Stephan Hachtmann

Weltmehr

Seelentexte für die innere Wandlung

Kreuz

Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: agentur IDee

Umschlagfoto: © Shutterstock

Zeichnungen und Medaillons: St.H8mann

ISBN (E-Book) 978-3-451-34592-0

ISBN (Buch) 978-3-451-61191-9

IN BEWEGTER STILLE

ATMET MEIN MENSCHENHERZ

VERBORGENES MEHR DER WELT

UND UNBEWEGT

IST DER HIMMEL INNEN

EIN GOTTESHERZ

Inhalt

Ein Traumwort

Zu den Texten

I. Kapitel – Wegschritte zur Quelle

1. Es gibt keine Fehler

2. Instrument der Liebe

3. Heiliger Atem

4. Erfahrung führt in die Wandlung

5. Ungetrübte Freude öffnet alle Türen

II. Kapitel – Himmelerde im Herz

1. Berührt vom inneren Licht

2. Es geht um die Töne dahinter

3. Das geöffnete Herz

4. Folge dem Lied

III. Kapitel – Alles neu

1. Klarstellung

2. Salz der Erde

3. Geboren werden

4. Alltäglich – das Neue

IV. Kapitel – Stiller Klang

1. Ruhend sei ganz

2. Hinwendung nach innen und Mehr

3. Von der Reife

4. Der Sieg über die Ruhelosigkeit

5. Ruhend im Gebet

V. Kapitel – Im Herz der Gegenwart

1. Alles geschieht zu SEINER Zeit

2. Ewigkeit im Jetzt

3. Nimm dich zurück

4. Gottes Name

VI. Kapitel – Aufruhr zur Liebe

1. Neubeginn auf einer tieferen Stufe

2. Meine Aufgabe in der Welt

3. Innen und außen

VII. Kapitel – Weltmehr

1. Ewiges Leben

2. Himmel und Erde

3. Christus in mir

4. … und darüber hinaus

VIII. Kapitel – ICH BIN

1. Christliche Begegnung

2. ICH BIN im Dornenbusch

3. Sei du auch da

4. Christusgeburt

IX. Kapitel – Werdesein

1. Freiwillige Beständigkeit

2. Ganzwerdend heil werden

3. Offen im Widersprüchlichen

4. Werdet Vorübergehende

X. Kapitel – Das schwarze Tor der Liebe

1. Vom Bösen

2. Wandlung geschieht

3. Im Kampf mit dem Inneren

4. Zugrunde gehen

XI. Kapitel – Das Geschenk

1. Ausstrahlendes Erwachen

2. Vertrauen

3. Kraftfeld im Kleinen

XII. Kapitel – Erinnerungen an meine Heiligkeit

1. Gemeinsam einsam sein

2. Ganzwerdend

3. Offen für das Kommende

4. Alles umsonst

Ausblick – Auf den Spuren des Weltmehr

Anmerkungen

Zu den Zeichnungen

Kolumnentitel

Ein Traumwort

Vor einigen Jahren wachte ich mitten in der Nacht auf und hatte das Wort Weltmehr im Ohr. Ja, ganz deutlich hörte ich dieses Wort Weltmehr. Ich sah es vor meinem inneren Auge und mit h geschrieben. Doch was verbirgt sich im Weltmehr? Wie lässt es sich „befahren“ und wo finden wir es? Welche Botschaft hat es?

Vielleicht weckt das Weltmehr die Erinnerung an unsere ursprüngliche Heimat, die über das allzu Offensichtliche hinausweist. Vielleicht umfasst es auch eine bestimmte Haltung oder Atmosphäre, in die ich mich hineinbegeben kann oder auf die ich mich ausrichte. Je länger ich dieses Wort in mir bewege, desto mehr erschließen sich mir die darin verborgenen weiten Landschaften und verlockenden Tiefenstrukturen.

Zu den Texten

Über einen Zeitraum von über fünfzehn Jahren habe ich mich in bestimmten Phasen und Stationen meines Lebensweges immer wieder einer inneren Stimme anvertraut, die mir wichtige Zusammenhänge meines Weges bewusst machte und sie ermutigend betonte. Ich schenkte dieser Stimme mein Gehör, vertraute ihr und konnte mit der Zeit immer deutlicher wahrnehmen, dass sie mir eine treue Hilfe und Lehrmeisterin bei meinen Bemühungen um innere Vollständigkeit war. Mit den Jahren habe ich gelernt, diese übermittelten kurzen Sätze und Worte zu „lesen“, und kann sie mittlerweile klar von anderen Hinweisen meines Tagesbewusstseins unterscheiden. Diese Weisungen zeichnen sich durch ihren intuitiven und „unüberlegten“ Charakter aus, sind oftmals gekennzeichnet durch ihre tiefgründige Mehrdeutigkeit und entschlüsseln mir ihren verborgenen Sinn manchmal erst viele Tage oder Wochen später.

Immer fühlte ich mich eingeladen, diese Sätze als wohlwollende Hinweise anzunehmen, die meine wachbewusste und von vergänglichen Erscheinungen geprägte Wahrnehmung überschreiten. Ich fühlte eine aufrichtige und wahrhaftige Sinntiefe, der ich mich mit großer Gewissheit anvertrauen konnte und die mich dennoch ganz auf die alltägliche Verantwortung meines Erdendaseins verwies. Wie ein Wink mit dem Zaunpfahl stupste mich diese Kraft Schritt für Schritt treffsicher nach vorne. Damit konnte ich etwas anfangen. Obwohl diese Weisungen durch meine persönlichen Erfahrungen gefärbt sind und von meinem eigenen kulturellen und spirituellen Verständnis her interpretiert sind, bleibe ich dennoch zugleich nur der Empfänger dieser Weisungen und diene wie ein Instrument ihren Klängen, die sich durch mich artikulieren und in meinem Leben Gestalt gewinnen möchten.

Ich bin diesen kurzen Sätzen jeweils eine Weile gefolgt, habe mich von ihrer Botschaft beschenken lassen und gestaunt, wie weise Gottes Wirken hintergründig arbeitet und sich vordergründig auszudrücken weiß. In diesem Buch finden Sie eine kleine Auswahl dieser „eingegebenen“ Sätze und Worte. Um sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, habe ich diese Wegweisungen, von meinen Erfahrungen her kommend, in zwölf Kapitel zusammengefasst, sie thematisch ein wenig gebündelt und mit Kommentaren versehen. Im Nachhinein erscheint es mir oftmals so, als ob diese Eingebungen emporgekommen sind, um mein Wachstum anzuregen. Wenn ich die Hinweise angenommen und integriert hatte, verschwanden sie wieder, um in Gestalt eines neuen „Lernstoffes“ neu zu erscheinen.

Es ist mir nicht wichtig herauszufinden, woher diese Botschaften stammen. In allem, was uns widerfährt, davon bin ich allerdings überzeugt, wirken die Kräfte des verborgenen Weltmehr viel prägender, als wir es uns jemals mit unseren bewussten Sinnen vorstellen könnten. Auch wenn das Wenigste, was sich in unserem Leben ereignet, unserem bewussten Erkennen und Verstehen zugänglich wird, bleiben wir dennoch ganz in dem großen Netz des göttlichen Geheimnisses geborgen. In dieser Geborgenheit bleiben wir dienendes Instrument der schöpferischen Liebe, durch die die Melodie der lebendigen Ganzheit sich in größtmöglicher Vielfalt ausdrücken möchte. „ICH BIN verbunden mit dir, du mein Ebenbild“, spricht das Wunderbare zu mir und zu Ihnen. Allezeit und immerwährend. Unauflöslich und ewig neu. Und es ist uns freigestellt zu antworten: „Ich bin verbunden mit DIR, du mein Gott.“ Und es ist ganz gleich, ob ich, Sie oder wir es nun möchten, wissen und spüren können oder auch nicht. Vielleicht bekommen wir mit der Zeit eine immer feinere Ahnung davon, wie das Mysterium der heiligen Einheit in uns klingt und was es durch uns in die Welt geben möchte.

Mit den vorliegenden Seelentexten möchte ich Sie, soweit das durch das Lesen überhaupt möglich ist, an meiner spirituellen Formung und an meiner geistlichen Erfahrung Anteil nehmen lassen. Seit vielen Jahren bin ich durch die christliche Tradition des Herzensgebetes geprägt und habe in diesem Weg das Fundament meiner spirituellen Lebensgestaltung gefunden. Meine geistliche Beheimatung wird immer wieder sichtbar werden. Falls Sie nicht schon auf dem Weg des Herzens (Via Cordis) sind, möchte ich Sie ermutigen und einladen, sich dieser mystischen Reise anzuvertrauen. Sie könnte sich auch für Sie als sehr segensreich herausstellen und den Blick auf eine sehr kraftvolle und tiefgründige transformative Kraftquelle freigeben, die ganz in der abendländischen Kultur verwurzelt ist und auf ein jahrhundertealtes Erfahrungswissen zurückblicken kann. Folgen Sie dem Fluss dieser christlichen Weisheitstradition bis zu seinen Quellgründen und entdecken Sie das über die Welt hinausweisende Geheimnis in Ihrem alltäglichen Leben. In meinem Buch „Berührt vom Klang der Liebe – Wege zum Herzensgebet“ (2012) können Sie Spuren zur Entdeckung und Vertiefung dieses Weges finden.

Unsere Welt benötigt mehr denn je Menschen, die dazu bereit sind, ihr Innerstes in der Tiefe heilen und verwandeln zu lassen. Menschen, die ihren Sinn darin (wieder)finden, das Geheimnis des Wunderbaren im Leben zu bezeugen, und dazu bereit sind, die Früchte ihrer individuellen Wandlung in die sich kollektiv vollziehenden Geburtsprozesse einzubringen.

Wenn Sie mögen, verlassen Sie gerne den gewohnten linearen Lesestil und nähern sich diesen Texten von allen Seiten. Lesen Sie sie von hinten nach vorne oder umgekehrt oder einfach mittendrin. Greifen Sie sich nur einen Satz oder einen kurzen Abschnitt, beginnen Sie da, wohin es Sie zieht. Lesen Sie ein wenig und dann erst wieder in ein paar Monaten. Lassen Sie sich inspirieren und berühren. Erspüren Sie, bei welcher Aussage oder Weisung Sie in Resonanz gehen. Bewegen Sie diese Worte eine Weile in Ihrem Herzen und folgen Sie den Spuren, die Ihnen im Inneren oder auch im Außen dabei aufleuchten.

Die an manchen Stellen verwendete Großschreibung bei einzelnen Wörtern verweist jeweils auf das Mysterium des Heiligen und möge hilfreich sein, um die Vielfalt und die verschiedenen Perspektiven auf diese Wirklichkeit sichtbar zu machen.

Mögen Ihnen diese Texte zu einer Wegzehrung für den gemeinsamen und ganz eigenen spirituellen Weg werden. In aller Offenheit und Freiheit sind Sie eingeladen, dem Klang des Weltmehr mit Ihrer ganz eigenen Lebensmelodie Antwort zu geben. Werden Sie zu neugierigen „Sehfahrerinnen“ und „Sehfahrern“ auf dem Weltmehr der Liebe und lassen Sie Ihr Innerstes von den Stationen dieser Reise verwandeln.

Stephan Hachtmann
Hamburg, im Februar 2013

I. KAPITEL – Wegschritte zur Quelle
Kolumnentitel

1. Es gibt keine Fehler

„Es gibt keine Fehler, es gibt nur Erfahrungen.“

Als ich Anfang dreißig war, befand ich mich in einer für mich sehr entscheidenden, existenziellen Lebenskrise. Es war für mich ein Tiefpunkt erreicht, an dem mir eine notwendige und grundlegende Zäsur in meinem Leben unumgänglich erschien. Eines Nachts träumte ich von einem großen Schild, so einer Art Werbetafel. Auf diesem Schild stand: „Es gibt keine Fehler, es gibt nur Erfahrungen.“ Ich erwachte und spürte mit großer Gewissheit, dass diese Traumweisung den Nagel auf den Kopf traf und mir ungeahnte Schritte in ein neues Leben ermöglichte.

Da ich über viele Jahre Lebensmaximen gefolgt war, die sich vielleicht am ehesten mit dem Mythos von „Sex, Drugs & Rock 'n' Roll“ umschreiben lassen, hatte ich große Angst, das Gewohnte zu verlassen. Diese Haltung behinderte meinen Neuanfang. Ich verharrte, wohl wissend, dass mich das Nicht-Handeln in den Abgrund führen würde. Mein Zögern war in dieser Zeit mein größtes Hindernis. Das galt es zu beseitigen. Ich hatte überhaupt das Gefühl, in meinem Leben an einem Punkt angelangt zu sein, der nach einer dringenden und grundlegenden Korrektur geradezu schrie. Zugleich hielt mich die Angst, mit dem Neuanfang wieder etwas falsch zu machen, gefangen. Doch, was sagte mir dieser Satz „Es gibt keine Fehler, es gibt nur Erfahrungen“ in dieser Situation? Wenn es keine Fehler gibt, dann gibt es auch nichts, was ich falsch machen kann! Was bei meinem Neuanfang herauskommen würde, konnte und brauchte ich nicht zu wissen. Fest stand nur, dass eine Erfahrung dabei herauskommen würde. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Lektion. Eine Lernmöglichkeit. Eine Gelegenheit, zu wachsen, zu reifen und zu heilen. Diese Zusage erlebte ich als unendlich befreiend und verheißungsvoll. Dieser Satz gab mir den benötigten Tritt in den Allerwertesten und ermutigte mich, erste Schritte in meinem neuen Leben zu gehen.

Den meisten Menschen ist es nur sehr schwer möglich, ein Geschehen wertungsfrei wahrzunehmen. Zu tief sitzt die Gewohnheit, die Welt und unsere Erlebnisse in Kategorien von Gut und Schlecht, Falsch und Richtig einzuordnen. Dabei orientieren wir uns an erlernten Bewertungsmustern. Wir sind so verfangen in dem Kreislauf von Schuldzuweisungen und Projektionen, dass es uns unendlich fremd ist, einen urteilsfreien Blickwinkel für eine Erfahrung zu bekommen. Wir sagen: „Das ist gut“ oder „Das ist schlecht“. Wie wäre es stattdessen einfach: „Das ist jetzt so“, zu sagen.

Das Haupthindernis, sich der Tiefgründigkeit dieser Aussage zu nähern, ist unsere Konditionierung auf die moralische Bewertung einer Tat oder eines Ereignisses. Anzunehmen, dass alles, was geschieht, kein Fehler ist, ist für uns eine schwer zu akzeptierende Realität. Schwierig ist es vor allem dann, wenn wir etwas ablehnen, verurteilen oder „schlimm“ finden. Dabei kann sich die Fähigkeit, diesen „Fehler“ als reine und moralfreie Erfahrung umzuinterpretieren, als eine segensreiche Erweiterung unseres Bewusstseins erweisen und die Sichtweise auf unser Erleben öffnen, damit es frei wird für Wandlung und Transformation. Joseph Beuys schlug vor, dass wir fünfzig Jahre vorausdenken sollten und von dort unseren Blick auf das Erlebte richten – das würde die momentane Bewertung in der Regel sehr verändern. Es braucht anscheinend einen sehr weiten Blick und einen offenen Bewusstseinsraum, damit Erfahrungen in einem neuen Licht gesehen werden können.

Die moralische, verurteilende und bewertende Schuldzuweisung möchte uns im Alten festkleben. Sie weckt den Wunsch, etwas Geschehenes rückgängig zu machen – was nie gelingen kann. Die freudvolle Erinnerung möchte alles gute Erleben festhalten und wiederholen. Beide Gefühle widersprechen der Wahrheit des Jetzt. Es sind nur die ewig gleichen und oft sehr komplex und subtil versteckten Bemühungen unseres lieb gewonnenen Egotanzes, uns aus der Gegenwart zu zerren. Wenn wir uns im gegenwärtigen Augenblick sammeln und außerhalb von Vergangenheit und Zukunft bewegen, kann uns Wundersames, Merkwürdiges und Gleich-Gültiges passieren. Dem Fluss der Zeit und dem Rhythmus des Vergänglichen vertrauend können wir erleben, wie alles mit allem zusammenhängt und wie alles darin gleich gültig und gleich richtig ist. Es gibt keine Fehler!

Kolumnentitel

2. Instrument der Liebe

„Ewig bleibst du MEIN Instrument der Liebe.

Dein Lied ist noch nicht erklungen. Du übst noch

Tonleitern und entwickelst deinen richtigen Ton.“

Niemals kann ich aus dem Klangspiel des göttlichen Wirkens herausfallen. Der Sinn dieses Schöpfungsklangwerkes ist es, mit seinen heiligen Schwingungen alles zu erschaffen und in diesem Klang das alles Erschaffende zu sein. Immer und in allem, was ich bin, was ich empfinde, fühle, denke und wirke, bleibe ich mit dieser Dimension des Seins in Verbindung und bin sein schwingender Klangkörper in der Gestalt reiner Liebe.

Der Sufimystiker Mevlana Rumi sagt: „Du bist das Instrument, doch die Musik ist MEIN.“ Ich, Mensch, bin das Instrument und du, Gott, bist der Klang. Die scheinbare Trennung, die diese Aussage vielleicht vermuten lässt, stimmt und sie stimmt nicht. Ob ich als Instrument im Schöpfungsgeschehen durchtönt werde, oder ob ich als Ausdruck der einen Manifestation der göttlichen Wirklichkeit das Instrument bin, bleibt meiner Betrachtungs- oder Wahrnehmungsweise vorbehalten. Wenn ich die verschiedenen Perspektiven versöhnen kann, bin ich beides zugleich. Instrument des Heiligen und der darin sich manifestierende Klang, der in diesem Innenraum schwingt. Auf ewig bleibe ich beides. Zum einen das kostbare Gefäß in meiner raumzeitlichen, gegensätzlichen und vergänglichen Einzigartigkeit und zum anderen die harmonikale Melodie der Ganzheit in ihrer überraumzeitlichen, übergegenständlichen und unvergänglichen Natur.

Erklingend als vorübergehender, unwiederholbarer Ausdruck der über Raum und Zeit hinausgehenden Wahrheit, bleibe ich im Erscheinen meines persönlichen Lebensliedes der unwandelbare Klang und die Bewegung, die als Schwingung und Licht alles durchdringt. Unvergänglich vergänglich erschafft das heilige Mysterium den entstehenden und versinkenden Kosmos. In dieser doppelten Weise manifestiert sich der Spannungsbogen meines Lebens und seine scheinbare Ambivalenz. Die gegensätzlich erscheinende Wahrheit verbindet sich in dem Annehmen beider Aspekte dieser Wirklichkeit zu einem Gesamtklang meines Lebens in Zeit und Raum und darüber hinaus. Mein Lied ist darin der „rote Faden“, meine eigentliche Gestalt, mein Vermächtnis oder meine einzigartige und persönliche Berufung. Mein Lebensvollzug ist der Original-Klang der in mir angelegten Seinsbestimmung, die ich realisieren kann, um sie hier im Alltag sichtbar werden zu lassen.

Mein werdeseiendes Leben vollzieht sich in der Wesenstiefe des Namens, mit dem ich gerufen bin. Mit meinem Namen gebe ich Antwort auf die Grundfrage: „Mensch, wo bist du?“ Alle körperlichen, biografischen oder psychosozialen Prägungen wollen in dieses heilige Geschehen integriert sein. Alles persönliche Leiden will Quelle der Erneuerung, der Weitung und der Vertiefung meines Lebens werden. Diese Entwicklung geschieht oftmals in unerwarteten und sprunghaft erscheinenden Prozessen, Stufen oder Zyklen. Jede einzelne Erfahrung will eingeübt, erlebt und integriert werden. Wie beim sorgfältigen und geduldigen Erarbeiten eines Musikstückes. Aus dem Erfahrenen erwächst die Berührung mit der einen Wirklichkeit und ordnet, von dort herkommend, jedes noch so unscheinbare Ereignis in diesen Lebensentfaltungsplan mit ein. Mit Zuversicht und Kraft kann ich mich dankbar dem Klang der Schöpfung öffnen, meinen individuellen Ton formen und die in mir angelegte Lebensmelodie in dieser Welt zum Erklingen bringen. Und was sagte mir meine erste spirituelle Lehrerin? „Geh die kleinen Schritte – im Vertrauen eines Kindes. Schritt für Schritt. Atemzug für Atemzug. Augenblick für Augenblick.“

Kolumnentitel

3. Heiliger Atem

„Heiliger Wind ist an diesem Ort.

ICH BIN da und will es sein, der ihn weiterträgt.“