Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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3. Auflage 2020


© 2015 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096


© der Originalausgabe 2013 by Shefali Tsabary, PhD. Published by arrangement with Waterside Productions Inc., Cardiff-by-the-Sea, CA, USA.


Die amerikanische Originalausgabe erschien 2010 bei Namaste Publishing unter dem Titel "The Conscious Parent".


Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.


Übersetzung: Christa Trautner-Suder

Redaktion: Palma Müller-Scherf

Umschlaggestaltung: Melanie Melzer

Umschlagabbildung: iStockphoto


Satz und E-Book: Alexandra Noll, München




ISBN Print 978-3-86882-600-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-788-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-789-9


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Inhaltsverzeichnis
STIMMEN ZUM BUCH
Entdecke dich selbst durch dein Kind
WIDMUNG
Für meinen Mann Oz. Meinen Zauberer.
DANKSAGUNG
Vorwort des Dalai Lama
HINWEIS FÜR ELTERN
KAPITEL 1
Eine ebenso reale Persönlichkeit wie ich
KAPITEL 2
Der spirituelle Hintergrund für die Geburt unserer Kinder
KAPITEL 3
Befreien Sie Ihre Kinder von der Notwendigkeit, Ihre Billigung zu erfahren
KAPITEL 4
Ein Schlag für unser Ego
KAPITEL 5
Werden Sie von Ihrem Kind erzogen?
KAPITEL 6
Das Leben ist weise
KAPITEL 7
Die Herausforderungen einer Lebensphase –
KAPITEL 8
Von der Haupt- zur Nebenrolle
KAPITEL 9
Der Irrsinn des Elternseins
KAPITEL 10
Aus der Ganzheit heraus erziehen, nicht auf der Grundlage der eigenen Verletzungen
KAPITEL 11
Eine Familie, gebaut auf Aktionismus
KAPITEL 12
Das Wunder des Alltäglichen
KAPITEL 13
Weg mit hohen Erwartungen
KAPITEL 14
Schaffen Sie im Leben Ihres Kindes einen bewussten Raum für sich selbst
KAPITEL 15
Verbinden Sie sich durch engagierte Präsenz mit Ihrem Kind
KAPITEL 16
Der richtige Umgang mit Fehlern Ihres Kindes
KAPITEL 17
Die beiden Flügel eines Adlers
NACHWORT
Zum Verständnis unseres geteilten Unbewussten
ANHANG
Fragen, die Sie sich selbst stellen können
Einige wichtige Aussagen aus
Entdecke dich selbst durch dein Kind

STIMMEN ZUM BUCH

Entdecke dich selbst durch dein Kind

Shefali Tsabarys außerordentlich wertvolles Buch zeigt, wie die Herausforderungen der Kindererziehung zu einer großartigen Möglichkeit werden können, spirituell aufzuwachen. Das größte Geschenk, das Sie Ihrem Kind machen können, ist, eine bewusste Mutter, ein bewusster Vater zu werden.

Eckhart Tolle, Autor von Jetzt! Die Kraft der Gegenwart und Eine neue Erde

Entdecke dich selbst durch dein Kind ist ein wunderbarer Beitrag zu der tiefer gehenden Frage, was gute Erziehung bedeutet. Wesentlich dabei ist, Körper, Geist und Seele in einem neuen erzieherischen Paradigma zusammenzubringen. Entdecke dich selbst durch dein Kind hilft uns, dieses Ziel zu erreichen.

Marianne Williamson, Autorin von Rückkehr zur Liebe und Lebensmitte – Zeit für Wunder

Entdecke dich selbst durch dein Kind zeigt, wie Kinder uns zur Entdeckung unseres eigenen wahren Selbst führen können. Ein schöner und praxisnaher Führer, Kinder so zu erziehen, dass sie ein authentisches, bewusstes und erfülltes Leben führen können.

Marci Shimoff, New York Times-Bestsellerautorin von Glücklich ohne Grund und Hühnersuppe für die Seele

Entdecke dich selbst durch dein Kind zeigt auf spirituelle Weise, wie für Körper und Seele eines Kindes gut gesorgt werden kann. Dieses Buch ist praxisnah und voller Liebe und Hoffnung für Eltern wie für Kinder.

Michael Gurian, New York Times-Bestsellerautor von The Wonder of Boys und The Wonder of Girls

Dr. Tsabarys liebenswürdiges, nachdenkliches und schön geschriebenes Buch behandelt den wunderbaren Gedanken einer Eltern-Kind-Zweierbeziehung, die von gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Liebe getragen wird. Die Leser werden mit Sicherheit von der wesentlichen Botschaft profitieren, der Botschaft über die tiefe Bedeutung, Kinder mit großer Offenheit, mit Respekt und Empathie zu behandeln. Wie Dr. Tsabary schreibt und wie Joni Mitchell einmal gesungen hat: »Beim Zuhören wird sehr viel gesagt.« Hier finden sich großartige Lektionen für Eltern und künftige Eltern.

Barry Farber, Ph.D., Professor für Psychologie und Erziehung, Direktor für Klinisches Training, Teachers College, Columbia University

Rücken Sie mal beiseite, Dr. Spock! Dieses Buch brauchen alle Eltern, um ausgeglichene, verantwortliche Kinder zu erziehen. Die Überraschung dabei dürfte sein, dass die bevorstehende Arbeit, um dieses Ziel zu erreichen, bei den Eltern selbst liegt. Schauen Sie sich jede Wahrheit in diesem wunderbaren Buch an und genießen Sie es, Eltern zu sein.

Laura Berman Fortgang, Autorin von The Little Book on Meaning und The Prosperity Plan

Entdecke dich selbst durch dein Kind führt den Leser in eine Reihe von Grundsätzen ein, die, wenn sie befolgt werden – und, was vielleicht am wichtigsten ist, im empfohlenen Sinn angewendet werden –, Eltern und Kinder dabei unterstützen, Beziehungen aufzubauen, die sich auf geteilte Verantwortung und tief gehende Kommunikation konzentrieren.

Eva Leveton, Autorin von Adolescent Crisis

Dies ist kein weiteres von hundert Erziehungsbüchern, das verschiedene Verhaltensstrategien anbietet. Wenn Sie Mutter, Vater oder Erziehungsberater sind und bereits zahlreiche Methoden zur schnellen Problemlösung ausprobiert haben, werden Sie wissen, dass diese nicht funktionieren. Entdecke dich selbst durch dein Kind bietet eine übersichtliche und klare Erklärung, warum sie nicht funktionieren: Sie stammen nämlich aus derselben Quelle wie die Probleme selbst – dem Unbewusstem. Wie man in Entdecke dich selbst durch dein Kind erfährt, ist bewusste Elternschaft nichts für Zaghafte, denn es verlangt das beherzte Freilegen der Wurzeln unserer eigenen emotionalen Wunden, um die Beziehung zu unseren Kindern in die Gefilde des Heiligen zu heben, wo unsere Kinder unsere spirituellen Partner, ja sogar Führer sind, die uns zu unserer eigenen spirituellen Verwandlung leiten. Nur wenn wir uns unerschrocken dem Unbekannten öffnen, um uns selbst zu verwandeln und zu entwickeln, können wir unsere Kinder ganzheitlich und gesund aufziehen. Wer könnte der nachdrücklichen Aussage von Entdecke dich selbst durch dein Kind widersprechen, dass unsere Kinder Eltern verdienen, die bewusst und klar leben? Dies ist eine Erziehungs-»Bibel« für alle Eltern von heute, die sich der Erziehung der Kinder von morgen widmen.

Lana Rados, M.A., RCC (Registrierte klinische Beraterin), Einzel- und Familienberaterin, www.lanarados.com

Dies ist genau die »Betriebsanleitung« für Eltern, die wir uns immer gleichzeitig mit unseren Kindern gewünscht hätten.

Will Hale, Musikalischer Familienunterhalter

Ein Geschenk unserer Kinder ist, dass die Anweisungen dafür, wie wir sie am besten aufziehen, mit ihnen zusammen eintreffen. Dr. Shefali Tsabary hat mit Entdecke dich selbst durch dein Kind eine Anleitung geschaffen, die uns hilft, diese Anweisungen zu finden.

Roni Beth Tower, Ph.D., Klinischer Psychologe

Nur wenige von uns beginnen die heilige Reise der Elternschaft mit den für einen Erfolg notwendigen Hilfsmitteln. Stattdessen verlassen wir uns auf die fehlgeleiteten Strategien, mit denen unsere Eltern uns aufgezogen haben, und empfinden unvermeidlich eine tiefe Ambivalenz gegenüber unseren Kindern. Entdecke dich selbst durch dein Kind bietet einen detaillierten Wegweiser durch das komplexe emotionale und spirituelle Terrain, auf dem wir uns auf dieser inneren wie äußeren Reise bewegen. In den 33 Jahren, die ich als Mutter und Ehe- und Kindertherapeutin tätig bin, habe ich kein fundierteres Buch über Erziehung gefunden.

Estelle Frankel, Psychotherapeutin und Autorin von Sacred Therapy: Jewish Spiritual Teachings on Emotional Healing & Inner Wholeness

Was für eine einfache und großartige Prämisse – wie befreiend ist doch für Eltern das Gefühl, dass sie ihre Kinder wirklich gehen lassen und einfach »sein« lassen können. Es ist lustig – zunächst erinnert es mich daran, wie traditionelle indianische Eltern beobachten, welche Hand ihr Baby überwiegend benutzt. Sie nehmen ihrem Kleinkind tatsächlich Gegenstände aus der linken Hand und geben sie ihm in die rechte Hand, weil sie Linkshändigkeit damit gleichsetzen, seltsam zu sein und von der Norm abzuweichen. Sie müssen eindeutig dieses Buch lesen!

Adrienne Longworth, Drittklasslehrerin im indo-kanadischen Schulsystem

WIDMUNG

Für meinen Mann Oz. Meinen Zauberer.

DANKSAGUNG

An Constance Kellough — für ihre Vision von diesem Buch und ihre liebevolle Geburtshilfe, unerschütterliche Überzeugung und bedingungslose Unterstützung. Meine tiefste Wertschätzung.

David Robert Ord — für deine Genialität. Du bist ein unvergleichlicher Verleger. Meine Dankbarkeit lässt sich mit Worten nicht ausdrücken.

Die vielen Patienten, mit denen ich über Jahre gearbeitet habe – danke, dass ich in euer Leben eintreten durfte.

Meine Freunde und meine Familie — dafür, dass ihr immer da gewesen seid. Ihr wisst, wer ihr für mich seid und was ihr mir bedeutet: meine Welt.

Meinen Mann Oz und meine Tochter Maia — Worte werden meine Gefühle nie erfassen können. Nichts, was ich tue oder bin, existiert getrennt von eurer Anwesenheit.

Danke.

Vorwort des Dalai Lama

Dr. Shefali Tsabary beschreibt in diesem Buch die Bedeutung des Mitgefühls in einfachen, gut verständlichen Worten und zeigt, wie wir lernen können, dieses anhand unserer Beziehung zu unseren Kindern zu entwickeln.

Obgleich ich bereits alt bin, erinnere ich mich noch gut an die instinktive und selbstlose Zuneigung meiner Mutter. Wenn ich heute daran denke, erfüllt es mich noch immer mit einem Gefühl von Frieden und innerer Ruhe. Eine der Herausforderungen unserer modernen Welt ist, wie wir für diese Art des selbstlosen Gebens zeitlebens Wertschätzung beibehalten können. Wenn wir erwachsen werden, neigt unsere irregeleitete Intelligenz dazu, uns kurzsichtig werden zu lassen, sodass Angst, Aggression, Eifersucht, Wut und Frustration aufkommen können, wodurch unser Potenzial eingeschränkt wird.

Wenn wir geboren werden, haben wir vielleicht noch nicht die klare Vorstellung »das ist meine Mutter«, aber wir haben aufgrund unserer biologischen Grundbedürfnisse eine unwillkürliche Verbindung zu ihr. Seitens unserer Mutter besteht ebenfalls der gewaltige Drang, sich um die körperlichen Bedürfnisse ihres Kindes zu kümmern, es zu trösten und zu füttern. Das hat nichts mit abstrakten Wertvorstellungen zu tun, sondern entspringt völlig unserer Biologie.

Nach meiner eigenen begrenzten Erfahrung sind die Quelle allen Glücks Liebe und Mitgefühl, ein Gefühl von Freundlichkeit und Warmherzigkeit anderen gegenüber. Wenn wir anderen gegenüber freundlich und vertrauensvoll sein können, werden wir ruhiger und entspannter. Wir verlieren das Gefühl von Angst und Argwohn, das wir in Bezug auf andere häufig empfinden, entweder, weil wir sie nicht gut genug kennen, oder weil wir das Gefühl haben, dass sie uns irgendwie bedrohen oder mit uns konkurrieren. Wenn wir ruhig und entspannt sind, können wir von unseren geistigen Fähigkeiten, klar zu denken, richtig Gebrauch machen, sodass uns alles, was wir tun, ob wir nun lernen oder arbeiten, besser gelingt.

Jeder Mensch reagiert positiv auf Freundlichkeit. Für jede Mutter, jeden Vater ist das offensichtlich. Einer der Gründe für die enge Bindung zwischen Kindern und Eltern ist die natürliche Freundlichkeit, die zwischen ihnen besteht. Von dem Augenblick der Zeugung bis zu dem Moment, ab dem wir für uns selbst sorgen können, erfahren wir von vielen verschiedenen Menschen große Freundlichkeit, ohne die wir nicht überleben könnten. Wenn wir darüber nachdenken und auch darüber, dass wir alle einfach nur Menschen sind, egal ob reich oder arm, gebildet oder ungebildet, egal, welcher Nation, Religion und Kultur wir angehören, kann uns dies dazu anregen, die Freundlichkeit, die wir erfahren haben, zurückzugeben, indem wir zu anderen freundlich sind.

HINWEIS FÜR ELTERN

Die perfekte Erziehung ist eine Illusion. Es gibt keine idealen Eltern und kein ideales Kind.

Entdecke dich selbst durch dein Kind betont die Herausforderungen, die natürlicherweise zur Kindererziehung dazugehören, jedoch mit vollem Verständnis dafür, dass jeder von uns in seiner Elternrolle versucht, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das Beste zu geben.

Dieses Buch möchte beleuchten, wie wir die emotionalen und spirituellen Lektionen innerhalb des Erziehungsprozesses erkennen und einsetzen können, um sie für unsere eigene Entwicklung zu nutzen, was wiederum eine erfolgreichere Erziehung zur Folge haben wird. Zu diesem Ansatz gehört auch, dass wir uns für die Möglichkeit öffnen, dass unsere Unzulänglichkeiten tatsächlich vielleicht unsere wertvollsten Hilfsmittel darstellen, um eine Änderung herbeizuführen.

Beim Lesen dieses Buches mag es Momente geben, in denen der Inhalt unangenehme Gefühle aufwühlt. Ich fordere jeden, der solche Empfindungen erlebt, dazu auf, diese Energie einfach zur Kenntnis zu nehmen. Legen Sie beim Lesen eine Pause ein und lassen Sie die aufkommenden Gefühle zu. Dabei werden Sie möglicherweise feststellen, dass Sie diese Empfindungen ganz spontan verarbeiten. Plötzlich ergibt das Gesagte mehr Sinn.

Entdecke dich selbst durch dein Kind ist für jeden geschrieben, der mit einem Kind jeglichen Alters zu tun hat. Ob Sie alleinerziehend, ein junger Erwachsener mit Kinderwunsch oder mit neu gegründeter Familie, Mutter oder Vater eines Teenagers, Oma oder Opa sind oder beruflich in der Kinderbetreuung tätig sind: Wenn Sie die allgemeinen Prinzipien beachten, die in diesem Buch dargelegt werden, kann dies Sie selbst und Ihr Kind verwandeln.

Wenn Sie alleine und ohne viel Hilfe mit dem Aufziehen eines Kindes kämpfen, kann Entdecke dich selbst durch dein Kind Ihre Last möglicherweise leichter machen. Wenn Sie Vollzeitmutter oder -vater sind, kann Entdecke dich selbst durch dein Kind Ihre Erfahrungen bereichern. Eltern, die jemanden für die Betreuung ihrer Kinder beschäftigen wollen, werden es vielleicht hilfreich finden, jemanden auszusuchen, der sich den Prinzipien, die in diesem Buch dargelegt werden, verpflichtet fühlt, insbesondere dann, wenn ihr Kind jünger als sechs Jahre ist.

Immer wieder sehe ich voller Demut, welche großartigen Möglichkeiten die Erziehung eines Kindes uns bietet, unsere alte Haut abzuwerfen, überholte Muster aufzugeben, neue Wege des Seins zu beschreiten und uns zu einem bewussteren Elternteil zu entwickeln.

Namaste,

Shefali

KAPITEL 1

Eine ebenso reale Persönlichkeit wie ich

Eines Morgens schüttelte meine Tochter mich sehr aufgeregt wach. »Die Fee hat ein tolles Geschenk für dich dagelassen,« flüsterte sie. »Schau, was die Zahnfee für dich dagelassen hat!«

Ich langte unter das Kissen und fand einen Ein-Dollar-Schein, der genau in der Mitte durchgerissen war. Da sagte meine Tochter: »Die Fee hat einen halben Dollar für dich dagelassen, und die andere Hälfte ist unter Papas Kissen.«

Ich war sprachlos.

Gleichzeitig befand ich mich in einem Dilemma. Mir fielen all diese Botschaften ein wie »Geld wächst nicht auf Bäumen« und wie wichtig es für meine Tochter war, den Wert von Geld zu lernen. Sollte ich die Gelegenheit nutzen, um ihr etwas darüber beizubringen, kein Geld zu vergeuden, und ihr erklären, dass ein zerrissener Geldschein wertlos war? Mir war klar, dass dies ein Augenblick war, in dem meine Antwort den Geist meines Kindes formen oder brechen konnte. Zum Glück verschob ich die Lektion und sagte ihr, wie stolz ich auf ihre Bereitschaft war, mit ihrem einzigen Dollarschein so großzügig umzugehen. Als ich der Fee für ihre Großherzigkeit dankte und für ihr ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, sowohl Papa als auch mir gleich viel davon zu geben, antworteten die Augen meiner Tochter mit einem hellen Strahlen, das ausgereicht hätte, das Schlafzimmer zu beleuchten.

Sie erziehen ein eigenständiges Wesen

Elternschaft bietet viele Gelegenheiten, in denen unser Verstand und unser Herz im Widerstreit miteinander stehen, was das Aufziehen eines Kindes zu einer Art Drahtseilakt macht. Eine einzige falsche Antwort kann den Geist eines Kindes verkümmern lassen, während der richtige Kommentar ein Kind beflügelt. Wir können jederzeit wählen zwischen aufbauen und zerbrechen, fördern oder blockieren.

Solange unsere Kinder einfach sie selbst sein dürfen, machen sie sich keine Sorgen über Dinge, von denen wir Eltern oft wie besessen sind. Wie etwas auf andere Menschen wirkt, Leistungen, Vorwärtskommen – keines dieser Themen, die uns Erwachsene beschäftigen, steht bei Kindern auf dem Programm. Anstatt der Welt voller Angst zu begegnen, neigen Kinder dazu, sich kopfüber in die Erfahrungen des Lebens zu stürzen und alles zu riskieren.

An dem Morgen, als die Fee mich im Schlafzimmer besuchte, dachte meine Tochter weder über den Wert des Geldes nach noch über die selbstbezogene Frage, ob es mich wohl beeindrucken würde, dass sie ihren Dollar geteilt hatte. Sie machte sich auch keine Gedanken darüber, ob sie mich vielleicht zu früh wecken würde. Sie war ganz einfach kreativ und sie selbst, drückte voller Freude ihre Großzügigkeit aus und war entzückt, dass ihre Eltern entdecken konnten, dass die Fee sie zur Abwechslung einmal besucht hatte.

Als Mutter sehe ich mich wiederholt Gelegenheiten gegenüber, wo ich auf meine Tochter reagieren kann wie auf eine gleichwertige Persönlichkeit, mit allen Gefühlen, wie ich sie empfinde – derselben Sehnsucht, Hoffnung, Aufregung, Vorstellungskraft, mit Einfallsreichtum und der Fähigkeit, zu staunen und Freude zu empfinden. Wie viele Eltern neige ich jedoch dazu, so sehr mit meinem Tagesprogramm beschäftigt zu sein, dass ich diese Momente häufig verpasse. Ich bin so darauf konditioniert, zu predigen, und dahingehend orientiert, belehrend zu sein, dass ich häufig unempfänglich bin für die wundersame Art, in der mein Kind seine Einzigartigkeit offenbart und uns zeigt, dass es ein einmaliges Wesen und mit niemandem zu vergleichen ist.

Beim Erziehen ist es überaus wichtig, sich klar zu sein, dass Sie kein »Mini-Ich« aufziehen, sondern einen eigenständigen Geist. Daher ist es bedeutend, dass Sie unterscheiden zwischen der Person, die Sie selbst sind, und der Person Ihres Kindes. Kinder gehören uns nicht, wir besitzen sie nicht. Sobald wir dies aus tiefster Seele empfinden, passen wir unsere Erziehung an ihre Bedürfnisse an, anstatt sie so zu formen, dass sie unseren Bedürfnissen entsprechen.

Anstatt uns auf die individuellen Bedürfnisse unserer Kinder einzulassen, projizieren wir gerne unsere eigenen Gedanken und Erwartungen auf sie. Selbst wenn wir die besten Absichten haben, unsere Kinder dazu zu ermutigen, sich selbst treu zu sein, tappen die meisten von uns, ohne es zu wollen, in die Falle, ihnen unsere Absichten aufzudrängen. Folglich lässt die Eltern-Kind-Beziehung die Seele eines Kindes häufig abstumpfen, anstatt sie zu beleben. Das ist eine wichtige Ursache dafür, dass viele unserer Kinder gestört aufwachsen und Dysfunktionen entwickeln.

Zu Beginn unserer Elternschaft machen wir uns alle mit bestimmten Vorstellungen auf den Weg. Der überwiegende Teil davon ist reine Fantasie. Wir halten an Glaubenssätzen, Werten und Vermutungen fest, die wir nie überprüft haben. Viele von uns sehen nicht einmal einen Grund dafür, unsere spezifischen Vorstellungen zu hinterfragen, weil wir glauben, im Recht zu sein und dass es deshalb nichts zu überdenken gibt. Unsere nicht reflektierte Weltsicht bildet die Grundlage unserer unwissentlich strikten Erwartungen davon, wie unsere Kinder sich auszudrücken haben. Uns ist nicht klar, dass wir die Seelen unserer Sprösslinge einengen, indem wir ihnen unsere Ansichten aufdrängen.

Sind wir selbst beispielsweise super erfolgreich in dem, was wir tun, erwarten wir von unseren Kindern wahrscheinlich, dass sie ebenfalls super erfolgreich sind. Wenn wir künstlerisch tätig sind, versuchen wir vielleicht, unsere Kinder ebenfalls in eine künstlerische Richtung zu drängen. Wenn wir in der Schule ein Genie waren, neigen wir dazu, unsere Kinder ebenfalls zu brillanten Leistungen anzuspornen. Wenn es uns in der Schule nicht gut erging und wir folglich im Leben zu kämpfen hatten, leben wir vielleicht in der Sorge, dass es unseren Kindern ähnlich ergehen wird wie uns, was uns dazu veranlasst, alles in unserer Macht Stehende zu tun, diese Möglichkeit auszuschließen.

Wir wünschen uns für unsere Kinder, was wir für das Beste halten, aber bei dem Versuch, dies zu erreichen, können wir leicht vergessen, dass das Wichtigste das Recht unseres Kindes ist, eine eigenständige Person zu sein, die ihr eigenes Leben in Einklang mit ihrer einmaligen Seele führt.

Kinder leben in einer bejahenden Welt, nicht in einer verneinenden. Sie kommen zu uns mit ihrem vor Potenzial übersprudelnden Sein. Jedes unserer Kinder hat seine eigene, besondere Bestimmung auszuleben – sein eigenes Karma, wenn Sie so wollen. Da Kinder einen Lebensentwurf in sich tragen, haben sie häufig bereits eine Ahnung von der Person, die sie sind, und davon, was sie in dieser Welt werden möchten. Wir werden als ihre Eltern ausgewählt, um ihnen dabei zu helfen, diesen Entwurf zu verwirklichen. Das Problem dabei ist: Wenn wir nicht sehr genau auf sie achtgeben, berauben wir sie ihres Rechts, ihre Bestimmung auszuleben. Wir drängen ihnen schließlich unsere eigene Vorstellung von ihnen auf und schreiben ihre spirituelle Bestimmung nach unserer Lust und Laune um.

Kein Wunder also, dass es uns nicht gelingt, uns auf das Wesen unserer Kinder richtig einzustellen. Wie können wir ihnen zuhören, wenn so viele von uns kaum sich selbst zuhören? Wie können wir ihre Seele spüren und ihren Herzschlag hören, wenn uns dies nicht einmal in unserem eigenen Leben gelingt? Ist es verwunderlich, dass so viele Kinder richtungslos, emotional distanziert und entmutigt aufwachsen, weil wir als Eltern unseren inneren Kompass verloren haben? Durch den verlorenen Kontakt zu unserer inneren Welt lähmen wir unsere Fähigkeit, von unserem inneren Wesen ausgehend so zu erziehen, wie es bewusste Elternschaft verlangt.

Gleichwohl möchte ich in diesem Buch Eltern, die einfach nur versuchen zu überleben, insbesondere Eltern von Teenagern, einen Rettungsring zuwerfen. Aus meiner Erfahrung mit vielen Teenagern bin ich davon überzeugt, dass es, wenn Sie einen Teenager haben und darum gekämpft haben, die Verbindung zu ihm nicht zu verlieren, nie zu spät ist. Wenn Sie jüngere Kinder haben, gilt natürlich, je früher Sie eine starke Verbindung aufbauen, desto besser.

Anfangs erziehen wir alle unbewusst

Es gehört schon zu unseren anspruchsvolleren Aufgaben, ein anderes menschliches Wesen zur Welt zu bringen und diese individuelle Persönlichkeit aufzuziehen. Und dennoch gehen die meisten von uns in einer Art und Weise an diese Aufgabe heran, die wir im Berufsleben nie in Betracht ziehen würden. Hätten wir beispielsweise eine millionenschwere Organisation zu leiten, würden wir dafür einen sorgfältigen Plan erstellen. Wir würden unser Ziel kennen und wüssten, wie wir es erreichen können. Im Bemühen, unsere Aufgabe zu erfüllen, würden wir uns mit unserem Personal vertraut machen und mit den Möglichkeiten, dessen vollständiges Potenzial zu entfalten. Als Teil unserer Strategie würden wir unsere eigenen Stärken ermitteln und herausfinden, wie wir sie am besten nutzen können, wir würden aber auch unsere Schwächen ermitteln, um deren Einfluss möglichst gering zu halten. Der Erfolg der Organisation wäre das Ergebnis einer Erfolgsstrategie.

Hilfreich ist, uns selbst zu fragen: »Wie sieht mein Erziehungsauftrag, meine Erziehungsphilosophie aus? Wie bekunde ich diese im tagtäglichen Umgang mit meinem Kind? Habe ich einen achtsamen Plan ausgearbeitet, wie ich es bei der Verantwortung für eine große Organisation tun würde?«

Ob als Paar, getrennt lebend oder alleinerziehend, es ist immer von Vorteil, wenn Sie über Ihren Erziehungsansatz nachdenken und dabei Studien berücksichtigen, was funktioniert und was nicht. Viele von uns bedenken gar nicht, wie die Art unserer Erziehung unsere Kinder beeinflusst, was uns dazu bringen könnte, unseren Ansatz zu ändern. Ist es Teil unserer Erziehungsmethode, auf die Seele unseres Kindes zu hören? Wären wir bereit, anders mit unserem Kind umzugehen, wenn deutlich würde, dass unsere bisherige Methode nicht funktioniert?

Jeder von uns meint, die beste Mutter/der beste Vater zu sein, und die meisten von uns sind auch wirklich nette Menschen, die ihre Kinder sehr lieben. Es geschieht sicher nicht aus Mangel an Liebe, dass wir unseren Kindern unseren Willen aufdrängen. Es geschieht eher aus einem Mangel an Bewusstheit. Tatsächlich sind sich viele von uns des Kräftespiels, das in der Beziehung zu unseren Kindern besteht, nicht bewusst.

Niemand sieht sich selbst gern als einen unbewusst handelnden Menschen. Dies ist vielmehr eine Vorstellung, vor der man sich scheut. Viele von uns sind so defensiv eingestellt, dass sie sich sofort provoziert fühlen, wenn jemand nur ein Wörtchen über ihren Erziehungsstil verliert. Wenn wir jedoch anfangen, bewusst zu sein, gestalten wir das Kräftespiel zwischen uns und unseren Kindern neu.

Unsere Kinder bezahlen teuer dafür, wenn es uns an Bewusstheit mangelt. Viele von ihnen sind unglücklich, weil man ihnen zu viel durchgehen lässt, sie zu oft medizinisch behandeln lässt und zu sehr mit Etiketten versieht. Das liegt daran, dass wir ihnen aufgrund mangelnder Klarheit unsere eigenen ungelösten Bedürfnisse, unerfüllten Erwartungen und frustrierten Träume weiterreichen. Trotz bester Absichten befrachten wir sie mit dem emotionalen Erbe, das wir von unseren Eltern erhalten haben, und binden sie an das lähmende Vermächtnis ihrer Vorfahren. Unbewusstes Handeln sickert von Generation zu Generation weiter, solange es nicht verarbeitet und verändert wird. Der schmerzhafte Kreislauf in Familien kann nur durch Achtsamkeit beendet werden.

Um eine Verbindung zu Ihren Kindern zu bekommen, finden Sie erst einmal eine Verbindung zu sich selbst

Solange wir nicht genau verstehen, wie wir im unbewussten Modus vorgegangen sind, mangelt es uns tendenziell an der Offenheit für einen Erziehungsstil, der völlig anderen Idealen folgt als denen, auf die wir uns bisher verlassen haben.

Traditionell wurde Elternschaft hierarchisch ausgeübt. Eltern bestimmen von oben herab. Ist nicht schließlich das Kind unser »Untergebener«, der von uns, als den Kenntnisreicheren, geformt werden muss? Weil Kinder kleiner sind und weniger wissen als wir, halten wir für uns berechtigt, sie zu kontrollieren. Tatsächlich sind wir an diese Art Familie, in der Eltern Kontrolle ausüben, so gewöhnt, dass es uns vielleicht überhaupt nicht in den Sinn kommt, diese Ordnung könne weder für unsere Kinder noch für uns selbst gut sein.

Auf Elternseite liegt das Problem beim traditionellen Erziehungsansatz darin, dass er das Ego durch das Trugbild von Macht erstarren lässt. Da unsere Kinder so unschuldig und bereit sind, sich von uns beeinflussen zu lassen, bieten sie tendenziell wenig Widerstand, wenn wir ihnen unser Ego aufdrängen – eine Situation mit dem Potenzial, unser Ego immer stärker werden zu lassen.

Wenn Sie mit Ihrem Kind in den Zustand einer reinen Verbindung kommen möchten, können Sie dies erreichen, indem Sie jedes Gefühl von Überlegenheit ablegen. Wenn Sie sich nicht hinter einem egoistischen Image verstecken, werden Sie in der Lage sein, Ihr Kind als eine reale Persönlichkeit wahrzunehmen.

Ich verwende den Begriff Image in Zusammenhang mit Ego absichtlich, damit möchte ich klarstellen, was ich mit Ego und entsprechend mit egoistisch meine. Nach meiner Erfahrung neigen die Menschen dazu, das Ego als ihr Selbst zu verstehen, also in dem Sinn, wer sie sind. »Egoistisch« würde sich dann auf eine aufgebauschte Bedeutung von uns selbst beziehen, wie wir sie mit Eitelkeit assoziieren.

Entscheidend für das Verständnis dieses Buches ist, wie ich diese Begriffe verwende. Meiner Ansicht nach hat das, was wir als unser Ego betrachten, wenig mit unserem wahren Selbst zu tun. Ich sehe das Ego eher wie ein Bild, das wir von uns selbst haben – ein Bild, das verschieden von dem sein kann, was unser wahres Selbst ausmacht. Wir wachsen alle mit einem Bild von uns selbst auf. Dieses Selbstbild entsteht, wenn wir jung sind, und es resultiert weitgehend aus unseren Interaktionen mit anderen.

Ego, so wie ich den Begriff verstehe, ist nicht das authentische Gefühl für uns selbst. Es ist eine Idee, die wir von uns haben und die sich auf die Meinungen anderer stützt. Es ist die Person, die wir zu sein glauben und für die wir uns halten. Dieses Selbstbild überlagert unser Wesen, so wie wir wirklich sind. Sobald sich unser Selbstbild in der Kindheit ausgeprägt hat, halten wir verzweifelt daran fest.

Obgleich die Idee davon, wer wir sind, eng und begrenzt ist, ist unser inneres Selbst – unser grundlegendes Sein, unser Wesen – unbegrenzt. Da es in völliger Freiheit existiert, hat es nichts zu tun mit den Erwartungen anderer, kennt keine Angst und keine Schuldgefühle. Auch wenn es merkwürdig abgehoben klingen mag, ermächtigt uns dieser Zustand, weil er nämlich authentisch ist, uns mit anderen auf wirklich bedeutsame Weise zu verbinden. Wenn wir uns erst einmal von unseren Erwartungen verabschiedet haben, wie sich eine andere Person verhalten sollte, und ihr so begegnen, wie sie tatsächlich ist, bewirkt die Akzeptanz, die wir dieser Person entgegenbringen, ganz natürlich eine Verbindung. Das liegt daran, dass Authentizität automatisch in Authentizität ihren Widerhall findet.

Da wir unserem Ego so nah sind, so sehr, dass wir glauben, wirklich so zu sein, ist es schwierig, den Unterschied zu erkennen. Anders als die offensichtlicheren Äußerungen des Egos wie Überheblichkeit und Grandiosität neigt das Ego nämlich dazu, verborgen zu bleiben, womit es uns dazu verleitet, es für unser wahres Selbst zu halten.

Ein Beispiel dafür, wie das Ego mit unserem wahren Selbst verwechselt wird, ist die Tatsache, dass vielen von uns nicht bewusst ist, dass viele unserer Emotionen nichts anderes als unser getarntes Ego sind. Wenn wir beispielsweise sagen »ich bin wütend«, glauben wir, dass unser tiefstes Inneres wütend ist. Die Realität kann ganz anders aussehen. Es ist gut möglich, dass wir uns auf einer bestimmten Ebene tatsächlich gegen eine Situation sträuben und an unserer Vorstellung festhalten, davon, wie sie sein sollte. Wenn wir dann unsere Wut anderen gegenüber entfesseln, ist dies eine Manifestation unseres Egos.

Wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen, führt das Festhalten an Wut oder anderen Emotionen wie Eifersucht, Enttäuschung, Schuld oder Traurigkeit letztlich dazu, dass wir uns von anderen als getrennt empfinden. Das geschieht, weil wir unsere Wut nicht als egoistische Reaktion erkennen, sondern glauben, sie sei Teil dessen, wer wir im Innersten sind. Egoistisches Festhalten, das sich als unser wahres Selbst ausgibt, verschleiert unsere Fähigkeit, in einem Zustand von Freude und Einssein mit unserer Umwelt zu leben.

Manchmal wird unser Ego durch unseren Beruf, unsere Interessen oder unsere nationale Identität geleitet. Wir sagen »ich bin ein Tennisspieler«, »ich bin religiös« oder »ich bin Amerikaner«. Nichts davon entspricht dem, was wir im Inneren sind. Es sind vielmehr Rollen, an denen wir festhalten, häufig ohne zu realisieren, dass wir an ihnen festhalten, sodass sie dazu führen können, dass wir sie als unser Ich empfinden. Stellt jemand eine unserer Rollen infrage, fühlen wir uns bedroht und haben den Eindruck, dass wir angegriffen werden. Dann neigen wir dazu, noch stärker an unserem Ego festzuhalten, statt uns davon zu lösen. Dieses Festhalten am Ego ist die Wurzel vieler Konflikte, Scheidungen und Kriege.

Ich sage nicht, dass das Ego schlecht ist und nicht existieren sollte. Im Gegenteil, das Ego an sich ist weder gut noch schlecht, es ist einfach. Es ist ein Stadium unserer Entwicklung, das einem Zweck dient, womit es viel Ähnlichkeit mit einer Eierschale hat, in der ein Küken heranreift, bevor es schlüpft. Die Eierschale spielt während der Reifung des Kükens eine Rolle. Würde die Schale jedoch über die Zeit hinaus, in der sie eine Schutzfunktion ausübt, bestehen bleiben, anstatt zu zerbrechen und verworfen zu werden, würde sie die Entwicklung des Kükens unterdrücken. Ähnlich ist es mit dem Ego, das nach und nach abgestoßen werden muss zugunsten der Entwicklung unseres wahren Selbst aus dem Dunst unserer Kindheit.

Auch wenn wir uns von unserem Ego nicht völlig werden befreien können, verlangt eine bewusste Elternschaft, dass wir uns des Einflusses unseres Egos zunehmend gewahr werden. Dieses Gewahrwerden ist transformativ und der Kern einer bewussten Erziehung. Je mehr wir dieser Dinge gewahr werden, desto besser erkennen wir Situationen, in denen wir uns entsprechend ungeprüfter Konditionierungen verhalten, die uns unsere eigene Kindheit beschert hat und die wir wiederum an unsere Kinder weitergegeben haben. In diesem Buch werden wir anhand der Lebensgeschichten von Menschen, mit denen ich Sie bekannt machen werde, viele Beispiele der unterschiedlichen Wege sehen, auf denen dies geschieht.

Damit wir uns der Tatsache bewusst werden, dass unser Ego nicht unser wirkliches Selbst ist, und wir erkennen, wie es uns dennoch den Anschein dessen vermittelt, sind jene Momente wichtig, in denen sich eine kleine Lücke auftut und wir uns dabei ertappen, etwas zu denken, zu empfinden oder uns auf eine Art zu verhalten, die uns selbst nicht wirklich entspricht. Sobald Sie anfangen, solche Momente zu bemerken, distanzieren Sie sich spontan von Ihrem Ego.

Sie können in Ihrer Familie ein Gefühl der Seelenverwandtschaft aufbauen

Bewusste Erziehung umfasst unsere Sehnsucht, das Einssein zu erfahren, das einer Eltern-Kind-Beziehung innewohnt, die eine Partnerschaft ist und sich rollenmäßig deutlich von der Dominanz unterscheidet, die Eltern in der Regel ausüben.

Der Weg zu der Erfahrung des Einsseins mit Ihren Kindern führt über die Verbundenheit mit Ihrem eigenen vergessenen Selbst, denn der Aufbau einer belangvollen Partnerschaft zu Ihren Kindern wird Sie unvermeidlich veranlassen, sich mit der Entwicklung Ihres eigenen authentischen Seins zu befassen. Während Ihr zunehmendes Gewahrwerden die Eltern-Kind-Hierarchie auflöst, erreichen die Familienmitglieder spontan die gleiche Augenhöhe. Wenn Sie Ihr egoistisches Verhalten aufgeben – darauf verzichten, Ihre Meinung kundzutun, wie Situationen sein sollten und wie andere handeln sollten – , werden Sie von Ihrem Podest der Dominanz heruntersteigen können.

Da unsere Kinder formbar sind, missachten wir häufig die Aufforderung, uns selbst zu spirituellen Partnern unserer Kinder zu formen. Wenn wir jedoch der Person, die aus offensichtlichen Gründen unserer Kontrolle unterliegt, Aufmerksamkeit schenken, gibt uns das die Gelegenheit, uns vom Kontrollbedürfnis zu befreien. Indem uns unsere Kinder einen Weg zeigen, die Eierschale unseres Egos abzuwerfen und damit zu der Freiheit zu gelangen, die das Leben uns im Zustand unseres wahren Seins erlaubt, unterstützen sie uns in unserer Weiterentwicklung. Das Wandlungspotenzial des Erziehungsweges wird dann freigesetzt.

Zerbricht der Mythos, wonach die Beziehung zwischen Eltern und Kind einseitig ausgerichtet sein sollte, kommt das Potenzial der Wechselwirkung dieses Weges zum Vorschein, und wir entdecken, dass unsere Kinder auf eine Weise zu unserem Wachstum beitragen, die vielleicht tief greifender ist als umgekehrt. Obwohl ein Kind kleiner wirkt und den Launen und Diktaten eines Elternteils ausgesetzt ist, hat genau dieser scheinbar machtlosere Status des Kindes das Potenzial, in einem Elternteil die größte Verwandlung hervorzurufen.

Wenn wir Elternschaft als einen Prozess spiritueller Metamorphose betrachten, können wir den psychischen Raum schaffen, um die Lektionen dieses Weges anzunehmen. In dem Maß, in dem Sie als Mutter oder Vater erkennen, dass Ihre Kinder in Ihrem Leben sind, um ein neues Gefühl dafür zu fördern, wer Sie selbst sind, werden Sie deren Potenzial entdecken, Sie zu Ihrem eigenen wahren Sein zu leiten.

Anders gesagt, während Sie vielleicht glauben, das Aufziehen Ihrer Kinder sei Ihre größte Herausforderung, gibt es da eine noch wichtigere Aufgabe, um die Sie sich kümmern müssen, nämlich die Basis für eine wirksame Erziehung zu schaffen. Die Aufgabe besteht darin, dass Sie sich selbst zu dem wachsten und präsentesten Individuum entwickeln, das Sie sein können. Für eine gute Erziehung ist dies von so zentraler Bedeutung, weil Kinder unsere Ideen und Erwartungen, unsere Dominanz und Kontrolle nicht brauchen, wichtig ist nur, dass wir mit unserer engagierten Präsenz auf sie eingestellt sind.

Wie bewusstes Handeln unseren Erziehungsstil verändert

Bewusstheit ist keine Magie, die nur wenigen Glücklichen zuteilwird. Sie fällt nicht vom Himmel, sondern ist ein Zustand und als solcher Teil eines Prozesses.

Um diesen Prozess in Gang zu setzen, hilft es, sich klarzumachen, dass Bewusstheit kein plötzliches und völliges Fehlen von Unbewusstheit ist. Im Gegenteil, Bewusstheit taucht nach und nach aus der Unbewusstheit auf. Diejenigen, die sich auf dem Pfad der Bewusstheit bewegen, unterscheiden sich nur dadurch, dass sie gelernt haben, in ihrer Unbewusstheit nach dem Potenzial für eine höhere Achtsamkeit zu suchen. Das bedeutet, dass Bewusstheit für jeden von uns erreichbar ist. Das Magische an der Eltern-Kind-Beziehung ist nämlich, dass sie uns ständig Gelegenheiten bietet, uns selbst in einen Zustand verstärkter Bewusstheit zu erheben.

Während wir vermeintlich die Macht in der Erziehung unserer Kinder haben, sieht die Realität so aus, dass unsere Kinder die Macht haben, uns zu den Eltern zu erziehen, die sie brauchen. Daher ist Erziehung keine Erfahrung von Kindern mit ihren Eltern, sondern von Eltern mit ihrem Kind. Der Weg zur Ganzheit beginnt bei unseren Kindern, sodass wir lediglich mit ihnen gehen müssen. Da uns unsere Kinder den Weg zurück zu unserem eigentlichen Wesen weisen, werden sie zu unseren größten Erweckern. Wenn wir es versäumen, ihre Hand zu nehmen und ihrer Führung zu folgen, wenn sie uns durch das Tor der erhöhten Bewusstheit geleiten, vergeben wir die Chance, uns auf den Weg zu unserer eigenen Erleuchtung zu begeben.

Wenn ich davon spreche, dass unsere Kinder uns als Eltern umformen, glauben Sie bitte nicht einen Moment lang, ich würde es befürworten, unseren Einfluss auf unsere Kinder aufzugeben und zu ihren Lakaien zu werden. So sehr bewusstes Erziehen damit zu tun hat, den Kindern zuzuhören, ihr Wesen anzunehmen und ganz und gar präsent für sie zu sein, geht es dabei auch um Grenzen und Disziplin. Von uns als Eltern wird verlangt, unseren Kindern nicht nur Grundlegendes wie Schutz, Nahrung und Bildung zu liefern, sondern ihnen auch den Wert von Struktur, Beherrschung ihrer Emotionen und Fähigkeiten wie die der Realitätsprüfung zu vermitteln. Anders gesagt, umfasst bewusste Erziehung alle Aspekte, um ein Kind zu einem vielseitigen, ausgeglichenen Mitglied der menschlichen Spezies zu machen. Infolgedessen hat bewusste Erziehung nichts Permissives, Nachgiebiges, und wir werden in diesem Buch immer wieder Beispiele von Eltern finden, die es gelernt haben, auf konstruktive Weise erzieherisch zu sein, was ihre Kinder in die Lage versetzt, emotional und in ihrem Verhalten zu reifen.

Deshalb halte ich es für wichtig zu erklären, warum ich diese spezifische Information, die ich bezüglich der Disziplin weitergeben möchte, für das letzte Kapitel aufgespart habe. Der bewusste Zugang zur Disziplin gründet sich auf unserer Fähigkeit, bei unseren Kindern wirklich präsent zu sein. Es ist äußerst wichtig, als Eltern zu erkennen, dass dieser Ansatz nur dann wirksam ist, wenn sie durch die Eltern-Kind-Dynamik gelernt haben, wie sie bei ihren Kindern präsent sein können, und genau das erschließt sich Kapitel für Kapitel auf unserem gemeinsamen Weg.

Die Metamorphose der Eltern ist der Schlüssel für einen Entwicklungssprung im menschlichen Bewusstsein. Wenn Eltern zu mir kommen, suchen sie jedoch meist nicht nach einer Möglichkeit, persönlich zu wachsen. Sie sind eher darauf erpicht, Erklärungen für das Verhalten ihrer Kinder zu bekommen. Sie hoffen, dass ich einen Zauberstab habe, der ihre Kinder in Jugendliche mit entschlossener und gesunder Psyche verwandelt. Ich erkläre dann, dass bewusste Erziehung mehr ist als die Anwendung geschickter Strategien. Es geht dabei um eine Lebensphilosophie, die einen Prozess umfasst, der die Kraft hat, Eltern und Kind auf elementarer Ebene zu verwandeln. Der einzig sinnvolle Weg für eine Beziehung zwischen Eltern und Kind ist eine spirituelle Partnerschaft mit wechselseitiger spiritueller Weiterentwicklung. Daher geht bewusste Erziehung über Methoden hinaus, die das Ziel haben, ein spezifisches Verhalten vorzugeben, und spricht stattdessen die tieferen Aspekte der Beziehung zwischen Eltern und Kind an.

Das Schöne an einem bewussten Ansatz der Kindererziehung ist, dass uns Bewusstheit immer wieder darüber informiert, wie die Erziehungsaufgabe am besten anzugehen ist, anstatt einfach eine Methode anzuwenden und zu hoffen, dass sie für die betreffende Situation die richtige ist. Als meine Tochter einen Dollarschein zerriss, war Tadel oder Lob das Richtige? Ich ließ mich von meinem Inneren leiten, was durch unser Einssein in ihrem Inneren Nachhall fand. Selbst wenn wir disziplinarische Maßnahmen ergreifen müssen, zeigt uns die Bewusstheit, wie wir auf eine Weise vorgehen können, die die Seele unseres Kindes stärkt, anstatt sie kleinzumachen.

Wenn Sie den Mut aufbringen, die Kontrolle aufzugeben, die zu einem hierarchischen Ansatz gehört, und den Schritt in das spirituelle Potenzial einer wechselseitigen Eltern-Kind-Dynamik zu wagen, werden Sie zunehmend weniger Konflikte und Machtkämpfe erleben. Die Eltern-Kind-Dynamik wird dann zu einer metaphysischen Erfahrung, erfüllt von einem beseelten Austausch, wie er Wesen würdig ist, die das Privileg erkennen, einen spirituellen Partner zu haben. Wenn wir uns dem Einssein einer bewussten Eltern-Kind-Beziehung hingeben, erheben wir die Erziehung vom rein Physischen ins Reich des Heiligen.

KAPITEL 2

Der spirituelle Hintergrund für die Geburt unserer Kinder

Obgleich wir deutlich vor uns sehen, dass viele unserer Erziehungsstrategien nicht funktionieren und häufig nach hinten losgehen, halten die meisten von uns an dem unbewussten Ansatz fest, der für die Probleme ursächlich ist, die wir mit unseren Kindern erleben.

Um auf einen wirksameren Weg in der Beziehung zu unseren Kindern umzuschwenken, müssen wir gewillt sein, Probleme in uns selbst zu erkennen und zu lösen, die aus der Erziehung stammen, die wir selbst erfahren haben. Wenn wir eine solche Wandlung nicht zulassen, werden wir wahrscheinlich mit einer gewissen Geringschätzung erziehen, ohne den Schrei der Seele unserer Kinder zu beachten, und blind sein für deren Weisheit. Wir werden unseren Kindern nur so weit helfen können, sich auf ihr einmaliges Wesen einzustimmen, wie wir als Eltern auf unser eigenes Sein eingestimmt sind.

Bewusste Erziehung verlangt von uns, dass wir uns einer persönlichen Wandlung unterziehen. Meine Erfahrung zeigt mir, dass die Eltern-Kind-Beziehung primär tatsächlich den Zweck der Wandlung der Eltern verfolgt und nur sekundär den des Aufziehens des Kindes.

Wenn ich Eltern die Wege der eigenen Wandlung darlege, treffe ich häufig auf Widerstand. »Warum wir?«, fragen sie verdutzt, wenn ich ihnen nahelege, dass sie sich zunächst ändern müssen. Wenn ich ihnen erkläre, dass ihre Kinder ihr Verhalten nur ändern können, wenn sie als Eltern bewusster werden, sind sie eher enttäuscht, und es fällt ihnen schwer zu akzeptieren, dass der Fokus auf einer Veränderung ihrer eigenen Einstellung liegen muss anstatt auf ihren Kindern. Ich stelle fest, dass viele Eltern Angst davor haben, sich dem Unbekannten so zu öffnen, wie es für eine Veränderung vom unbewussten zum bewussten Vorgehen nötig ist.

Dieser Weg ist nichts für Kleinmütige, sondern für mutige Seelen, die mit ihren Kindern eine enge Verbindung erleben möchten. Unsere Kinder kommen zu uns, damit wir unsere psychischen Wunden erkennen und den Mut finden, die Grenzen zu überschreiten, die uns diese Wunden auferlegen. In dem Maß, in dem wir aufdecken, wie uns unsere Vergangenheit bestimmt, werden wir nach und nach zu einer bewussten Erziehung fähig. Bis dahin können wir noch so sehr versuchen, in unseren Erziehungsstil Bewusstheit zu bringen, die Unbewusstheit leitet unseren Umgang mit unseren Kindern bei der geringsten Provokation.

Ich möchte betonen, dass es nicht um den Wunsch geht, Ihr Unbewusstes möge nicht existieren. Vielmehr kann das Verständnis der Verzweigungen des Unbewussten und das Gewahrwerden der entsprechenden Folgen einen Menschen dazu motivieren, sich einer grundlegenden Selbstprüfung zu unterziehen, die erforderlich ist, damit Erziehung gelingt.

Hierbei sind Ihre Kinder Ihre Verbündeten, da sie wiederholt die Aspekte Ihres Unbewussten spiegeln und Ihnen damit eine Gelegenheit nach der anderen liefern, zu sich zu kommen. Unsere Kinder verdienen bewusste Eltern. Sind wir es ihnen doch schuldig, uns selbst durch sie mindestens ebenso sehr verändern zu lassen, wie sie durch uns verändert werden.

Während die Wandlung, die jeder durchmachen muss, im Detail individuell verschieden ist, ist die Art dieser Wandlung in vielerlei Hinsicht universell. Daher spornt ein bewusster Erziehungsansatz an, sich Fragen zu stellen, die prägende Kennzeichen der Bewusstheit sind, wie:

Lasse ich mich durch die Beziehung zu meinen Kindern zu größerer spiritueller Wachheit leiten?

Wie kann ich meine Kinder so erziehen, dass ich ihre wahren Bedürfnisse bewusst wahrnehme und die Mutter oder der Vater werde, die/den sie verdienen?

Wie kann ich meine eigene Angst vor Veränderung überwinden und mich so verwandeln, dass ich den Erfordernissen der Seele meines Kindes entspreche?

Wage ich es, gegen den Strom zu schwimmen und bei der Erziehung dem inneren Leben weit mehr Wert beizumessen als dem äußerlichen?

Verstehe ich jeden Aspekt meiner Erziehungsarbeit als Ruf zu meiner höheren Weiterentwicklung?

Bin ich in der Lage, die Beziehung zu meinen Kindern als heilige Beziehung wahrzunehmen?

Wie kann ein Kind einen Erwachsenen wachrufen?