Für Hannah, Teresa, Matthias

und alle anderen Kinder und Jugendlichen,

mit denen wir arbeiten durften und dürfen

Grußwort von Günter Hudasch

Die Zeit ist reif, Achtsamkeit als Basiskompetenz nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche zu begreifen. Dass Achtsamkeit aber darüber hinaus auch bei vielen Störungsbildern in der Psychotherapie ausgesprochen hilfreich sein kann, zeigen Dr. Ursula Geisler und Dr. Jutta Muttenhammer überzeugend und sehr pragmatisch in diesem Buch. Auch wenn die Messung von Achtsamkeitsprozessen gerade bei Kindern und Jugendlichen noch in den Kinderschuhen steckt, schafft doch die Erfahrung großes Vertrauen in die Wirksamkeit. Neben den theoretischen Grundlagen der Achtsamkeit, auch im psychotherapeutischen Kontext bei Kindern und Jugendlichen, sind die pragmatischen Beschreibungen der Übungen und der Einsatz bei verschiedenen Störungsbildern für Kinder und Jugendliche von sechs bis 18 Jahren sehr klar und hilfreich. Die Einbeziehung des Therapeuten und der Eltern in die Betrachtung rundet das Buch ab.

Als MBSR-MBCT Verband e.V. und AKiJu e.V. (Achtsamkeit für Kinder und Jugendliche) begleiten wir die Ausbreitung von Achtsamkeit in der Gesellschaft als Basiskompetenz in der Überzeugung, dass alle Kinder und Jugendlichen in Schule und Ausbildung sie kennenlernen sollten. Wir wissen heute um die Plastizität des Gehirns, also sollten wir dieses Wissen auf eine Weise nutzen, die Kindern und Jugendlichen hilft, zu selbstbewussten, gelassenen und mitfühlenden Erwachsenen heranzuwachsen.

Deshalb freue ich mich, dass nun dieses Fach- und Praxisbuch vorliegt und hoffentlich mit der Fülle der Übungen viele Leserinnen und Leser in der Therapie von Kindern und Jugendlichen in der Praxis unterstützt.

Günter Hudasch
1. Vorsitzender MBSR-MBCT Verband e.V. und AKiJu e.V.

Vorwort von Ulrike Anderssen-Reuster

„Vom Geiste gehen die Dinge aus,
sind geistgeboren, geistgeführt …“

Diese Anfangszeilen aus dem Dhammapada verweisen auf die fundamentale Bedeutung unseres Geistes und dessen Verfassung. Es sind die wechselnden geistigen Zustände, die die jeweilige Wahrnehmung der Welt und von uns selbst beeinflussen und steuern. Der selbstreflexive Blick auf die eigene mentale Verfassung mit wechselnden Erregungen, Stimmungen, Sorgen und Erwartungen ist für eine kluge und verantwortliche Umgangsweise mit den Zumutungen des Lebens unabdingbar. Die Förderung dieses metakognitiven (Selbst-)Bewusstseins ist der Kern und der Zweck der Achtsamkeitspraxis.

In der Psychotherapie Erwachsener wurde seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Achtsamkeitspraxis (mindfulness) mit viel Erfolg in verschiedene Formen der Psychotherapie integriert. Unterschiedliche Therapiemanuale wurden entwickelt, die eine spezifische Anwendung im säkularen Kontext auf eine effektive Weise möglich machen. Es ist unterdessen eine Selbstverständlichkeit in der Psychotherapie, dass das Training von Konzentration, Bewusstheit, Präsenz und Wahrnehmung wichtig ist und gefördert, vermittelt und geübt werden muss.

Was ist aber mit den Kindern?

In unserer rastlosen Gesellschaft sind Hyperaktivitätssyndrome die häufigste psychische Diagnose im Kinder- und Jugendalter. Natürlich sind diese Übererregungssymptome im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen unserer Zeit zu sehen. In einer Gesellschaft, in welcher der „Tun-Modus“ (nach Kabat-Zinn) so dominant ist und der „Seins-Modus“, in welchem nichts erreicht werden muss, so wenig selbstverständlich ist, zeigen viele Kinder schon Stress-Phänomene und stresskorrelierte Erkrankungen. Wenn Leistungsdruck nicht nur in der Schule, sondern auch in der Freizeit und im Elternhaus vorherrscht, hält nicht jedes Kind stand.

Eigentlich wissen Kinder durchaus, wie sie für Ausgleich sorgen können. Sie ziehen sich zurück, träumen, treffen sich mit Freunden und spielen. Durch Computerspiele und soziale Medien werden diese Bedürfnisse aber immer mehr in virtuelle Bahnen gelenkt. Somit finden immer weniger Erfahrungen in der konkreten Natur und mit realen Freunden statt. Dies bleibt nicht ohne Folgen. Bewegung und sinnliche Wahrnehmung, Abenteuer und Grenzerfahrungen, Langeweile und eigene Kreativität haben weniger Raum, da die virtuellen Welten ungeheuer reizvoll sind und zudem oft spannender als das, was einem vielleicht selbst einfällt. Die Folge ist, dass die Erfahrung eigener Vitalität, Selbstwirksamkeit und Kompetenz nicht mehr so selbstverständlich ist und dass das selbst entwickelte Spiel seinen Reiz verliert.

Hier setzt nun die Achtsamkeit für Kinder an.

Wenn man davon ausgeht, dass jedes Kind von Natur aus achtsam ist bzw. sein kann, so ist das Ziel der Achtsamkeitspraxis mit Kindern, diese natürliche Fähigkeit des kindlichen Geistes zu fördern und zu nutzen. Da Achtsamkeit per se unmittelbar, direkt und konkret ist, sind Kinder eigentlich die geborenen Achtsamkeitsexperten. Ihre Offenheit und Neugierde, ihr noch begrenztes Abstraktionsvermögen und die verminderte Tendenz, sich in Konzepten und Vorannahmen zu verstricken, machen die Arbeit für alle Beteiligten spannend, kreativ und heilsam.

Die Autorinnen Ursula Geisler und Jutta Muttenhammer sind erfahrene Psychotherapeutinnen, die zudem über medizinische, psychologische und pädagogische Kompetenzen verfügen. Ursula Geisler hat als Verhaltenstherapeutin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet und in ihrer Praxistätigkeit einen Schwerpunkt auf die Behandlung der ADHS sowie von Traumafolgestörungen gelegt. Jutta Muttenhammer ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, sowohl von Erwachsenen als auch von Kindern, zudem ist sie MBSR-Lehrerin. Beiden Autorinnen ist die Achtsamkeitspraxis ein Herzensanliegen, was man in jeder Zeile des Buches spüren kann.

Den Leser erwartet zunächst eine profunde Einführung in das Konzept der Achtsamkeit. Ein Überblick über den buddhistischen Hintergrund dieses Konzeptes wird vermittelt, bevor differenziert und kenntnisreich der aktuelle wissenschaftliche Stand zu achtsamkeitsbasierten und achtsamkeitsintegrierenden Therapieansätzen dargestellt wird. Schließlich wird der Fokus auf die Integration der Achtsamkeitspraxis in die Kinder- und Jugendpsychotherapie gelegt.

Eine Fülle an Übungen und Spielen wird uns nun vermittelt, die sich zwar an den bewährten Achtsamkeitsübungen des MBSR-Kurses orientieren, aber leichter, spielerischer und vielleicht etwas weniger normiert bzw. pädagogisch imponieren. Zudem werden die Basisübungen wie z.B. die sinnesbezogenen Seh-, Hör-, Riech-, Schmeck- und Tastübungen in eine große Fülle unterschiedlicher Übungen aufgefächert, die die Arbeit somit variantenreicher und interessanter machen. Immer wird dabei aber auf Genauigkeit, Differenziertheit und Authentizität geachtet. Man kann sich vorstellen, dass diese Grundübungen nicht nur in psychotherapeutischen Praxen sinnvoll angewendet werden können, sondern auch in Kindergärten, Grundschulen, in der Jugendhilfe und auch im familiären Kontext.

Bei den Achtsamkeitsübungen für Jugendliche wird es notwendig, mehr zu erklären, um die Jugendlichen ins Boot zu holen. Die Achtsamkeitspraxis – jetzt mit Meditation – wird als Methode vermittelt, um mit Unsicherheiten, Entfremdungserfahrungen, Stimmungsschwankungen, schulischem Druck und psychischen Beeinträchtigungen besser umzugehen. Sie werden sukzessive an eine selbstreflektierende und selbstfürsorgliche Haltung herangeführt, die ein Mehr an Selbstvertrauen und Selbstverantwortung mit sich bringt. Die Autorinnen integrieren in diese Ansätze moderne Techniken wie z. B. Smartphones und Apps, um die Jugendlichen in ihrer Sprache und ihrer Welt zu erreichen.

Schließlich vermitteln die Autorinnen ganz konkret, wie Achtsamkeitsübungen bei verschiedenen psychischen Erkrankungen in bewährte psychotherapeutische Strategien integriert werden können. Sie zeigen zudem, wie die Haltung der Achtsamkeit nicht nur den jungen Patienten helfen kann, sondern auch für deren Eltern und Therapeuten unterstützend sein kann.

Das vorliegende Buch ist ein Schatzkästchen. Nicht nur werden eine Fülle an Methoden und Techniken der Achtsamkeit für Kinder und Jugendliche vermittelt, sondern insbesondere eine Haltung von freundlicher Akzeptanz und spielerischer Offenheit, die Lust macht, das Vermittelte anzuwenden und auszuprobieren. Ich hoffe, dass das Buch viele Leser findet, die erkennen, dass Achtsamkeit Freude macht und nicht nur den Patienten hilft, sondern auch den Therapeuten wohltut und die Arbeit leichter macht.

Ulrike Anderssen-Reuster

Dr. med. Ulrike Anderssen-Reuster ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse und als Chefärztin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Städt. Krankenhaus Dresden-Neustadt (Akademisches Lehrkrankenhaus der Technischen Universität Dresden) tätig. Sie integriert seit vielen Jahren sehr erfolgreich achtsamkeitsbasierte Verfahren in die klinische Arbeit. Darüber hinaus ist sie Lehrerin für MBSR / MBCT (Stressbewältigung durch Achtsamkeit), Autorin zahlreicher Veröffentlichungen sowie Referentin zum Thema Achtsamkeit.

Vorwort von Nils Altner

Mit jedem Kind wird die Hoffnung auf ein gelingendes und erfülltes Leben neu geboren. Doch Entwicklung ist oft auch mit Schatten, Unfällen, Verletzungen und Erkrankungen verbunden. An diesen Herausforderungen können unsere Fähigkeiten wachsen oder wir können daran scheitern. Neben der noch recht jungen Resilienzforschung gehört es zu den unschätzbaren Errungenschaften unserer Kultur, dass wir seit 70 Jahren in Frieden leben und dass wir uns ein Sozial- und Gesundheitssystem geschaffen haben, das für so weite Teile der Bevölkerung Unterstützungen bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen bereitstellt wie nie zuvor. Achtsamkeitsbasierte Therapieangebote gehören seit einigen Jahren auch in Deutschland dazu. Ursula Geisler und Jutta Muttenhammer geben erstmals einen Überblick über solche Angebote für Kinder und Jugendliche und stellen eine Vielzahl von Achtsamkeitsübungen vor.

Das vorliegende Buch lässt sich als Sammlung wertvoller Anregungen für die Erweiterung des therapeutischen Handlungsspektrums lesen. Achtsamkeit ist en vogue, und es gehört mittlerweile fast zum guten Ton, Achtsamkeitsaspekte in die Therapien einzubeziehen. Dabei lässt sich leicht übersehen, dass damit ein Aspekt der therapeutischen Haltung zum Klingen kommen kann, der in die gegenwärtige Kulturentwicklung des Strebens nach immer effizienterem Handeln eine andere Qualität einbringt. Es geht dabei weniger um das Tun, sondern ums Sein. Achtsam-Sein ermöglicht ein Innehalten, ein Atemschöpfen und Zu-sich-Kommen. Die Agenda dabei ist, unsere Agenda für eine Weile sein zu lassen, um im Moment einfach bewusst und wach da zu sein.

Die Autorinnen zeigen Bezüge dieser achtsamen Haltung zur Psychoanalyse sowie zu verhaltenstherapeutischen Ansätzen und Programmen auf. In der seinsbezogenen Haltung der Achtsamkeit eröffnen sich dabei potenzielle Begegnungsräume für Vertreter beider Schulen. Die Orientierung der Aufmerksamkeit auf körperliche Empfindungen und Wahrnehmungen legt weitere Bezüge zu gestalt-, körper- und integrativtherapeutischen Schulen nahe. Es gehört zu den Verdiensten der Achtsamkeitsforschung, dass die Wirkungen und Wirkprinzipien der Achtsamkeitspraxis vor allem stress- und hirnphysiologisch zunehmend gut und plausibel erhellt und dargestellt werden. Im Buch finden sich immer wieder wertvolle Hinweise darauf.

Kleine Kinder sind von Natur aus achtsam im Sinne von gegenwärtig sinnlich präsent. Maria Montessori hat diese Präsenz als „Polarisation der Aufmerksamkeit“ bezeichnet und ins Zentrum ihrer Pädagogik gestellt. Therapeutische Interventionen ermöglichen Kindern und Jugendlichen, in eine gegenwärtige Präsenz einzutreten, in der ihre Aufmerksamkeit ganz von der momentanen sinnlichen Wahrnehmung erfüllt ist. Mit diesem Präsent-Sein im Moment geht eine wohltuende mentale und emotionale Ruhe einher, die heilsam und nährend wirkt. Im therapeutischen Prozess gilt es dann, aus der Wiederholung dieser Erfahrungen heraus, die Klient/inn/en und Patient/inn/en zu befähigen, in ihrem Alltag eigenständig und regelmäßig in diesen Zustand der wachen heilsamen Ruhe einzutreten. Voraussetzung dafür, dass das gelingen kann, ist die Verkörperung dieser Qualitäten durch die Therapeutin oder den Therapeuten. Das eigene Achtsam-Sein bildet die unverzichtbare Basis dafür. In der Selbstfürsorge und der achtsamen Beziehungsgestaltung zu den Klient/inn/en und ihren Eltern wirken diese Qualitäten mindestens so eindrücklich wie durch angeleitete Übungen. Eine Einbeziehung der Eltern in achtsamkeitsbasierte Entwicklungsangebote wie z. B. durch einen MBSR-Kurs wird in vielen Fällen sicherlich der Entwicklung des Kindes sehr zugute kommen. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Teilnahmegebühren bei zertifizierten Anbietern anteilig als Präventionsleistung.

Welche heilsamen Fähigkeiten zum Umgang mit Störungen den Kindern und Jugendlichen aus achtsamkeitsbasierten Therapien erwachsen können, zeigen die Autorinnen in diesem Buch anschaulich und praktisch. Wie wir als Gesellschaft und Menschheit mit unseren großen gemeinsamen Herausforderungen umgehen könnten, wenn Innehalten, Körperwahrnehmen, Atemspüren und ein immer wieder bewusst Dasein alltäglich würden, bleibt herauszufinden. Uns allen viel Freude dabei!

Duisburg, im Sommer 2015
Nils Altner

Dr. phil., Nils Altner, forscht und unterrichtet zu Achtsamkeit, Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung u. a. am Stiftungslehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Universität Duisburg-Essen.
Weitere Informationen erhalten Sie unter http://www.achtsamkeit.com.

Einführung

Was ist das Anliegen dieses Buches? Es will Ihnen als Leserin und Leser einen praxisorientierten Leitfaden dafür bieten, wie Sie das bewährte Repertoire psychotherapeutischer Methoden in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen um achtsamkeitsbasierte Interventionen ergänzen können.

Dass Achtsamkeits-Training bei vielen psychischen Störungen eine heilsame Wirkung hat, gilt mittlerweile als gesichert. So postulieren etwa Husmann und Nass (2015) in einem aktuellen Übersichtsartikel: „Spannungsregulation und Achtsamkeitsförderung sind zentrale psychotherapeutische Kompetenzen“. Beides sind „key skills“, deren hohe salutogene Potenz „in Therapie, Prävention und Rehabilitation überzeugend nachgewiesen ist“ (ebd.).

Als wichtige Effekte von entspannungs- und achtsamkeitsbasierten Verfahren nennen die Autoren die Förderung von

sowie

Die Forschungsaktivität im Bereich der Effekte achtsamkeitsbasierter Verfahren ist hoch, die Ergebnisse hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit sind sehr vielversprechend. Husmann et al. (2015) bilanzieren demgemäß: „Spannungsregulation und Achtsamkeitsförderung sind zentrale und komplexe, bei sehr vielen Indikationsgebieten hochwirksame und empirisch gut erforschte psychotherapeutische Kompetenzen, die sich wechselseitig bedingen und durchdringen.“

Dass dies zutrifft, haben wir als Autorinnen dieses Buches in jahrelanger therapeutischer Praxis selbst feststellen können. Dennoch – viele Fachkolleg/inn/en wenden kaum Interventionen aus dem Bereich der Achtsamkeitsförderung an, wie wir in Qualitätszirkeln, Intervision und bei Fortbildungen immer wieder feststellen. Die Frage von Husmann et al. (2015) scheint also durchaus berechtigt zu sein: „Hohe Bekanntheit, gute Wirksamkeit und trotzdem Schattendasein?“

Damit die therapeutische Anwendung der vielfältigen achtsamkeitsbasierten Interventionen noch einen weiteren Schritt aus diesem Schatten heraustritt, haben wir dieses Buch geschrieben. Es ist schulenübergreifend, ebenso wie wir als Autorinnen-Team (eine Verhaltens- und eine analytische Psychotherapeutin) unsere tägliche Arbeit verstehen.

Um Ihnen als Praktiker/innen eine rasche Orientierung zu ermöglichen, haben wir eine alters- und störungsspezifische Struktur gewählt. Wir sind uns jedoch bewusst, dass diese Gliederung eine artifizielle ist. Die Grenzen sind gerade bei altersbezogenen Angaben fließend und auch die Basis-Übungen der Achtsamkeit (wie etwa der Body-Scan) sind bei vielen Störungsbildern hilfreich. Die in diesem Buch vorgestellten Übungen sind zum einen Teil bekannte und bewährte Interventionen aus vielfältigen, jeweils genannten Quellen, zum anderen Teil wurden sie von den Autorinnen selbst kreiert oder auch modifiziert.

In der Therapie von Erwachsenen haben Achtsamkeitsübungen seit den MBSR-/MBCT-Programmen guten Eingang gefunden, in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ging dieser Prozess langsamer vonstatten. Dass jedoch bereits Kinder ab ca. drei bis fünf Jahren von achtsamkeitsbasierten Interventionen profitieren können, ist bei Hoppe (1995, S. 19 ff.) und Snel (2013, S. 20 ff.) überzeugend begründet und durch zahlreiche heilsame Wirkungen in der therapeutischen Praxis belegt. Auch Hayes und Greco (2011) postulieren: „Akzeptanz und Achtsamkeit für Jugendliche: Die Zeit ist reif“ und beschreiben in ihrem Überblicksartikel den besonderen Nutzen, aber auch die spezifischen Herausforderungen bei der altersgerecht angepassten Anwendung von Achtsamkeitsübungen in der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (ebd. S. 16 ff.).

Zur Arbeitsweise mit diesem Buch

Der theoretische Teil dieses Buches umfasst eine Beschreibung des Konstrukts „Achtsamkeit“ (Kapitel 1) sowie einen Überblick, wie dieses Konzept Eingang in die psychotherapeutische Praxis gefunden hat (Kapitel 2). Schließlich werden die Besonderheiten bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen benannt (Kapitel 3).

Wir empfehlen, diesen Theorieteil vor der Anwendung einzelner Übungen zu lesen.

Im Praxis-Teil werden zunächst allgemein wirksame, unspezifische Achtsamkeitsübungen für Kinder von ca. sechs bis zwölf Jahren vorgestellt (Kapitel 4), danach folgen Übungen für Jugendliche von ca. zwölf bis 18 Jahren (Kapitel 5). Viele dieser Übungen unterscheiden sich kaum von den gängigen Achtsamkeits-Interventionen in der Therapie Erwachsener – der Kern ist derselbe, nur die Instruktion muss altersgerecht gewählt werden. Im darauf Folgenden werden die Achtsamkeitsübungen störungsspezifisch gegliedert. Sie können so gezielt Interventionen zu Angststörungen, Zwangsstörungen, Depressionen, Aufmerksamkeitsstörungen, PTBS, Essstörungen, Borderline-Störungen oder Problemen bei chronischen Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen suchen, was Ihnen den Einsatz in der therapeutischen Praxis hoffentlich erleichtert. Basierend auf den jeweiligen Störungsmodellen werden hierzu jeweils die Ansatzpunkte und spezifischen Wirkfaktoren der Achtsamkeitsübungen beschrieben (Kapitel 6).

Es ist nicht erforderlich, den Praxisteil von Beginn bis zum Schluss durchzuarbeiten, sondern auch das Auswählen einzelner gezielter Übungen ist möglich. Da viele der Übungen bei mehreren Störungsbildern hilfreich sind, können Sie als Therapeut/in die störungsspezifischen Interventionen durch die Übungen für die jeweilige Altersgruppe (Kapitel 4 bzw. 5) ergänzen.

In Kapitel 7 geht es um Ihre Haltung als Therapeutin und Therapeut und die Ressourcen, die sich daraus ergeben. Für Ihren therapeutischen Alltag finden Sie Übungen zur eigenen Stabilisierung.

Das Kapitel 8 gibt Anregungen zur Elternarbeit (mit Übungen) und lädt Sie ein, die Eltern auf den achtsamen Pfad der elterlichen Erziehungsverantwortung zu begleiten.

Im Anhang des Buches findet sich eine Auflistung der Übungen als praktische Orientierungshilfe. Sie können so bequem die passenden Übungen zu den jeweiligen Symptomen und Störungsbildern finden.

Was Sie beachten sollten, wenn Sie mit Achtsamkeitsübungen arbeiten

Generell sollten Achtsamkeitsübungen erst in der Therapie eingesetzt werden, wenn sich Therapeutin und Kind / Jugendlicher bereits vertraut geworden sind. Außerdem soll man das Kind immer „dort abholen, wo es gerade steht“: Manchmal braucht es zuerst ein Bewegungsspiel, damit nicht zu viel motorische Unruhe der Achtsamkeit im Wege steht. Und in manchen Therapiestunden passt vielleicht eine Achtsamkeitsübung gerade nicht, obwohl man sie geplant hatte, da das Kind ganz aktuell mit einem anderen Problem beschäftigt ist.

Wichtig ist immer auch die eigene Befindlichkeit als Therapeut, denn: Die Achtsamkeit des Kindes beginnt mit der Achtsamkeit des Therapeuten. Kinder sind sehr empfänglich dafür und spiegeln oft das wider, was sie spüren. Sind Sie gerade selbst unruhig, unkonzentriert oder reden Sie vielleicht zu schnell, werden Sie auch das Kind kaum zu achtsamer Wahrnehmung führen können. Selbst kleine Zeichen werden vom Kind sofort aufgenommen: Ist die Stimme des Therapeuten ruhig? Sprechen wir klar und in sparsamen Worten? Sprechen auch unsere Augen mit dem Kind? Nehmen wir gerade sowohl uns selbst als auch das Kind achtsam wahr? Bewegen wir uns ohne Hast durch den Raum und sind wir ganz Ohr, wenn das Kind etwas sagt?

Es ist auch darauf zu achten, dass die räumlichen Gegebenheiten passend sind. Ist der Raum hell, gut gelüftet, ausreichend warm? Für manche Übungen sollten für das Kind eine Decke und / oder ein Kissen verfügbar sein. Der Raum sollte so gestaltet sein, dass das Kind sich darin wohlfühlt, sollte nicht zu viele ablenkende Angebote enthalten, aber auch nicht kahl wirken. Günstig ist eine ruhige Umgebung – wenngleich es eine vollständige Ruhe nie geben kann. Für viele Übungen ist es günstig, sie mit dem Klang einer Meditationsglocke oder einer Klangschale einzuleiten. Sehr bald ist dies für Kinder dann ein vertrautes Signal und erleichtert das ruhige Ankommen bei sich selbst. Bei den meisten Übungen empfiehlt sich eine Nachbesprechung, in der das Kind oder der Jugendliche beschreiben kann, wie es / er die Übung empfunden hat. Wenn ein Kind eine bestimmte Übung nicht (mehr) machen möchte, ist dies unbedingt zu akzeptieren, denn der Charakter der Freiwilligkeit ist hier eine conditio sine qua non.

1. Das Konzept „Achtsamkeit“

Seit etwa 20 Jahren erfreut sich das Konzept Achtsamkeit immer größerer Beachtung in Therapie und Forschung. Ursprünglich stammt dieses Konstrukt aus der Lehre des Buddhismus; die Verwendung im psychotherapeutischen Kontext hat es jedoch aus den religiösen und spirituellen Bezügen herausgelöst. Den Buddhisten gilt Achtsamkeit als ein Mittel, um Leid und Begierde zu überwinden, und wird in regelmäßigen meditativen Übungen entwickelt und gepflegt.

In den Lehrreden Buddhas, vor allem im Anapanasati Sutta und im Satipatthana Sutta, sind die Grundlagen der Achtsamkeit beschrieben als

  1. die Achtsamkeit auf den Körper,
  2. die Achtsamkeit auf die Gefühle / Empfindungen,
  3. die Achtsamkeit auf den Geist,
  4. die Achtsamkeit auf alle äußeren und inneren Objekte, die im Moment wahrgenommen werden.

An der Verbreitung des Achtsamkeits-Konzepts im Westen hat der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh (geb. 1926) großen Anteil. Er ist neben dem Dalai-Lama einer der weltweit bekanntesten zeitgenössischen Meister der buddhistischen Lehre und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht (siehe eine Auswahl im Anhang), in denen er seine Gedanken und Konzepte über Achtsamkeit und über einen „engagierten Buddhismus“ darlegt. Er beschreibt Achtsamkeit als die Kunst, in jedem Moment geistig präsent zu sein und somit voll und ganz in der Gegenwart zu leben. Dazu ist ein stetiges aktives Bemühen erforderlich, jeden einzelnen Augenblick in gleichbleibend hoher Wachheit bewusst wahrzunehmen. Besonders herausfordernd ist dabei die Achtsamkeit in Bezug auf die eigenen Emotionen, vor allem, wenn diese aversiv sind, wie Ärger, Traurigkeit oder Angst. Wenn es jedoch gelingt, gefühlsmäßige Reaktionen aller Art in Achtsamkeit zu registrieren und anzunehmen, wird die Fähigkeit zur Selbstregulation wesentlich erhöht. Darüber hinaus können negative Kognitionen oder Reaktionen somit eine heilsame Transformation erfahren. Weil regelmäßige Achtsamkeitsübungen auch ein allmähliches Erfassen der Essenz der Dinge bewirken, ist eine tief greifende Einsicht und damit Haltungsänderung möglich.

Für Thich Nhat Hanh sind sämtliche Alltagsaktivitäten, vor allem regelmäßig wiederholte Routinetätigkeiten wie Telefonieren, Essen, Geschirrspülen etc., gute Gelegenheiten, um Achtsamkeit im Alltag zu üben und nicht nur in einem formalen Akt wie bei einer Sitz- oder Gehmeditation:

„Wir können jede Tätigkeit unseres Lebens in Meditation verwandeln. Wenn Sie Ihre Teetasse aufnehmen, dann können Sie das achtsam tun. […] Sie richten Ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Tee und auf die Tatsache, dass Sie den Tee jetzt trinken. Ihr Geist wandert dabei nicht in die Vergangenheit oder in die Zukunft, sondern er ist ganz und gar auf den Tee konzentriert, den Sie in diesem Moment trinken. Das ist es, was wir achtsames Trinken nennen“ (2013).

Übergreifend hat Thich Nhat Hanh (2013) fünf konkrete Achtsamkeitsrichtlinien formuliert:

Im westlichen Kontext gibt es für Achtsamkeit (bzw. mindfulness) etliche Definitionen; eine häufig verwendete stammt von Kabat-Zinn. Danach ist Achtsamkeit eine Form der Aufmerksamkeit, die

Der Achtsamkeitsbegriff nach Brown und Ryan (2003) fokussiert vorwiegend den Aufmerksamkeitsaspekt in den Komponenten von rezeptiver Aufmerksamkeit und Bewusstheit von momentanen Vorgängen und Empfindungen. Bei Bishop et al. (2004) werden als Komponenten der Achtsamkeit genannt: die Selbstregulation der Aufmerksamkeit (auf das unmittelbare Erleben gerichtet, ohne abzuschweifen) sowie eine Orientierung auf das gegenwärtige Erleben mit Offenheit und Akzeptanz.

Manchen erscheint das Konzept Achtsamkeit nicht trennscharf abgegrenzt von dem Begriff Konzentration. Der Unterschied besteht jedoch eindeutig in der Qualität der Fokussierung: In der Übung der Konzentration richtet man die ganze Aufmerksamkeit auf einen exakt begrenzten Bereich der Wahrnehmung; in der Achtsamkeit hingegen wird der Aufmerksamkeits-Fokus nicht gezielt eingeengt, sondern bewusst weit gestellt, um eine umfassende Offenheit für die gegenwärtige Fülle der Wahrnehmung zu erlangen – im Idealfall eine hellwache Präsenz und Geistesgegenwärtigkeit.

Wenn man die umfangreiche Literatur zur Achtsamkeit zusammenträgt, findet man folgende Qualitäten beschrieben:

Nicht-Werten:

den Augenblick wahrnehmen, ohne kategorisieren oder urteilen

Anfängergeist:

die Dinge wie zum ersten Mal sehen

Nicht-Streben:

nicht auf Ziele oder Ergebnisse gerichtet sein

Vertrauen:

seinen Gefühlen, seinem Körper, sich selbst und dem Leben vertrauen

Geduld:

sich selbst, anderen Menschen und Entwicklungen Geduld entgegenbringen

Akzeptanz:

Empfindungen und Objekte so anerkennen, wie sie gerade im Moment sind.

Loslassen:

nicht anhaften; Gedanken oder Gefühle nicht festhalten wollen

freundliche Zugewandtheit:

liebevolle Güte, Mitgefühl, Vergeben

Sanftmut:

sich selbst, anderen und Objekten weich und freundlich begegnen

Dankbarkeit:

Wertschätzung für den Moment und dessen Wahrnehmung

Offenheit:

Aufgeschlossenheit für das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrung

Nach Siegel (2007) fördert achtsames Gewahrsein die Kohärenz des Geistes und das allgemeine Wohlbefinden, eine effektive Selbstregulation, eine entspannte Leistungsfähigkeit sowie die Fähigkeit, sich selbst und andere zu lieben. Sie ist erlernbar und übbar.

2. Achtsamkeit im psychotherapeutischen Kontext

In nahezu alle psychotherapeutischen Schulen haben Aspekte des Achtsamkeits-Konzepts Eingang gefunden. So postuliert etwa Rogers in der Klientenzentrierten Psychotherapie bedingungsfreie Akzeptanz als grundlegende Therapeutenhaltung; in der Gestalttherapie nach Perls finden sich das „Hier und Jetzt“ und das „Gewahrsein“ als zentrale Elemente.

2.1 Der Stellenwert der Achtsamkeit in verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen

2.1.1 Psychoanalyse und tiefenpsychologische Verfahren

2.1.1.1 Psychoanalyse

In der historischen Entwicklung der Psychoanalyse finden wir die ersten Hinweise auf eine achtsame Haltung des Therapeuten bei Sigmund Freud. In seinen Hinweisen auf die analytischen Behandlungstechniken deutete er auf zwei Gesichtspunkte hin, die wir, in unserem heutigen Verständnis von Achtsamkeit, diesen gleichsetzen können. Zum einen geht es um Achtsamkeit aufseiten des Patienten in der freien Assoziation, dem kritiklosen Selbstbeobachten und aufseiten des Therapeuten in der gleichschwebenden Aufmerksamkeit.

Bei Freuds Formulierung der kritiklosen Selbstbeobachtung handelt es sich um eine nicht wertende Haltung, eine Haltung, die die Widerstandsarbeit in der Psychoanalyse ermöglicht. Im Sinne der Achtsamkeit geht es hier um die Akzeptanz dessen, was gerade von Moment zu Moment auftaucht, also um den Zustand im „Jetzt“. Die Selbstbeobachtung des Patienten ist auf die Einfälle gerichtet, die auftauchen.

Freud hat den Prozess in folgender Weise beschrieben: „Sie werden beobachten, dass Ihnen während Ihrer Erzählung verschiedene Gedanken kommen, welche Sie mit gewissen kritischen Einwendungen zurückweisen möchten. Sie werden versucht sein, sich zu sagen: Dies oder jenes gehört nicht hierher, oder es ist ganz unwichtig, oder es ist unsinnig, man braucht es darum nicht zu sagen. Geben Sie dieser Kritik niemals nach und sagen Sie es trotzdem, ja gerade darum, weil Sie eine Abneigung dagegen verspüren. Den Grund für diese Vorschrift – eigentlich die einzige, die Sie befolgen sollen – werden Sie später erfahren und einsehen lernen. Sagen Sie also alles, was Ihnen durch den Sinn geht. Benehmen Sie sich so wie zum Beispiel ein Reisender, der am Fensterplatz des Eisenbahnwagens sitzt und dem im Inneren Untergebrachten beschreibt, wie sich vor seinen Blicken die Aussicht verändert. Endlich vergessen Sie nie, daran zu denken, dass Sie volle Aufrichtigkeit versprochen haben, und gehen Sie nie über etwas hinweg, weil Ihnen dessen Mitteilung aus irgendeinem Grunde unangenehm ist“ (Freud 1913, S. 453 ff.). Durch die kritiklose Selbstbeobachtung kommt der Patient in eine meditative Haltung, die eine Identifikation mit den Gedanken ausschließt.

Die gleichschwebende Aufmerksamkeit als Achtsamkeit für den Therapeuten drückte Freud wie folgt aus: „Man halte alle bewussten Einwirkungen von seiner Merkfähigkeit fern und überlasse sich völlig seinem ‚unbewussten Gedächtnisse‘, oder rein technisch ausgedrückt: man höre zu und kümmere sich nicht darum, ob man sich etwas merke“ (Michal 2004, S. 377).

Freuds Grundhaltung differenzierte sich durch die Jahrzehnte hindurch weiter aus und wurde durch Analytiker bereichert, die mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen arbeiteten. Die Geschichte der Psychoanalyse ist insofern mit der Geschichte der Kinderanalyse verbunden und von ihr beeinflusst. Wichtige Ideen und Schwerpunkte setzten Winnicott und Bion, beide Vertreter der Objektbeziehungstheorie. Winnicott, selbst Kinderarzt und Psychoanalytiker, postulierte unter anderem in seiner Theorie die Begriffe der „hinreichend guten Mutter“ und das „Holding“, Begriffe, die in unserer Zeit von Psychoanalytikern, die sich mit Buddhismus und Psychoanalyse beschäftigen, wie z. B. Epstein, aufgegriffen wurden. Neben Winnicott hat auch Bion, ein indisch-britischer Psychoanalytiker, die moderne Psychoanalyse mit seinem Denken beeinflusst und mit seinen theoretischen Überlegungen Wege geebnet, die auf ein achtsames Verständnis und eine achtsame Haltung des Therapeuten in der Psychoanalyse hindeuten. In seinem „no memory, no desire, no understanding“ wird dies verdeutlicht. Der Therapeut befindet sich im gleichschwebenden Zustand, ist also ohne Erinnerung, Wunsch und Verständnis. Es geht hier, wie Grabska formuliert, „weder um das, was geschehen ist oder geschehen wird, sondern um das tatsächliche Geschehen“ (Michal 2004, S. 386 ff.).

Was heißt das konkret? Die Therapeutin „verdaut“ die Körperzustände und die undifferenzierten Gefühle des Patienten und bringt sie im Sinne des „Containment“, des „Haltens und Aufbewahrens“, in den Raum der Offenheit und des Nicht-Wissens. Auf nicht-abwehrende Weise verarbeitet sie die Emotionen, die der Patient in ihr auslöst, und wandelt diese dann zusammen mit ihm in aushaltbare Zustände um. Der Patient kommt so in Kontakt mit seinem differenzierten Erleben und wird von diesem nicht überrollt.

In den letzten Jahren haben sich, auch angeregt durch die Pionierarbeit von Kabat-Zinn, weitere namhafte Analytiker mit dem Zusammenhang von Psychoanalyse und Achtsamkeit beschäftigt. Neben Epstein hat sich auch Jeremy D. Safran mit buddhistischem Gedankengut und Psychoanalyse beschäftigt. Achtsamkeit im therapeutischen Kontext versteht er als den Prozess, der die Bewusstheit auf den gegenwärtigen Moment der therapeutischen Beziehungsentfaltung legt. In diesem Prozess, der zu einer De-Automatisierung gewohnter Denk- und Verhaltensmuster führt, nimmt der Therapeut sich an und bewertet nicht. Safran führt hier den Begriff der „therapeutischen Metakommunikation“ ein (vgl. Safran 2010, S. 179 ff.). Für Welwood, einen weiteren amerikanischen Psychotherapeuten der Moderne, ist der Raum des therapeutischen „Anfängergeistes“, der Raum des Nichtwissens, ein offener Raum, „unverstellt, allgegenwärtig, unparteiisch, unermesslich, formlos, rein, stabil, jenseits von Existenz, jenseits von Nichtexistenz und unangreifbar“ (Welwood 2010, S. 114).

Im deutschsprachigen Raum hat der Psychoanalytiker Ralf Zwiebel diese methodische Auseinandersetzung aufgegriffen. Für die neutrale Haltung des Therapeuten, also für die Haltung des Nichtwissens, gebraucht er die Begriffe des „großen“ und „kleinen“ Selbst. Modifiziert ausgedrückt schwebt der Therapeut in der Balance von gleichschwebender Aufmerksamkeit und verstehendem Denken. Es kommt dabei zum spielerischen Oszillieren zwischen Expertengeist und Anfängergeist (vgl. Zwiebel 2013).

Ein weiterer Entwicklungsschritt sind die Arbeiten von Daniel Stern, einem Analytiker und Säuglingsforscher. Er hat mit seinen Konzepten nicht nur die analytischen Betrachtungen bei Erwachsenen beeinflusst, sondern auch die psychodynamische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Bei näherer Betrachtung haben auch seine Überlegungen einen Bezug zu den achtsamkeitsorientierten Ansätzen.

Besonderheiten in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen liegt die Bedeutung auf dem Hier und Jetzt, dem „Gegenwartsmoment“, auf der momentan gelebten Erfahrung, denn Kinder und Jugendliche leben noch nicht so sehr im Vergangenen oder Zukünftigen. Stern bringt das „Jetzt“ mit dem griechischen Begriff „Kairos“ in Verbindung. Dieser ist als der vorübergehende Augenblick zu verstehen, in dem etwas geschieht, während sich die Zeit entfaltet (vgl. Stern 2005, S. 25). Der Gegenwartsmoment an sich ist „die gefühlte Erinnerung des Erlebens, welches sich in einer kurzen Zeitspanne ereignet. Dazu braucht es Gewahrsein … Der Gegenwartsmoment ist eine gelebte Erfahrung und keine verbale Schilderung einer Erfahrung. Der Moment dauert nicht lange, er ist kurz. Die gefühlte Erfahrung des Gegenwartsmomentes ist all das, dessen ich mir jetzt, während ich den Moment lebe, gewahr bin“ (Stern 2005, S. 50 ff.).

Für Sie als Kinder- und Jugendlichentherapeut darf Ihr Anfängergeist stärker ausgeprägt sein, als er es in der Therapie mit Erwachsenen sein müsste; außerdem brauchen Sie ein fundiertes Wissen um die eigene therapeutische innere Haltung der Achtsamkeit. Die Spielsequenzen sind bei Kindern noch ausgeprägter und verlaufen wenig verbal und strukturiert. Von außen, also aus Ihrer Sicht als Therapeut betrachtet, scheinen die Sequenzen dem scheinbar gleichen Ablauf zu folgen, und doch verändern sie sich. Dies bedeutet, die gegenwärtige Erfahrung bewusst und im Sinne des Anfängergeistes wahrzunehmen, ohne diese verändern zu wollen und ohne Anhaftung und Bewertung. Die Haltung drückt Neugier und Offenheit aus, gepaart mit freundlicher Teilnahme und Akzeptanz der Geschehnisse, der Handlungen, so wie sie eben sind (vgl. Anderssen-Reuster 2013, S. 179 ff.).

2.1.1.2 Psychodynamisch imaginative Traumatherapie (PITT)

Die PITT nach Luise Reddemann (2005) ist eine tiefenpsychologisch-psychodynamische Kurzzeitpsychotherapie, die überwiegend im stationären Setting bei der Arbeit mit traumatisierten Patienten eingesetzt wird. Sie setzt bei den Ressourcen der Patienten an und nutzt die gesteuerte Spaltung (Dissoziation) als therapeutisches Instrument. Entsprechend der psychodynamischen Provenienz basiert die PITT auf den Konzepten der Ich-Psychologie sowie der Objektbeziehungstheorie und nutzt das Konzept der Ego States. Die erlebten traumatischen Erfahrungen manifestieren sich in einer Gedächtnisspur. Überwältigende Gefühle werden abgespalten, frühe Beziehungsmuster werden verinnerlicht (Introjektion) und in aktuellen Beziehungen wiedererlebt.

In der PITT geht es vorrangig um das Stärken der Ressourcen, weniger um Deutung und Konfrontation. Der Patient wird angeleitet, sich durch Techniken der Selbstregulation vor negativen Affekten und Affektüberflutung zu schützen. Das Ich wird betrachtet als „inneres Team“ verschiedener Persönlichkeitsanteile, vergleichbar mit dem Konzept der Ego States. Angewendet wird die PITT in der Psychotraumatologie bei Posttraumatischer Belastungsstörung, komplexer Posttraumatischer Belastungsstörung und bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Die Therapie gliedert sich in drei Phasen:

  1. Stabilisierung: Eine innere Stabilisierung der Patienten wird durch die gezielte Spaltung (Dissoziation) von belastenden Gefühlen einerseits und die Entwicklung von inneren „Kraftquellen“ andererseits angeregt. Methodisch eingeführt werden hilfreiche Imaginationen: Belastende Gefühle werden z. B. vorerst in einen imaginierten „inneren Tresor“ gesperrt. Zur Bewältigung plötzlich auftauchender überwältigender Gefühle werden weitere Imaginationen geübt: ein „innerer sicherer Ort“, an den man vor jeder Gefahr sicher ist, ein „innerer Helfer“ (eine Gestalt, die einen beschützt), der „innere Heiler“ und innere Kraftquellen. Ein Achtsamkeitstraining fördert die gelenkte Wahrnehmung von Körperempfindungen im Hier und Jetzt. Der Patient erstellt eine Liste mit den eigenen Fähigkeiten (Ressourcen), später wird ein sogenannter Notfallkoffer (Selbsthilfestrategien) erarbeitet.
  2. Traumabearbeitung: Mit den bekannten Distanzierungstechniken (wie etwa Bildschirm-, Leinwand- oder Hubschrauber-Technik) wird eine behutsame schrittweise Annäherung an die traumatischen Gefühle ermöglicht.
  3. Integration: Die abschließende Phase soll posttraumatisches Wachstum (posttraumatic growth) und Aussöhnung fördern. Eingesetzt werden Techniken wie Imagination, Rituale (z. B. Briefe schreiben und verbrennen), narrative Methoden (erzählen und szenisch spielen), Kunst- und Gestaltungstherapie. Eine Kombination mit anderen Therapieformen ist möglich, etwa mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing).

Die achtsamkeitsbasierten Elemente fokussieren sich in der PITT meist auf Körperempfindungen. So ist die Ebene der Imagination gut geeignet, den Körper in die therapeutische Arbeit mit einzubeziehen, ohne ihn selbst zu berühren, was ja bei Traumata durch zwischenmenschliche Beziehungen oft problematisch ist. Andererseits ist der Körper häufig Teil der Traumatisierung, weshalb es in allen Therapiephasen wesentlich ist, ihn wahrzunehmen, genauso wie Körperbedürfnisse. Die Auswirkungen von Kognitionen und Imaginationen auf den Körper und sein Befinden sind unmittelbar wahrnehmbar und helfen den Patienten, sich bewusst und aktiv auf funktionalere und heilsamere Vorstellungen einzulassen.

In der PITT wird viel Wahrnehmungsarbeit geübt, mit dem Ziel, „ohne zu urteilen“ wahrzunehmen, d.h. rein zu beobachten, ohne Gefühle. Nach Reddemann ist dies eine Art des bewussten und aktiven Dissoziierens bzw. ein dem Mechanismus der Dissoziation verwandtes Handeln. Die aktiv betriebene Distanzierung führt im günstigen Fall dazu, Kontrolle zu erleben, die Angst vor Gefühlsüberflutung zu vermindern und dadurch mehr emotionale Breite und Tiefe tolerieren zu können.

Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie für Kinder und Jugendliche: PITT-KID

Die Prinzipien der PITT wurden von Krüger (2007) für die Behandlung traumatisierter Kinder und Jugendlicher adaptiert. In der sogenannten PITT-KID werden besonders die Entwicklungsphasen des jungen Menschen berücksichtigt und die Betonung liegt auf altersspezifischen Fähigkeiten. Eine systemische Perspektive nutzt zudem die Ressourcen der sozialen Umgebung des Kindes.

2.1.2 Verhaltenstherapeutische Ansätze

Die Verhaltenstherapie hat seit den Arbeiten von Kabat-Zinn die achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Interventionen in ihr Rational aufgenommen. Nach der ersten Welle einer fundamental behavioristischen Verhaltenstherapie in den 1950er- und 1960er-Jahren erfolgte in den 1970er-Jahren die sogenannte Kognitive Wende, verbunden mit einer Öffnung für innere psychische Prozesse. Mit der Integration des Achtsamkeits-Konzepts in den 1990er-Jahren kann man deshalb von der dritten Welle der Verhaltenstherapie sprechen.

Zunächst fand das Achtsamkeitsprinzip Eingang in die Therapie der Depression (Rückfallprophylaxe), der Abhängigkeitserkrankungen sowie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. In den letzten Jahren ist eine zunehmende Anwendung auch in anderen Störungsbildern zu beobachten. In verschiedenen Therapieansätzen kommt dem Achtsamkeitsprinzip eine tragende Rolle zu:

2.1.2.1 Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR)

Dieses von Kabat-Zinn (1990, 2009) entwickelte achtwöchige Gruppenprogramm zur Stressbewältigung ist ein Präventionsprogramm und keine Richtlinientherapie; es enthält folgende Themenbereiche:

Durch tägliche Hausaufgaben (Meditationsübungen, Body-Scan) soll die Integration in den Alltag des Gruppenteilnehmers gefördert werden.

MBSR für Kinder

Von Saltzman und Goldin (2011) wurde eine Anpassung der MBSR für Kinder vorgenommen. Dabei gingen die Autoren folgenden Fragestellungen nach:

Am Kurs können entweder die Kinder allein teilnehmen oder auch die Eltern und Kinder gemeinsam, die Gruppengröße liegt bei 8 bis 30 Teilnehmern. Das Programm umfasst acht Sitzungen von 40 bis 90 Minuten, je nach Gruppengröße. Es beinhaltet festgelegte Übungen wie Body-Scan, Sitzmeditation, Ess- und Geh-Meditation und formlose Übungen wie die Aufmerksamkeit konzentrieren, auf den gegenwärtigen Augenblick achten, Verhaltensoptionen für alltägliche Ereignisse entwickeln.

Zusätzlich zu den wöchentlichen Gruppensitzungen werden die Teilnehmer ermuntert, zu Hause zu üben, um das Gelernte zu vertiefen; dabei unterstützen ein Kursbuch, eine CD und Kontrollbögen. Eine detaillierte Übersicht findet sich bei Saltzman und Goldin (2011, S. 159 ff.).

2.1.2.2 Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT)

Dieses Programm ist ebenfalls keine Richtlinientherapie in Deutschland; es wurde in den 1990er-Jahren von Segal, Williams und Teasdale (2008) als Weiterentwicklung des MBSR-Programmes erarbeitet, mit dem Ziel der Rückfallprophylaxe für depressive Patienten. Es umfasst ebenfalls acht wöchentliche Gruppensitzungen sowie nach ungefähr einem Vierteljahr zwei weitere Sitzungen von je 150 Minuten. Die Inhalte umfassen:

Im Training werden verschiedene achtsamkeitsbezogene Übungen (angelehnt an MBSR) vermittelt, z. B. Body-Scan, Atemmeditation, Achtsamkeitsmeditation, Gehmeditation, Yoga-Übungen. Flankierend werden klassisch kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen durchgeführt, z. B. Psychoedukation zur Depression, Identifizierung von und Umgang mit automatischen Gedanken, Aufbau angenehmer Aktivitäten. Das tägliche Üben als Hausaufgabe (mit CDs und Protokollbögen) ist auch im MBCT ein zentraler Baustein.

Die Wirksamkeit wurde in zwei randomisierten kontrollierten Studien aus den Jahren 2000 (Teasdale et al.) und 2004 (Ma & Teasdale 2004) überprüft: Bei Patienten, die bereits drei oder mehr depressive Episoden erlebt hatten, reduzierte MBCT (im Vergleich zu einer Standardbehandlung) signifikant das Rückfallrisiko. Dieser Effekt beruht wohl darauf, dass passives Grübeln und die rasche Aktivierbarkeit negativer Überzeugungen, also häufige Ursachen für Rezidive, durch die in der MBCT geübte Distanzierung von Bewertungen besser kontrolliert und reguliert werden können. Automatisierte Bewertungsprozesse können damit vermieden werden, der Aufbau funktionaler Kognitionen wird begünstigt.

Mindfulness Based Cognitive Therapy for Children (MBCT-C)