« ist, entscheidet Klara fast allein. Sie weiß zudem sehr genau, wie sie Einfluss nehmen kann, falls es mal zu leichteren Widerständen innerhalb der Party-Clique kommt. Je nachdem wie das Urteil dann ausfällt, darf die Person mit der Clique Zeit verbringen, wird ignoriert oder im schlimmsten Fall fertiggemacht und verunglimpft. Und so bemühen sich einige Mädchen redlich, in Klaras Gunst zu stehen, und übernehmen hin und wieder kleinere »Freundschaftsdienste« – wie Klara es nennt – wie etwa das Spendieren eines Kinobesuchs, kleinere Geschenke, wie mal ein Nagellack oder Lippenstift, oder das Erledigen ihrer Hausarbeiten.

Juliane empfand dies jedoch als nicht richtig und weigerte sich, von Klara auferlegte »Freundschaftsdienste« zu leisten. Juliane nahm zudem immer öfter eine gegensätzliche Position zu Klara ein, wenn es darum ging, was gerade besonders angesagt ist, wer nett ist oder was die Clique am Wochenende machen soll. Klara gefiel es gar nicht, dass Juliane sich nicht »ihrem« System, was sie über die letzten Jahre an der Schule aufgebaut hatte, beugen wollte. Vielmehr bekam Klara immer mehr den Eindruck, dass Juliane ihr ihre Rolle als Anführerin streitig machen wollte. Von ihrer Mutter hatte Klara gelernt, dass es wichtig ist, sich durchsetzen zu können, und man sich über andere hinwegsetzen können muss, wenn man etwas erreichen möchte. Und so entschied Klara eines Tages, die Clique vor die Wahl zu stellen: »Ich habe hier das Sagen. Entweder ihr seid mit mir befreundet oder mit Juliane!«. Keiner aus der Clique wagte es, sich gegen Klara zu stellen. Ein Teil der Clique stand tatsächlich auf Klaras Seite, ein anderer Teil jedoch hatte nur Angst, als nächstes von Klara gemobbt zu werden. Sodann wurde Juliane nicht mehr zu gemeinsamen Shopping-Touren, Geburtstagen, Kinobesuchen oder Übernachtungspartys eingeladen. Keiner aus der Clique redete auch nur noch ein Wort mir ihr, sie ignorierten Juliane zunächst nur. Doch dabei blieb es nicht. Klara erfand fiese Gerüchte über Juliane und warf ihr bei jeder Gelegenheit böse Blicke zu und beleidigte sie. Dadurch ging es Klara aber nicht wirklich besser. Sie fühlte sich trotz ihrer Popularität häufig einsam und alleingelassen. In letzter Zeit empfand sie zudem große Anspannungen und Druck, ihren zweifelhaften Status zu verteidigen.

Einem Lehrer fiel schon länger das angespannte Verhältnis und die wiederholten Auseinandersetzungen zwischen Klara und Juliane auf, doch keiner der Kollegen machte dieselbe Beobachtung, und man entschied zu warten, ob sich das Problem von allein löst. Spätestens nachdem Julianes Eltern eines Tages an der Schule erschienen und die Versetzung Julianes an eine andere Schule erwirkten, war das Problem aus der Sicht vieler Lehrer gelöst. Klara erfuhr keine negativen Konsequenzen durch ihre Eltern, die Lehrer oder Mitschüler. So fühlte sie sich in ihrem Handeln noch mehr bestätigt und sah auch keinen Anlass, ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen. Und so lernte Klara auch nicht, Konflikte friedlich zu lösen.

Fallbeispiele und Stimmen aus der Praxis

Die angeführten Beispiele dienen der Illustration möglicher Mobbing-Situationen an Schulen. Hiermit sollten jedoch keine Stereotypen entwickelt oder reproduziert werden. Grundsätzlich gilt: Mobbing-Opfer oder Mobbing-Täter kann jeder werden, und die genauen Abläufe unterscheiden sich von Fall zu Fall gravierend.

Die Fallbeispiele verdeutlichen jedoch Folgendes: Mobbing ist ein Phänomen, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, Mobbing entsteht in einem sozialen Kontext (u. a. Schulklasse, Schule, Clique), Mobbing-Täter zielen darauf ab, dem Opfer Schaden zuzufügen, Mobbing betrifft sowohl Jungen als auch Mädchen, Mobbing kann stark in der Erscheinungsform variieren (z. B. durch körperliche Attacken, Verunglimpfungen, Isolation), neben Opfern und Tätern spielen noch weitere Akteure eine wichtige Rolle (wie z. B. Eltern, Lehrer und Mitschüler), und Folgen von Mobbing beeinflussen das Leben der Opfer, aber auch das der Täter negativ.

Im weiteren Verlauf des Buches werden wir immer wieder Bezug auf Finn und Klara nehmen. Neben diesen zwei fiktiven Mobbing-Beispielen haben wir, um einen Eindruck darüber zu gewinnen, wie Schulpraktiker (u. a. Lehrkräfte, Beratungslehrer, Schulsozialarbeiter) mit Mobbing in Schulen konfrontiert werden, drei Personen zu ihren Erfahrungen mit Mobbing interviewt.

•   Charlene Krüger ist als Lehrerin an einer Berliner Oberschule tätig und hat bereits Präventionsprogramme zu Mobbing durchgeführt,

•   Hermann Mayer ist pensionierter Lehrer und Beratungsrektor an der Schulberatungsstelle Niederbayern und hat langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Mobbing-Betroffenen und

•   Anton Peters4 ist ein Psychologe, der an Berlinern Schulen in der Schulsozialarbeit tätig ist und an der Umsetzung verschiedener Mobbing-Präventionsprogramme beteiligt ist.

Dabei interessierte uns, wie diese drei Personen die Mobbing-Problematik in ihrem schulischen Umfeld wahrnehmen, welche Eingreifmöglichkeiten und präventiven Handlungsspielräume sie nutzen und was sie vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen anderen empfehlen, wie man Mobbing erkennen, in Mobbing-Situationen eingreifen oder Mobbing vorbeugen kann. Diese Stimmen aus der Praxis werden uns im weiteren Verlauf des Buches immer wieder begegnen.

 

 

2    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir lediglich die männliche Anrede und verzichten auf eine gendergerechte Schreibweise. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beide Geschlechter, wenn nicht ausdrücklich anders formuliert.

3    Sämtliches Download-Material können Sie unter folgendem Link kostenfrei herunterladen: URL: http://downloads.kohlhammer.de/?isbn=978-3-17-028747-1 PW: tj2tsabw

4    Name anonymisiert.

 

 

 

2

Wie kann man Mobbing erkennen?

 

 

 

Bevor wir uns näher damit beschäftigen, wie man in akuten Mobbing-Situationen handeln kann (Images Kap. 3) oder welche Maßnahmen ergriffen werden können, um Mobbing vorzubeugen (Images Kap. 4), wollen wir unsere Aufmerksamkeit zunächst dem Erkennen von Mobbing widmen. Hierzu beschäftigen wir uns in dem folgenden Kapitel mit der Beantwortung folgender Fragen:

•  Was ist Mobbing?

•  Welche Erscheinungsformen kann Mobbing annehmen?

•  Was sind Verhaltensweisen, die Mobbing ähneln, aber davon abzugrenzen sind?

•  Wie verbreitet ist Mobbing?

•  Welche Ursachen kann Mobbing haben?

•  Und welche möglichen Folgen können für Opfer, aber auch für Täter durch Mobbing-Beteiligung entstehen?

2.1        Begriffsbestimmung

Frühe wissenschaftliche Arbeiten zum Mobbing in der Schule gehen unter anderem auf den schwedischen Psychologen Dan Åke Olweus zurück, demzufolge Mobbing vorliegt,

»wenn eine schwächere Person wiederholt und über einen längeren Zeitraum verletzenden Handlungen von einer oder mehreren überlegenen Personen ausgesetzt ist und das Opfer sich nicht aus eigener Kraft gegen die Übergriffe zur Wehr setzen kann.« (1978)

Aus dieser Definition lassen sich drei Bestimmungsmerkmale von Mobbing ableiten:

1.   Wiederholungsaspekt: Mobbing lässt sich an einem spezifischen Verhaltensmuster bei Tätern und Opfer erkennen, das wiederholt und über einen längeren Zeitraum auftritt (Wochen, Monate oder sogar Jahre). Dabei wird unter Berücksichtigung des Wiederholungsgrads und der Zeitspanne der Härtegrad von Mobbing bestimmt. Nach einer »weichen Definition« tritt Mobbing mehrmals pro Monat über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten auf, und nach einer »harten Definition« tritt das Mobbing wöchentlich und häufiger innerhalb der letzten sechs Monate auf.

2.   Verletzungsabsicht: Die Mobbing-Täter initiieren wiederholt verletzende Handlungen gegen ihre Opfer mit der klaren Absicht, ihr Opfer zu schädigen. Dabei sollte Mobbing stets als ein soziales Phänomen verstanden werden, das sich in relativ stabilen sozialen Gruppen (z. B. Schulklassen, Vereinsgruppen, Cliquen) ereignet. Da sich Täter und Opfer häufig gut kennen, ergeben sich für die Täter Möglichkeiten, Wissen über die Schwächen ihrer Opfer, aber auch wertvolle Informationen über soziale Prozesse und Hierarchien innerhalb der Gruppe zu nutzen, um das Opfer zu verletzen. Dementsprechend gehen Mobbing-Täter häufig strategisch und systematisch vor und eher selten spontan und ungezielt.

3.   Machtungleichgewicht: Ein drittes Bestimmungsmerkmal von Mobbing ist ein asymmetrisches Machtverhältnis zu Gunsten der Täter und zu Lasten der Opfer. Der tatsächlich vorhandene oder nur subjektiv empfundene Machtvorteil der Täter kann dabei auf unterschiedlichen Umständen (psychologisch/körperlich/sozial) beruhen. Manche dieser machtbegünstigenden Faktoren sind leicht zu erkennen, wenn sich z. B. ein älterer und körperlich überlegener Täter ein schwächeres und jüngeres Opfer aussucht oder wenn eine Gruppe bestehend aus Tätern und Sympathisanten einem einzelnen Opfer gegenübersteht. Erst beim genaueren Hinsehen lassen sich dagegen psychologische und soziale Eigenschaften erkennen, wenn der Täter z. B. über stärker ausgeprägte Fähigkeiten und Ambitionen zur gezielten und verdeckten Einflussaufnahme auf andere verfügt oder eine höhere Popularität innerhalb der Schulklasse genießt und dadurch sein Opfer ungehindert mobben kann.

Woher stammt der Begriff Mobbing?

Das Wort »Mobbing« stammt etymologisch betrachtet aus dem Altenglischen und lässt sich von dem Substantiv »Mob« (Meute, Horde, kriminelle Bande oder Pöbel) bzw. von dem Verb »to mob« (angreifen, anpöbeln oder schikanieren) aus dem Lateinischen von »mobile vulgus« (aufgewiegelte Volksmenge) ableiten. Der Gebrauch als Fachbegriff geht auf das Buch »Das sogenannte Böse« (1963) des Zoologen und Verhaltensforschers Konrad Lorenz zurück. In seinem Buch beschrieb Lorenz u. a. eine Form von Gruppenaggression unter Tieren, bei der sich unterlegene Tiere eines Rudels bzw. Schwarms zusammenrotten, um einen überlegenen, bedrohlichen Feind abzuwehren (z. B. Gänse gegen einen Fuchs). Der Schularzt Peter-Paul Heinemann nahm den Begriff Mobbing auf, um eine von ihm beobachtete Form von Schülergewalt zu beschreiben, bei der eine Gruppe von Schülern sich zusammentut und immer wieder die gleichen Schüler belästigt und quält (Heinemann 1972).

Neben Heinemann prägten die Arbeiten von Olweus die fachbegriffliche Entwicklung. An der Verwendung des Begriffs Mobbing kritisierte Olweus (1999), dass

•  der Begriff Mobbing zu eng mit Gruppengewalt assoziiert wird und somit die Rolle des Einzelnen durch eine Überbetonung der Gruppe leicht übersehen werden kann;

•  ein Mob eine lose Verbindung aus Menschen darstellt, die spontan und freiwillig entsteht, zwischen deren Mitgliedern nicht zwingend eine soziale Beziehung existiert und die i. d. R. nur über einen relativ kurzen Zeitraum bestehen bleibt. Die Gruppenmerkmale einer Schulklasse, also eine relativ feste soziale Gruppe, in der soziale Beziehungen unter den Mitschülern bestehen und unterschiedliche Schüler stabile Rollen über einen längeren Zeitraum einnehmen, erscheinen dagegen komplett verschieden;

•  das Opfer als eine Person betrachtet werden könnte, der es nicht gelingt, sich in das Gruppengefüge einzuordnen, oder als eine Person, die zu sehr von der Gruppennorm abweicht und – in der Wahrnehmung der Gruppenmitglieder – diese bedroht oder provoziert.

Folglich sprach sich Olweus (1999) dafür aus, anstelle von Mobbing den Begriff »Bullying« zu verwenden, der sich mit »Tyrann« oder »Rabauke« ins Deutsche übersetzen lässt. Obwohl gerade in Fachkreisen Olweus‘ Kritik an der Verwendung des Begriffs Mobbing auf Zustimmung stieß, verbreitete sich in den 1980er und 1990er Jahren – nicht nur im alltäglichen Sprachgebrauch – der Begriff Mobbing in vielen weiteren europäischen Ländern wie auch in Deutschland. Deutsche Ausdrücke wie z. B. piesacken, stänkern, quälen oder dissen (eine Abkürzung für diskreditieren oder diskriminieren) werden zwar häufig synonym für Mobbing verwendet, aus wissenschaftlicher Perspektive jedoch vermögen diese Wörter es nicht vollkommen, den Tatbestand des Mobbings abzubilden, und sollten deshalb nicht sinngleich gebraucht werden. Im deutschen Sprachgebrauch finden sich beide Begriffe – Mobbing und Bullying. Dabei wird in der Wissenschaft5 überwiegend der Begriff Bullying verwendet, wohingegen im alltäglichen Sprachgebrauch der Begriff Mobbing dominiert.

In englischsprachigen Ländern konnte sich der Begriff Mobbing bis heute nicht durchsetzen. In England wird der Begriff Bullying verwendet, in Amerika und Australien zeigt sich dazu noch vereinzelt ein synonymer Gebrauch des Begriffs »peer harassment« (Belästigung durch Gleichaltrige) (Rigby 2007). In anderen Sprachen wird weder der Begriff Mobbing noch Bullying verwendet, sondern ein eigenes Wort gebraucht, um Mobbing zu beschreiben: So sprechen bspw. Österreicher von Sekkieren, Schweizer von Plagen, Niederländer von Pesten, Türken von zorbalik, Koreaner von wang-ta und Japaner von ijime.

Auch wenn wir Autoren dieses Buches den Einwänden Olweus (1999) an der Verwendung des Begriffs Mobbing grundsätzlich zustimmen, so kann zumindest für den Begriffsgebrauch in der deutschen Sprache weitestgehend eine Bedeutungsübereinstimmung mit dem Wort Bullying attestiert werden. Aus diesem Grund bedienen wir uns in diesem Buch dem in Deutschland etablierten Begriff Mobbing anstelle von Bullying.

Grundsätzlich hat es sich in der Forschungsliteratur etabliert, dass drei Gruppen von unmittelbar Beteiligten beim Mobbing unterschieden werden:

1.  Mobbing-Täter sind Personen, die Mobbing initiieren, veranlassen oder ausüben;

2.  Mobbing-Opfer sind Personen, die direkt von auf sie gerichtetem Mobbing betroffen sind;

3.  Schließlich wird als »Mischform« die Gruppe der Täter-Opfer abgegrenzt. Dies sind Personen, die sowohl als Täter als auch als Opfer in Mobbing verwickelt sind (Olweus 1999). Diese Gruppe ist von ihrem Verhalten her besonders auffällig. Sie sind besonders stark von den Folgen betroffen oder üben besonders intensiv Mobbing aus (Olweus 1999; Wachs & Brosowski 2013). Täter-Opfer werden auch manchmal als »provozierende Opfer« bezeichnet, weil sie mit der Verbindung aus ängstlichen und aggressiven Verhaltensmustern häufig zu Spannungen und Irritationen innerhalb der Gruppe beitragen (Olweus 1999). Mitunter kann eine Situation entstehen, in der sich reine Mobbing-Täter als »Retter« der Klasse aufspielen, indem sie dafür sorgen, dass jemand dem provozierenden Opfer Einhalt gebietet.

Obwohl es leicht zu Vermischung unterschiedlicher Rollen kommen kann, wie man an den Tätern-Opfern sieht, bleiben aufgrund komplexer Etikettierungsprozesse Mobbing-Rollen teilweise über mehrere Jahre hinweg stabil. Dies gilt besonders für die Opfer, so dass z. B. für Schüler, die schon in der Grundschule viktimisiert wurden, ein deutlich höheres Risiko besteht, in der weiterführenden Schule wieder in die Opferposition zu geraten (Olweus 1999). Für Interventionsmaßnahmen ist dieser Befund von besonderer Relevanz, weil demnach ein sehr häufig praktizierter Lösungsansatz, nämlich das Opfer in eine andere Klasse oder gar Schule zu versetzen, häufig den gewünschten Effekt verfehlt (Scheithauer & Schultze-Krumbholz 2009).

Tritt Mobbing über einen längeren Zeitraum auf, lassen sich nach Schäfer (2003) drei zentrale Phasen unterscheiden, die dafür ausschlaggebend sind, welche Reaktionen auf das Mobbing sinnvoll erscheinen:

1.   Die Explorationsphase: In dieser Phase greifen die Mobbing-Täter unterschiedliche Schüler an und testen dabei aus, wer ein geeignetes Opfer darstellt. Dabei erscheinen besonders Schüler, die sich nicht wehren können, sich provozieren lassen und nicht von den anderen Mitschülern verteidigt werden, als potenzielle Mobbing-Opfer. In dieser Phase sind präventive Maßnahmen effektiv und können den Mobbing-Prozess stoppen (Images Kap. 4.).

2.   Die Konsolidierungsphase: In dieser Phase attackieren die Mobbing-Täter (häufig mit Unterstützung von Mitschülern) vermehrt ein ausgewähltes Opfer, das zudem sozial degradiert wird. Dabei werden auch die sozialen Normen der Klasse ausgetestet und negativ zu Lasten des Opfers manipuliert. Zu Beginn dieser Phase kann Prävention den Prozess noch beenden, ist jedoch die Phase bereits weiter fortgeschritten, sind intervenierende Maßnahmen notwendig.

3.   Die Manifestationsphase: In dieser Phase haben sich Mobbing-Struktur und -Beteiligung verfestigt. Den Mobbing-Tätern ist es gelungen, die soziale Norm der Klasse so zu manipulieren, dass ihre Attacken auf das Mobbing-Opfer als angemessen und gerechtfertigt betrachtet und von weiteren Mitschülern sogar unterstützt werden. In dieser Phase sind nicht Präventions-, sondern Interventionsmaßnahmen notwendig (Images Kap. 3.).

Was sind mögliche Warnsignale, die auf Mobbing hindeuten können?

In verschiedenen Studien konnten Warnsignale identifiziert werden, die Eltern, Erzieher und Lehrer bei dem frühzeitigen Erkennen von Mobbing behilflich sein können. Hierbei sollte allerdings beachtet werden, dass einige der Warnsignale wiederholt auftreten müssen und es sich dabei häufig um sehr plötzliche Verhaltensänderungen handelt. Neben Mobbing sind auch andere Probleme (Scheidung der Eltern, Tod eines Familienangehörigen, Gewalt in der Familie etc.) mögliche Ursachen für derartige Signale. Es erscheint deshalb ratsam, mögliche Hintergründe in einem persönlichen Gespräch mit der betroffenen Person abzuklären. Tabelle 1 fasst mögliche Warnsignale von Mobbing-Opfern und -Tätern zusammen.

Mobbing-OpferMobbing-Täter

Tab. 1: Potenzielle Warnsignale von Mobbing, die für Lehrer, Eltern und Erzieher erkennbar sind (Scheithauer, Hayer & Petermann 2003, S. 122)

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Die von uns interviewten Schulpraktiker geben zudem noch weitere Hinweise, worauf man achten sollte, wenn man Mobbing in der Schulklasse erkennen möchte. Herr Mayer betont, dass »die frühzeitige Wahrnehmung wichtig ist, denn je weiter der Mobbingprozess fortgeschritten ist, umso schwieriger wird ein effektives Eingreifen«. Weiter sagt er:

»Häufig steht das ›Mobbing-Opfer‹ alleine der Klassengemeinschaft, bzw. einer Täterclique, gegenüber. Es wird beschimpft, gedemütigt, geschnitten, ausgelacht, verprügelt, bestohlen, erpresst oder verleumdet. Das Geschehen betrifft in der Regel die ganze Klasse. Nicht selten laufen Lehrer Gefahr, selbst Teil des Mobbing-Systems zu werden. Erklärungsmuster wie ›Der ist wegen seines seltsamen oder seines auffälligen Verhaltens selbst schuld, dass ihn die anderen ausgrenzen‹ oder ›Der ist auch kein Engel‹ versperren den Pädagogen den Blick darauf, dass das häufig als schwierig erlebte Verhalten der Mobbing-Opfer Resultat der Mobbing-Handlungen ist. Der Mobbing-Täter ist immer im Vorteil, da er sehr häufig nur dann agiert, wenn ihm seine Handlungsweise nicht zum Nachteil werden kann. So demütigen die Täter ihre Opfer sehr häufig, wenn der Lehrer es nicht mitbekommt. Das Mobbing-Opfer hingegen reagiert dann, wenn das ›Fass zum Überlaufen‹ kommt (häufig bei sog. Banalitäten). Das Opfer achtet in dieser Situation nicht darauf, wer sein Verhalten gerade beobachtet. Warnsignale bei Mobbing-Opfern sind neben Traurigkeit, Ängstlichkeit und depressivem Verhalten häufig eine erhöhte Reizbarkeit, Aggressionen und überempfindliche Reaktionen gegenüber Kritik. Diese Vermischung der Verhaltensweisen macht es den Pädagogen oft schwer, Mobbing-Handlungen zu erkennen.«

Herr Mayer weist also darauf hin, dass Mobbing-Opfer ein Verhalten zeigen können, was zu Fehlinterpretationen durch Lehrer führen kann, und Lehrer auffälliges Verhalten genauer hinterfragen sollten. Frau Krüger warnt zudem davor, Probleme kleinzureden »und dadurch Konflikte zu übersehen, die im Laufe der Zeit ausarten und sich zu Mobbing entwickeln können«. Weiter sagt sie, » wenn man die Rollen einzelner Beteiligter beim Mobbing kennt und diese mit bestimmten Verhaltensweisen in einen Zusammenhang bringen kann, lässt sich Mobbing leichter erkennen, und man kann entsprechend darauf reagieren«. Auf die unterschiedlichen Rollen kommen wir noch im Abschnitt »Die Bedeutung der Gruppe im Mobbing-Prozess« in Kapitel 2.5 zu sprechen. Herr Peters machte bei seiner Präventionsarbeit in der Schule die Erfahrung, dass es notwendig ist, »ganz genau auf die Klasse zu schauen, um bestimmte Merkmale zu erkennen, die Mobbing begünstigen können. Neben persönlichen Eigenschaften der Schüler können hier Gruppenmerkmale wie z. B. ein rauer Umgangston, schlechte Stimmung in der Klasse und geringer Klassenzusammenhalt Warnsignale darstellen.«

Zusammenfassung

•  Mobbing (auch Bullying genannt) bezeichnet ein soziales Phänomen, bei dem ein Täter alleine oder in einer Gruppe ein einzelnes unterlegenes Opfer oder eine unterlegene Gruppe wiederholt über einen längeren Zeitraum absichtlich versucht zu schädigen bzw. tatsächlich schädigt.

•  Drei zentrale Merkmale müssen vorliegen, um ein Verhalten als Mobbing bezeichnen zu können: Mobbing tritt wiederholt und über einen längeren Zeitraum auf (Wochen, Monate oder sogar Jahre), dem/den Täter/n geht es darum, das/die Opfer zu schädigen, und der/die Täter ist/sind dem/den Opfer/n psychologisch, körperlich oder sozial überlegen.

•  Opfer- und Täterrollen vermischen sich leicht beim Mobbing, dies wird besonders an der Gruppe der Täter-Opfer deutlich, die einerseits gemobbt werden, aber andererseits auch andere mobben.

•  Beim Mobbing lassen sich häufig drei Phasen unterscheiden: die Testphase, in der ein geeignetes Opfer gesucht wird, die Konsolidierungsphase, in der Attacken gegen das Opfer vermehrt auftreten, und die Manifestationsphase, in der sich die Mobbing-Strukturen verfestigen.

2.2        Erscheinungs- und Interaktionsformen des Mobbings

Grundsätzlich lassen sich beim Mobbing drei Erscheinungsformen unterscheiden (u. a. Wang, Ianotti & Nansel 2009; Schäfer 2007):

1.   Physisches Mobbing: Hierunter fallen alle Handlungen, die darauf abzielen, eine Person körperlich zu verletzen, wie z. B. durch Schlagen, Treten, An-den-Haaren-Ziehen, Kratzen, Beißen, Schubsen etc.

2.   Verbales Mobbing: Diese Form umfasst sämtliche verbalen Attacken wie z. B. verletzende Spitznamen, verbale Drohungen, ironische Kommentare, fiese Anspielungen, Beschimpfungen und Belästigungen.

3.   Relationales Mobbing6: Diese Form beschreibt das Angreifen und Zerstören sozialer Beziehungen, der sozialen Zugehörigkeit und Akzeptanz durch u. a. das bewusste Herausekeln, Ignorieren, Ausschließen aus sozialen Gruppen und von gemeinsamen Aktivitäten, das Manipulieren anderer, um gegen das Opfer vorzugehen, Lästern oder das Verbreiten von Gerüchten über das Opfer.

Neben der Erscheinungsform lässt sich Mobbing anhand der Interaktionsform in direktes und indirektes Mobbing unterteilen. Beim direkten Mobbing werden die Attacken mittels direkter Konfrontation zwischen Täter und Opfer ausgeübt. Beim indirekten Mobbing hingegen versucht der Täter das Opfer zu schädigen, ohne eine persönliche Konfrontation bzw. direkten Kontakt einzugehen (Images Abb. 1). Beim indirekten Mobbing werden Dritte instrumentalisiert oder Gegenstände manipuliert, was gleichzeitig die Gefahr erhöht, dass der eigentliche Täter zunächst unentdeckt bleibt und soziale Unsicherheit auf der Seite des Opfers zunimmt (Grotpeter & Crick 1996).

Images

Abb. 1: Direktes und indirektes Mobbing

Die angewandte Interaktionsform (direkt/indirekt) kann in allen drei Erscheinungsformen des Mobbings (physisch, verbal, relational) variieren. Demensprechend kann physisches Mobbing direkt ausgeübt werden, indem der Täter das Opfer körperlich angreift, aber auch indirekt, indem der Täter zum Beispiel Fallen stellt, wodurch sich das Opfer körperlich verletzen kann (z. B. das Verstecken von Reißzwecken in den Schuhen des Opfers nach dem Schulsport oder das Manipulieren der Fahrradbremse des Opfers). Ebenso kann verbales Mobbing direkt ausgeübt werden, indem der Täter das Opfer direkt mit Beleidigungen attackiert oder indirekt, wenn die verletzenden Worte nicht direkt an das Opfer gerichtet sind. Dieses indirekte Mobbing kann zum Beispiel darin bestehen, dass in der Anwesenheit des Opfers eine negative Bemerkung über das Opfer gegenüber einer dritten Person oder einer Gruppe geäußert wird. Möglich ist auch, dass ironisch gemeinte Komplimente geäußert werden, die also indirekt eine Verletzungsabsicht beinhalten. Schließlich kann auch relationales Mobbing indirekt oder direkt ausgeübt werden. Direkt kann relational gemobbt werden, indem das Opfer direkt aus einer Spiel- und Lerngruppe ausgegrenzt wird, oder indirekt, indem Gerüchte gestreut werden, so dass andere Mitschüler dazu gebracht werden, sich von dem Opfer zu distanzieren und soziale Beziehungen zu dem Opfer aufzugeben. Tabelle 2 zeigt unterschiedliche Erscheinungs- und Interaktionsformen von Mobbing mit Beispielen.

ErscheinungsformInteraktionsform

Tab. 2: