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MARBLES: THE BRAIN STORE

MIT GARTH SUNDEM

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BRAIN!

EIN TAG IM LEBEN

UNSERES GEHIRNS

Copyright der deutschen Ausgabe 2017:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Copyright © 2015 by Marble Holdings, Inc. d/b/a Marbles: The Brain Store

All rights reserved.

This translation published by arrangement with Three Rivers Press, an imprint of the Crown Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC

Covergestaltung: Johanna Wack

Herstellung: Daniela Freitag

Gestaltung und Satz: Bernd Sabat, VBS-Verlagsservice

Übersetzung: Irene Fried

Lektorat: Egbert Neumüller

Druck: CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978-3-86470-453-6
eISBN 978-3-86470-454-3

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Postfach 1449 image 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 image Fax: +49 9221 9051-4444

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INHALT

Einführung

TEIL 1

DER MORGEN

AUFWACHEN, ZURECHTMACHEN, FORTKOMMEN

6:30 Uhr:

Erkenntnisse oder Energie: Sollten Sie die Schlummertaste drücken?

6:35 Uhr:

Der Unterschied zwischen Schlafen und Wachen

6:45 Uhr:

Den Verstand mit der Macht des Neuen wecken

7:00 Uhr:

Früher Vogel oder Nachteule?

7:15 Uhr:

Frühstücken – das liebt Ihr Gehirn

7:30 Uhr:

Morgen! Panik! Multitasken!

7:40 Uhr:

Die (umgekehrte) Macht positiven Denkens

7:45 Uhr:

So planen Sie Ihren Tag

8:00 Uhr:

Das Problem mit den Rätseln

8:05 Uhr:

Wo sind nur meine Autoschlüssel?

8:15 Uhr:

Die eigene Uhr auf positiv stellen

8:30 Uhr:

Wieso man sich Straßennamen und Richtungsangaben nicht merken kann

8:35 Uhr:

Sendersuche im Auto

8:45 Uhr:

Gemeinsames Pendeln? Nicht für amerikanische Gehirne

8:50 Uhr:

Sollte man beim Fahren knutschen?

8:55 Uhr:

Längs einparken

TEIL 2

DER TAG

ARBEIT, DENKVERMÖGEN UND WILLENSKRAFT

9:05 Uhr:

Aufmerksam sein – so geht’s

9:15 Uhr:

14 Situationen – dem Unterbewusstsein willenlos ausgeliefert

9:30 Uhr:

Wenn Sie glauben, Sie hätten mehr Willenskraft, dann haben Sie mehr Willenskraft

10:00 Uhr:

Bei Stress am Arbeitsplatz nicht einfach nachlassen, sondern einen Gang hochschalten

10:30 Uhr:

Die Farbe fürs Büro: Rot oder Blau?

11:00 Uhr:

Wenn’s nicht der IQ ist, was dann? Praktische Intelligenz hilft beim souveränen Umgang mit Zwickmühlen bei der Arbeit

12:00 Uhr:

Welchen Lernstil habe ich?

12:30 Uhr:

Kreative Ideen in die Tat umsetzen

13:00 Uhr:

Heute etwas erledigen, was bis morgen Zeit hätte?

13:15 Uhr:

Das Arbeitsgedächtnis packen

14:00 Uhr:

Es ist erst 14 Uhr. Und Sie sind schon völlig kaputt?

14:30 Uhr:

So lesen Sie die Gedanken Ihrer Kollegen

15:00 Uhr:

Das Geheimnis, mit dem Sie all Ihre Probleme lösen können

15:30 Uhr:

So finden Sie im Internet das, was Sie brauchen

16:00 Uhr:

So werden Sie zum Innovator

TEIL 3

DER ABEND

GESUNDHEIT, FAMILIE, LIEBE UND FREIZEIT

17:00 Uhr:

Ein Drink am Tag für Ihr Gehirn?

17:15 Uhr:

Bring dein Gehirn in Stimmung!

17:20 Uhr:

Ihr Gehirn versus der Lebensmittelladen

17:30 Uhr:

Wieso Kinder sich auf dem Rücksitz schlagen

17:45 Uhr:

Wie die Elternschaft das Gehirn verändert

18:00 Uhr:

Liebe ist ein berauschender chemischer Cocktail

18:15 Uhr:

So erfahren Sie, ob Ihre Beziehung halten wird

18:45 Uhr:

Sollten Sie mit Ihrem Partner streiten, wenn Sie wütend oder traurig sind?

19:00 Uhr:

Ein winziges Beweisstück, das nahelegt, dass Ihr Gehirn noch immer das eines Höhlenmenschen ist

19:20 Uhr:

So lesen Sie die Gedanken Ihrer besseren Hälfte

19:30 Uhr:

Glück, Wohlergehen und Twinkies

20:00 Uhr:

Dissen Sie nicht den Placebo-Effekt

20:30 Uhr:

Die Technik frisst Ihr Gehirn

21:00 Uhr:

Warum Sie mit dem Lesen aufhören und schlafen sollten

EINFÜHRUNG

Die Marimba hatte stets einen beruhigenden Klang – Textilschlägel auf Holzstäben, perfekt geeignet, um das Prasseln von Regentropfen in Waldseen zu imitieren. Dann entschied das iPhone, diese Töne zu seinem Standard-Signal zu machen. Und nun sorgt die Marimba dafür, dass alle Pendler in einem Zug hektisch in ihren Jackentaschen kramen und nachsehen, ob sie gemeint sind.

Sie können dieses Buch als Ihre Marimba sehen. Es ist Zeit, aufzuwachen, Ihr Gehirn auf Touren zu bringen und die Schleier der Gewohnheit, Wahrnehmungstäuschung und Irrationalität zu lichten, die Ihre Neuronen zwischen Ihnen und der Realität ausbreiten. Aufzuwachen ist aber lediglich der Anfang. Ab der Sekunde, in der die Marimba erklingt, bis zu dem Zeitpunkt, in dem Sie Ihre Augen für die Nacht schließen (und darüber hinaus!), beurteilen Sie die Außenwelt, die Innenwelt, treffen eine Wahl und Entscheidungen. Sie planen, wie Sie kleine Ziele erreichen können, zum Beispiel wie Sie rechtzeitig zur Arbeit kommen. Sie behalten größere Ziele im Auge, wie beispielsweise ein guter Elternteil oder Partner zu sein. Und das alles mitten in einer Welt voller Ablenkungen und Versuchungen. In jedem einzelnen Moment eines jeden Tages haben Sie die Möglichkeit, Ihr Gehirn im Guten wie im Schlechten einzusetzen. Sie können die Gelegenheit nutzen, die Dinge zu rocken oder aber alles zu vermasseln. Ganz gleich, wie es ausgeht, Ihnen bleibt die Chance, zu lernen.

Denn die Sache ist die: Irgendwo gibt es jemanden, der jedes noch so winzige Mosaikteilchen im Tagesablauf unseres Gehirns erforscht hat. Angefangen vom Multitasken über den allmorgendlichen Kaffee bis hin zum Ausnutzen des Dämmerzustands vor dem Einschlafen für blitzartige Einsichten – irgendwo schwirrt ein promovierter Weißkittel herum oder wahrscheinlicher ein Doktor in Jeans und T-Shirt, der weiß, wie es besser geht. In diesem Buch werden die besten wissenschaftlichen Auffassungen zusammengetragen, wie man die Nutzung des Gehirns am besten maximieren kann, geordnet nach Situationen, die im Tagesverlauf vorkommen und in denen diese Fähigkeiten wahrscheinlich zum Einsatz kommen. Einige Einträge sind interessante Fakten, mit denen Sie in Gesprächen bei einem Teller Rohkost glänzen können. Andere bieten Erkenntnisse oder einen neuen Blickwinkel auf die Dinge und warum Sie etwas tun. Wieder andere unterstützen Sie mit kleinen Maßnahmen oder Übungen, sodass Sie Ihr Gehirn nutzen können, um die Herausforderungen des Tages und Ihres Lebens besser meistern zu können.

„Ein Tag im Leben unseres Gehirns“ – mit diesem Buch bringen Sie auf unterhaltsame Art Licht in die dunklen Ecken Ihres Gehirns, die ansonsten nur von Hirnnerven durchdrungen werden. Und Sie können die Möglichkeit erkunden, wie Sie mit wachsender Kenntnis des Gehirns ein besseres Leben führen können.

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ERKENNTNISSE ODER ENERGIE: SOLLTEN SIE DIE SCHLUMMERTASTE DRÜCKEN?

Von Hirnströmen haben Sie sicher schon gehört; hier erfahren Sie, wie sie funktionieren. Stellen Sie sich vor, die 86 Milliarden Neuronen in Ihrem Kopf wären Grillen. Zirpt eine Grille, passiert nicht viel. Schließlich hilft Ihnen der Ruf einer einzelnen Grille nicht dabei, sich eine Tasse Kaffee einzugießen oder sich an eine schlagfertige Antwort zu erinnern. Die Grillen in Ihrem Gehirn ziehen auch nicht ihr eigenes Ding durch. Nein, sie stimmen sich so aufeinander ab, dass sie die rhythmische Dissonanz einer lauen Sommernacht hervorbringen.

Grillen synchronisieren sich in unterschiedlichem Takt. Im Schlaf „zirpen“ die neuronalen Grillen im Gehirn langsamer, als wenn man wach ist. Die Hirnströme, die von Ihren zirpenden Neuronen erzeugt werden, sind – wie in einer lauen Sommernacht – das Hintergrundrauschen, vor dem andere Dinge stattfinden. Alles, was Sie tun oder denken, geschieht – wenn Sie wach sind – vor dem Hintergrund eines Musters, der Betawellen. Im Tiefschlaf hingegen sind es die Deltawellen. Würde man genau hinhören, würden Betawellen einem hohen Zirpen ähneln. Deltawellen könnte man hingegen mit Grillen vergleichen, die eine Gruppe Orchesterbässe zum Klingen bringt. Zwischen diesen beiden Mustern, den Betawellen für die Aufmerksamkeit und den Deltawellen für den Tiefschlaf, liegen Alphawellen für die wache Entspannung und die Thetawellen des Leichtschlafs.

Die Synchronizität Ihrer neuronalen Grillen erzeugt somit eine Vielzahl von Gehirnwellenmustern, und jede Gehirnwelle ist mit einem bestimmten Schlaf- beziehungsweise Aufmerksamkeitsstadium verbunden. Diese Grillen durcheinander zu bringen und sie zu zwingen, das von Ihnen gewünschte Muster zu zirpen, ist der Zweck eines Weckers. Selbstverständlich bleibt Ihnen eine allerletzte Verteidigungsstrategie gegen die Diktatur Ihres Weckers: die Schlummertaste! Allerdings ist der erste Platz auf der Liste der menschlichen Verlockungen heiß begehrt – vom Wunsch, auf die Schlummertaste zu hauen, dem Bedürfnis, während des Fahrens Facebook zu checken, oder dem übermächtigen Drang, die Mückenstiche auf dem Knöchel zu kratzen. Stellt sich eine Frage: Sollten Sie dem nachgeben?

Nein, sollten Sie nicht. Warum? Wenn Sie den Wecker von vornherein fünf, zehn oder 15 Minuten später gestellt hätten, bräuchten Sie ihn vielleicht gar nicht. Wenn Sie das Schlummertasten-Ritual aufgeben, können Sie etwas länger schlafen. Diese wenigen Minuten könnten ausreichen, damit das Gehirn von allein den natürlichen Wachzustand erreicht, ohne ins eiskalte Wasser geworfen zu werden – in Form Ihres Weckers. Behalten Sie Ihre regelmäßige Schlafroutine bei, wird Ihr Körper genau wissen, wann er den letzten Durchgang durch das sogenannte N1-Schlafstadium erreicht hat. Sie wachen auf, anstatt den Schlafzyklus noch einmal zu durchlaufen. Wenn Sie in diesen 15 Minuten, die Sie mit der Schlummertaste verschwenden, in das letzte N1-Stadium kommen könnten, ginge es Ihrem Gehirn und Ihrem Körper besser, da Sie diese Zeit für echten Schlaf nutzen könnten, anstatt sie im Dämmerschlaf zu vergeuden.

Andererseits spricht etwas dafür, in dieser N1-Übergangsphase zwischen Alpha- und Thetawellen zu verharren. Überkam Sie plötzlich, überfallartig, eine Idee? Hat Sie eine Erkenntnis je wie ein herabfallendes Klavier getroffen? Wann war das? Unter der warmen Dusche oder mitten in der Nacht? Der Grund ist folgender: Ein auf einem Kissen von Thetawellen dahingleitendes Gehirn ist besonders empfänglich für Erkenntnisse – ob nun entspannt unter der Dusche oder während des N1-Schlafs im Grenzbereich zwischen Alpha- und Thetawellen: Sie bereiten Ihr Gehirn darauf vor, Nachrichten aus dem Jenseits zu empfangen. Ob Sie sich nun zwischen zwei Schlafzyklen in einer N1-Phase befinden oder an einem regnerischen Tag schielend aus dem Fenster starren … Bumm! Die Erkenntnis ist da (und zeigt sich in Ihrem Gehirn wie eine Explosion hochfrequenter Gamma-Wellen).

Wenn Sie also mehr Energie brauchen, dann vergessen Sie die Schlummertaste. Arbeiten Sie auf einen regelmäßigen Schlafzyklus hin, der Sie natürlich aufwachen lässt. Benötigen Sie hingegen Erkenntnisse, sollten Sie versuchen, über die Schlummertaste auf dem schmalen Grat zwischen Thetawellen und Alphawellen zu surfen – der Linie, die Schlafen und Wachen voneinander trennt. Womöglich fließt die Gewissheit der Erkenntnisse in Ihr Gehirn und erhellt das, was bislang hartnäckig verhangen war.

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DER UNTERSCHIED ZWISCHEN SCHLAFEN UND WACHEN

Wieso sind wir hier? Sind wir allein im Universum? Was ist das Bewusstsein? Wieso verbreiten sich Katzenbilder wie ein Lauffeuer auf Facebook? Eine zufriedenstellende Antwort gibt es nur auf eine dieser Fragen, nämlich auf die Sache mit dem Bewusstsein. Und sie erklärt, was genau passiert, wenn Sie morgens in Ihren Körper zurückkehren.

Das Verständnis dafür erwächst aus der langen Forschungstätigkeit von Francis Crick (dem berühmten Entdecker der DNA) und Christof Koch am Allen Institute for Brain Science in Seattle. Den Ausgangspunkt bildete für sie eine einfache Frage: Gibt es einen Bereich des Gehirns, der bei allen Aufgaben des Bewusstseins aufleuchtet? Wenn diese sensorischen, motorischen und kognitiven Dinge Kreise in einem Venn-Diagramm wären, wo würden sie sich überschneiden?

Gefunden haben sie das Claustrum, eine einen Millimeter dicke Schicht von Neuronen, die die beiden Gehirnhemisphären voneinander trennt. Alle Säugetiere besitzen eines. Und es ist mit allen wichtigen Akteuren in Ihrem Schädel verbunden, einschließlich des präfrontalen Kortex, des akustischen Kortex, des optischen Kortex (auch Sehrinde), des primär-motorischen Kortex, des prämotorischen Kortex und vieler anderer Funktionsbereiche. Also machten sich Crick und Koch daran, den Claustra von Menschen Stromschläge zu versetzen, um zu überprüfen, ob sich das in irgendeiner Form auf ihr Bewusstsein auswirken würde. Selbstverständlich haben sie das nicht wirklich getan! Aufgrund von besorgniserregenden Aspekten wie Ethik und Moral kann man nicht einfach das Gehirn von Menschen wegbrutzeln und abwarten, was geschieht. Das heißt, außer unter sehr besonderen Umständen.

Zu diesen Umständen zählt die Behandlung von Epilepsie. Bei einem epileptischen Anfall zündet ein Bereich des Gehirns fehl, sodass Elektrizität in umgebendes Gewebe „durchsickern“ kann und im Gehirn zurückprallt wie die Kugel eines Revolverhelden am Brustkorb, – gelegentlich mit ebenso verheerenden Konsequenzen. Zur Therapie von Fällen schwerer und lähmender Epilepsie erkunden Ärzte auf der Suche nach der Ursache das Innere des Gehirns von wachen Patienten. Und können manchmal die Symptome durch die Einführung eines komplexen elektrischen Schrittmachers heilen oder zumindest lindern. Die Sache ist nur die: Epilepsie kann so ziemlich überall im Gehirn sitzen. Ihre Quelle zu finden setzt bisweilen eine langwierige Suche voraus.

Genau diese Aufgabe übernahmen Mohamad Koubeissi und seine Kollegen bei einer 54-Jährigen, die an einer wie sie es nannten „hartnäckigen Epilepsie“ litt. Im Jahr 2014 erschien in der Fachzeitschrift Epilepsy and Behavior eine Studie, in der das Team berichtet, was aufgrund einer elektrischen Stimulation während einer sogenannten Kartierung geschah, bei der sie zufällig im Claustrum dieser Frau herumstocherten. „Die Stimulation der claustralen Elektrode resultierte reproduzierbar in einer vollständigen Hemmung von volitionalem Verhalten, Unempfänglichkeit und Amnesie ohne negative motorische Symptome oder bloßer Aphasie“, war dort zu lesen. Auf Deutsch heißt das, als Koubeissi dem Claustrum dieser Frau einen Stromschlag versetzte, wurde sie ohnmächtig. Drehten sie den Saft ab, war sie sofort wieder bei Bewusstsein. Während der Hirnkartierung müssen Patienten üblicherweise laut vorlesen oder eine andere Aufgabe erfüllen, die das Gehirn beansprucht. Denn so erkennen Ärzte, welchen Einfluss Stromschläge auf die Funktion haben. In dem vorliegenden Fall hörte die Patientin auf, zu lesen und auf ihr Operationsteam zu reagieren, sobald Koubeissi ihr Claustrum mit hochfrequenten elektrischen Impulsen bedachte, und ihr Körper glitt allmählich in einen Zustand tiefster Entspannung. Hörten die Signale auf, öffnete sie die Augen und konnte weiterlesen.

Koubeissi nannte das Claustrum in einem Artikel in Forbes den „Schlaf-Schalter“ und zog das Drehen des Zündschlüssels in einem Auto als Vergleich heran. Das Wissen um den Unterschied zwischen Schlafen und Wachen, Bewusstsein und Unterbewusstsein steckt noch in den Kinderschuhen, und Gelegenheiten, etwaige Erkenntnisse zu überprüfen, gibt es nicht allzu häufig. Das Tolle ist: Nun, da wir den Sitz und die Funktion des menschlichen Bewusstseins zu verstehen beginnen, könnte die Voraussetzung geschaffen werden, nicht nur die Wurzeln des eigenen Bewusstseins zu ergründen, sondern dieses Bewusstsein auch zu reproduzieren. Den Unterschied zwischen Schlafen und Wachen im Gehirn zu kennen könnte es uns ermöglichen, „Aufmerksamkeit“ künstlich herzustellen.

Versprecher

Neben diesem bedeutenden Bewusstseinsschalter existieren kleine Entgleisungen des Bewusstseins – wenn Sie Ihren kompetenten Freund beispielsweise als „wahre Schlammgrube an Informationen“ bezeichnen. Oder wenn Spaghetti zu Pasketti werden. Das erste nennt sich Malapropismus (hier vertauscht man die Bedeutung), das zweite Metathese (hier werden Laute verwechselt). Achten Sie heute auf diese beiden.

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DEN VERSTAND MIT DER MACHT DES NEUEN WECKEN

Wenn Sie aufwachen, ist Ihrem Gehirn langweilig. Nur weil Sie morgens die Augen geöffnet haben, heißt das nicht, dass im Hinterstübchen etwas los ist. Durch Studien ließ sich belegen, dass selbst dann, wenn Bereiche im primären optischen Kortex Dinge aufnehmen, Ihr Gehirn sich dessen nicht bewusst sein mag. Ihr Gehirn kann den physischen Input des „Sehens“ haben, ohne das Sehen bewusst wahrzunehmen.

Dasselbe gilt fürs Hören, Riechen, Schmecken und Berühren: Sobald man sich an etwas gewöhnt, hört man auf, es zu erkennen. Wenn Sie in der Nähe eines Flughafens wohnen, hören Sie womöglich keine Flugzeuge mehr. Leben Sie nahe einer Papierfabrik, riechen Sie eventuell keinen erhitzten Zellstoff mehr. Dass Kratzen den Juckreiz verstärkt, liegt zum Großteil an dem durch das Kratzen erzeugten Bewusstsein. Ohne die zielgerichtete Aktion, Ihren Fingernagel über die juckende Stelle zu reiben, gewöhnt man sich an das beißende Gefühl, das schlussendlich in den unbemerkten Hintergrund Ihres Gehirns tritt. Durch das Kratzen wird das Gefühl erneuert und Sie bemerken es von Neuem.

Morgens bekämpfen Sie mit der Brutalität eines Weckers also nicht nur ein eventuell vom Schlaf strapaziertes Gehirn, sondern auch die eintönige Gewöhnung, die durch acht Stunden der Gleichförmigkeit in Ihrem Schlafzimmer eingetreten ist. Wenn Sie also aufwachen möchten, geben Sie Ihren Sinnen etwas Neues zu tun. Das kann ein neuer Gedanke sein – denn ebenso wie Sie nachts nicht einschlafen können, wenn in Ihrem Kopf Gedanken an Ihre nächste große Erfindung oder die Idee zu Ihrem Buch umherschwirren, so kann es hilfreich sein, sich morgens als Allererstes interessante, fesselnde, kreative Gedanken zu machen, um die Erschöpfung des leeren Gehirns auszutreiben. Wie wäre es, wenn Sie Ihr Gehirn mit einer interessanten Idee in Gang bringen, die in einem auf dem Nachtkästchen aufgeschlagenen Notizbuch steht?

Vielleicht können Sie Ihr Gehirn aber auch dazu zwingen, mit etwas Neuem umgehen zu lernen. Dazu reicht wahrscheinlich schon ein Skateboard oben an der Treppe. Etwas weniger Extremes wäre, Ihren Radiowecker auf einen unbekannten Sender einzustellen oder in ein System zu investieren, das Ihren Riechkolben beim Aufwachen mit einem neuen Duft traktiert, damit Ihr Gehirn auf Sendung geht und aus den Dingen schlau zu werden beginnt.

Zu guter Letzt sollten Sie auch die Macht der Vorfreude in Betracht ziehen. Lässt sich Ihr Gehirn mehr davon motivieren, was es gezwungenermaßen zurücklassen soll (nämlich das warme Bett), als von dem Wunsch nach dem, was es erwartet (nämlich einen hektischen Morgen, einen Tag voller Arbeit …), könnte es sich gegen das Aufwachen sträuben. Anstatt den Verlust Ihres Bettes zu betrauern, suchen Sie sich etwas, dem Sie entgegenfiebern können. Selbst wenn es nur Kaffee ist. Viel Kaffee.

Aufwachen mit … Stress!

Wenn Sie morgens kein neuer Gedanke wecken kann, keine sensorische Erfahrung und nichts, dem Sie freudig entgegensehen … dann versuchen Sie es mit Stress. Eine Studie mit englischen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zeigte, dass Menschen dank des durch Stress induzierten Cortisolspiegels im Gehirn früh aufstehen konnten, um arbeiten zu gehen. Allerdings hat diese Form etwas von schwarzer Magie: Zu viel stress-induziertes Cortisol baut im Laufe der Zeit das Gehirn ab.

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FRÜHER VOGEL ODER NACHTEULE?

Sie wissen es, ich weiß es, wir alle wissen es. Die Sache mit dem „frühen Vogel“ oder der „Nachteule“ – das alles stimmt nur in den Köpfen von Menschen, die sich gerne Late-Night-Shows ansehen oder aber die 90 Minuten Ruhe am frühen Morgen lieben, bevor die Kinder aufstehen. Auch die Wissenschaft bestätigt: Es passiert alles im Gehirn. Was nicht heißt, dass es nicht real ist. Beispielsweise erzeugen Menschen, die sich als Frühaufsteher betrachten, den chemischen Zustand des „Wachseins“ schneller als Menschen, die sich als Nachteulen sehen. Dabei steht das Cortisol im Zentrum der Aufmerksamkeit – eine Stunde nach dem Aufwachen weisen Morgenmenschen höhere Cortisol-Konzentrationen im Speichel auf als Nachteulen. Selbst dann, wenn Nachteulen und Morgenmenschen von genau derselben Schlafdauer und Schlafqualität berichten.

Und noch etwas Interessantes: Laut dem National Center for Education Statistics (NCES – Nationales Zentrum für Statistiken im Bildungsbereich) beginnt an den staatlichen Highschools in den USA der Unterricht durchschnittlich um 7.59 Uhr. Wahrscheinlich haben Sie schon gehört, dass dieser Unterrichtsbeginn für Teenager grausam ist. Und wenn man sich die Gehirne von jungen Menschen anschaut, sieht man auch, warum. Neben dem Bereich des Teenager-Gehirns, in dem unverständliche SMS-Abkürzungen gespeichert werden, und einem weiteren Bereich, der hyperaktiv die Übersicht darüber behält, wie man es bewerkstelligt, heiß auszusehen, sorgt eine wahre Flut von Kriterien dafür, dass das frühe Aufstehen nicht nur lästig, sondern geradezu diabolisch grausam für Menschen ist, die unter der Krankheit leiden, zwischen zwölf und 18 Jahren alt zu sein.

Der Gnade des Biorhythmus sind wir alle ausgeliefert. Unabhängig davon, wie viel oder wenig wir geschlafen haben, unser Gehirn will schlafen, wenn es dunkel wird, und aufwachen, wenn es hell wird. Wir kennen zwei Arten, wie der Biorhythmus den Menschen schläfrig macht: durch eine Zunahme des Hormons Melatonin und durch das Absinken der Körpertemperatur. Nimmt man die beiden zusammen, gewinnt man ein ziemlich genaues Bild, wann der Körper schlafen gehen will.

Und die Funktionen Melatoninspiegel rauf und Körpertemperatur runter passieren im Körper eines Jugendlichen später als bei normalen Menschen. Das ist das erste Warnzeichen der wahren Flut. Das zweite ist, dass Teenager – laut der Vereinigung amerikanischer Kinderärzte American Academy of Pediatrics (AAP) – mehr Schlaf benötigen als ältere oder jüngere Menschen. Etwa achteinhalb bis neuneinhalb Stunden Schlaf pro Nacht. Wenn also ein Teenager mit größerem Schlafbedürfnis bis 23 Uhr physiologisch beim Einschlafen blockiert wird, aber um 7 Uhr morgens aufstehen muss, um es bis zur 8-Uhr-Glocke in die Schule zu schaffen, dann bleibt ihm nur eins: mittels einer Zeitmaschine zu versuchen, an genügend Schlaf zu kommen. Dabei ist das jugendliche Gehirn so verdrahtet, dass es zur Impulsivität neigt. Und wenn man jetzt noch chronischen Schlafmangel hinzufügt, erhält man – wieder laut AAP – ein Rezept für Depression, Adipositas, schlechte Prüfungsergebnisse und im Grunde ein Szenario direkt aus einem dieser postapokalyptischen Romane, die die Kids heutzutage alle lesen.

Wären da nicht der Tagesablauf von Erwachsenen, der es einfach macht, die Kids um 8:00 Uhr in der Schule zu haben, und das Bedürfnis der Teenager, spätestens um 16:00 Uhr daheim vor dem Fernseher zu sitzen, würde jeder vernünftige und mitfühlende Mensch den Schultag später beginnen lassen – sagen wir frühestens um 9.00 Uhr.

Nun ist es gut möglich, dass sich in Ihrem Gehirn ein Teenager verbirgt. Unabhängig von Ihrem Alter. Sprich, es wäre unfair zu sagen, alle Erwachsenen könnten früh aufstehen, während es für alle Teenager das Beste wäre, bis spät in die Nacht wach zu bleiben. Das sind nur die groben Pinselstriche – Ihre eigene Erfahrung mag davon abweichen. Wenn Sie morgens einfach nicht aufwachen können, kann es durchaus sein, dass Ihr Gehirn Sie zu einer Nachteule machen möchte.

Frühaufsteher zu sein hat gleichwohl so manchen Vorteil. Studien belegen, dass Frühaufsteher im Allgemeinen stabiler, verantwortungsvoller, verträglicher und optimistischer sind. Doch dann stellt sich immer noch die alte Frage nach der Henne oder dem Ei: Macht einen die Tatsache, dass man Frühaufsteher ist, zu einer verträglicheren Person? Oder sind verträgliche Personen zufällig Frühaufsteher? Was ich sagen will: Wenn Sie so verdrahtet sind, dass Sie eine Nachteule sind, und früh aufwachen in der Hoffnung, dass Sie aus sich einen optimistischen, verträglichen Menschen machen, dann macht Sie das vielleicht nur zu einer unglücklichen, unter Schlafentzug leidenden Nachteule. Ihr Gehirn lässt sich nicht an Ihr Leben anpassen. Aber vielleicht könnten Sie Ihr Leben an Ihr Gehirn anpassen? Können Sie, wenn Sie eine Nachteule sind, Ihre Bedürfnisse akzeptieren und ein bisschen länger schlafen? Sie könnten versuchen, Ihrem Arbeitgeber zu erklären, dass in Ihrem Kopf das Gehirn eines Teenagers lebt. Sollte das keine gangbare Option sein, könnten Sie sich fragen, wie Sie Ihren Morgen auf eine Weise gestalten können, dass die Nachteule in Ihnen etwas länger im Bett bleiben darf.

Melatonin gegen den Jetlag?

British Medical Journal