»Manches, was man als Kind erlebt hat, erhält seinen Sinn erst nach vielen Jahren. Und vieles, was uns später geschieht, bliebe ohne die Erinnerung an unsere Kindheit so gut wie unverständlich. Unsere Jahre und Jahrzehnte greifen ineinander wie die Finger beim Händefalten. Alles hängt mit allem zusammen.«

Erich Kästner | deutscher Schriftsteller (1899–1974)

Vorwort

Vorschulkinder sind zu beneiden: Sie lernen mit Begeisterung und ohne Zeitdruck. Alles ist für sie neu und spannend. Noten und Lernkontrollen spielen noch keine Rolle: Sie überprüfen selbst, was sie gelernt haben, und sind stolz auf sich. Diese Begeisterung steckt an und ist auch für Eltern eine Chance, viele Dinge aus der eigenen Kindheit wiederzuentdecken.

Mit manchen Vorschlägen in diesem Buch werden Sie sofort einverstanden sein. Andere, ungewöhnlichere regen vielleicht erst auf den zweiten Blick zum Nachdenken an.

Die »hundert Dinge« sind kein Pflichtprogramm, sie wollen vielmehr inspirieren und Orientierung geben. Und sie helfen Ihrem Kind dabei, sich in seiner bekannten und seiner neuen Umgebung sicher zurechtzufinden, wenn es in die Schule kommt.

Dr. Birgit Ebbert

So gelingt der Schulstart spielend

Auf einem Mäuerchen balancieren, Reime bilden, sich etwas trauen, alleine woanders übernachten: Solche und viele andere Fähigkeiten kann Ihr Kind ganz nebenbei lernen – am besten mit Ihrer Anregung und Begleitung. So fördern Sie grundlegende Fähigkeiten, die immens wichtig sind, damit Ihr Kind an seinem ersten Schultag gut auf die neuen Anforderungen vorbereitet ist.

Besonders seit den PISA-Studien wird über gezielte Förderung schon im Kindergarten viel diskutiert. Oft wird dabei vergessen, dass Kinder dann am besten lernen, wenn ihre Entdeckerfreude geweckt und gefördert wird – und sie noch Kinder bleiben dürfen. Nur mit genügend Selbstvertrauen sowie Möglichkeiten, sich spielerisch zu erproben und in einer Gemeinschaft zurechtzukommen, können sie später auch den »Ernst des Lebens« meistern.

Nehmen Sie also Ihr Kind bei der Hand, aber lassen Sie es auch seine eigenen Erfahrungen machen. Wie Sie ihm in dieser aufregenden Zeit ein guter Begleiter bei seinen Schritten in die Welt hinaus sein können, erfahren Sie in diesem GU-Ratgeber.

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1 Auf dem Weg zum Schulkind

➔ »Mama, da ist ein Clown«, ruft die vierjährige Lara, läuft über die Wiese und schaut sich gemeinsam mit anderen Kindern die Vorführung an – die zweijährige Sina bleibt lieber an Mamas Hand. Ab dem vierten Lebensjahr wagt ein Kind alleine Schritte ins Leben. Bis dahin muss es viele Fähigkeiten entwickeln.

Vom Kleinkind zum Vorschulkind

Ein Kindergartenkind unterscheidet sich von einem Kleinkind vor allem dadurch, dass es neugieriger, selbstständiger und UNABHÄNGIGER geworden ist. Es kann sicher gehen und sprechen und verliert zunehmend die Scheu vor anderen Menschen. Die meisten Kinder tragen keine Windel mehr, wenn sie in den Kindergarten kommen, sie sind freier in ihren Bewegungen und nicht mehr auf einen Erwachsenen angewiesen, der ihnen die Windel wechselt. Sie haben das Kleinkindstadium hinter sich gelassen. Am Ende des dritten Lebensjahrs können Kinder in der Regel stabil sitzen und im Laufen ein Ziel ansteuern. Sie bewegen Hände und Füße nicht mehr zufällig, sondern setzen sie bewusst ein, etwa um einen Ball in eine bestimmte Richtung zu kicken oder den Deckel von einem Behälter abzuschrauben.

Wenn Ihr Kind in die Schule kommt, hat es mit Ihrer Begleitung schon UNENDLICH VIEL GELERNT. Alles aufzuzählen, was Kinder auf der ganzen Welt in ihren ersten Lebensjahren lernen, würde mehrere Bücher füllen. Je nachdem, in welchem Land und welcher Region ein Kind aufwächst, ob es in der Stadt oder auf dem Land wohnt, ob es in einer großen oder kleinen Familie lebt, die Großeltern gleich nebenan oder viele Kilometer entfernt sind, lernt es unterschiedliche Dinge.

Eigene Entscheidungen treffen

Vorschulkinder beginnen, in vielen Dingen ihren eigenen Geschmack zu entwickeln. Sie wollen selbst bestimmen, welche Poster über ihrem Bett hängen und ob die Schuhe Riemchen oder Klettverschluss haben. Jede Entscheidung eines Kindes, die seine Eltern annehmen, stärkt es in dem BEWUSSTSEIN FÜR SICH SELBST. Das heißt nicht, dass Sie als Eltern alles hinnehmen müssen. Sagen Sie auch Ihre Meinung, damit Ihr Kind erkennt, dass es verschiedene Einstellungen zu einer Sache geben kann.

Mehr Eigenständigkeit

Wenn Ihr Kind mit drei oder vier Jahren in den Kindergarten kommt, hat es bereits eine wichtige Erkenntnis hinter sich: Es kennt sich selbst! Es lernt nun, dass es ein eigenständiger Mensch ist. Ihr Kind weiß, dass es »ich« ist, und setzt das so oft wie möglich ein. Deshalb bleiben auch gelegentliche Trotzanfälle und Wutausbrüche nicht aus. Schließlich hat Ihr Kind gerade gelernt, dass es etwas bewirken kann. Mehr noch, es hat festgestellt, dass es etwas planen kann. Wer sich ihm in den Weg stellt, muss mit Gegenwehr rechnen!

Zunächst ist Ihr Kind noch nicht so weit, dass es einen Ausweg findet, wenn sein Plan gestört wird oder ein Wunsch nicht oder nicht sofort erfüllt wird. Begriffe wie »später« oder »morgen« bedeuten ihm noch nichts. Dann schreit und schimpft es eben, auch wenn die Trotzphase eigentlich bereits vorüber ist.

Bis zur Einschulung sollte Ihr Kind im Alltag wissen, was es will. Es sollte warten können, bis ein Wunsch erfüllt wird.

Allerdings müssen Sie ihm erklären, aus welchem Grund es noch etwas dauert, bis es ein Eis gibt oder bis die Oma anreist. Ein unbegründetes Nein zählt nicht. Ihr Kind muss erfahren, dass Sie seine Wünsche ernst nehmen – ob diese nun erfüllt werden (können) oder nicht. Schlagen Sie Ihrem Kind aber nicht zu viele Wünsche ab, denn je mehr Bestätigung seiner Selbstwirksamkeit (siehe >) es erhält, umso selbstständiger und unabhängiger kann es werden und umso besser wird es im Leben zurechtkommen.

Vorschulkinder müssen und wollen den Kreis, in dem sie aktiv sind, erweitern. Sie möchten Freunde besuchen oder bei der Tante übernachten. Um diese Wünsche umzusetzen, müssen sie ein stabiles SELBSTVERTRAUEN aufbauen und unabhängiger von den Eltern werden. Sie müssen eigenständig tägliche Routinen erledigen können wie die Zähne putzen, sich an- und ausziehen, sich kämmen oder zur Toilette gehen. Nur wer alltägliche Dinge eigenständig erledigen kann, fühlt sich auch in einer neuen, unbekannten Umgebung sicher, etwa wenn er zu Besuch im Haus des besten Freundes ist.

Mit sich und anderen klarkommen

In der Familie entwickelt Ihr Kind seine Persönlichkeit, es erlernt und übt die Regeln des Zusammenlebens. Im Kindergarten kann es beides dann in einem größeren Umfeld erproben.

Persönlichkeit

Ihr Kind lernt, dass es eine eigenständige Persönlichkeit ist. Es muss wissen, was es kann und was (noch) nicht. Nur mit einem guten Selbstvertrauen kann es IN EINER GRUPPE BESTEHEN und sich wohlfühlen, besonders als Neuankömmling.

Gerade Kinder mit älteren Geschwistern freuen sich, wenn ihr Babydasein ein Ende hat. Einzelkinder dagegen tun sich oft schwer damit, nun nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Sie sollten schon vor dem Kindergarteneintritt möglichst viel Kontakt zu anderen Kindern haben.

Soziale Kompetenz

Regeln bestimmen das Zusammenleben. Ihr Kind erlebt und lernt solche Regeln zunächst in der Familie. In Kindergarten und Schule werden sie auf eine größere Gruppe ausgeweitet. Nun erfahren Kinder, dass es Regeln gibt, an die sich alle halten müssen, auch kleine Prinzen und Prinzessinnen. Sie lernen, Rücksicht auf andere zu nehmen, eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückzustellen. Für Kinder mit Geschwistern ist das meist kein Problem – sie haben schon erfahren, dass man manchmal warten muss. Sie können sich oft auch gut in andere hineinfühlen. Diese Fähigkeit, genannt Empathie, ist notwendig, um Rücksicht zu nehmen und Kompromisse zu schließen. Außerhalb der Familie fällt es vielen Kindern noch leichter, diese Fähigkeit zu üben und zu vertiefen.

Gerade für Einzelkinder ist die Erfahrung wichtig, dass ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht immer sofort erfüllt werden. So tun sie sich später in einer Gruppe leichter. Ein Kind, das einen Wunsch zurückstellen muss, erlebt seine erste Enttäuschung.

Aber es merkt gleichzeitig auch, dass EINE ENTTÄUSCHUNG gar nicht so schlimm ist, weil bald wieder andere Dinge geschehen, die ebenso reizvoll sind. Diese Fähigkeit nennt man »Frustrationstoleranz« – jeder Mensch braucht sie sein Leben lang täglich. Es lohnt sich also, wenn ein Kind im Schonraum der Familie lernt, mit Enttäuschungen klarzukommen.

Körper und Sinne trainieren

Mit seinem Körper und seinen Sinnen macht Ihr Kind neue Erfahrungen und lernt täglich dazu – sein Leben lang. Deshalb ist es wichtig, Körper und Sinne Ihres Kindes anzuregen und zu fordern.

Grobmotorik

Als Grobmotorik werden die Bewegungen des ganzen Körpers oder einzelner größerer Körperteile wie Arme und Beine bezeichnet. Ihr Kind lernt durch BEWEGUNGSERFAHRUNGEN, seinen Körper sowie Arme und Beine bewusst und gezielt einzusetzen. Am besten kann es diese Erfahrungen draußen machen: beim Balancieren auf einem Baumstamm, beim Schaukeln und Wippen, beim Klettern auf dem Klettergerüst, beim Rennen, Toben, Ballspielen ...

All das macht Kindern genauso viel Spaß und ist genauso wichtig wie zum Beispiel das Hantieren mit Stiften, Schere und Pinsel. Zwar wird Ihr Kind in der Schule am Tisch sitzen und viel mit Stift und Papier arbeiten. Doch seine vielfältigen Bewegungserfahrungen werden ihm dabei helfen, auch abstrakte Aufgaben zu meistern: Wenn es zum Beispiel in Mathe um die Geschwindigkeit eines Zuges geht, ist es sehr hilfreich, wenn Ihr Kind schon Erfahrungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gemacht hat, etwa beim Laufen oder beim Radfahren. Es kann sich durch seine Klettererlebnisse Höhen besser vorstellen und Perspektiven unterscheiden.

Davon abgesehen sind Kinder, die sich viel bewegen, in der Regel ausgeglichener und zufriedener und können sich besser konzentrieren. Je mehr Kletter- und Lauferlebnisse Ihr Kind hat, umso besser ist es für das Lernen in der Schule gewappnet.

Feinmotorik

Die Bewegungen der Finger bezeichnet man als Feinmotorik. Die Finger gezielt einsetzen zu können ist wichtig für viele Alltagsaufgaben. Ihr Kind hat dies schon als Baby gelernt und verfeinert seine Fingerfertigkeit bei jeder »Anfass-Aufgabe«, die Sie ihm stellen. Schon im Kindergarten sollte Ihr Kind lernen, SEINE FINGER GEZIELT EINZUSETZEN. In der Schule tut es sich dann erheblich leichter beim Schreiben, Basteln, Malen und Handwerken. Natürlich braucht es diese Fähigkeit auch später im Beruf.

Der Kindergarten bringt nicht nur neue Erfahrungen mit anderen Kindern mit sich. Besonders angetan sind die meisten Kinder von den vielen verschiedenen Malutensilien, die es hier gibt. Begeistert probieren sie dicke und dünne Filzstifte, Wachsmalkreide, Buntstifte und die unterschiedlichen Pinsel aus. Die Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten fördern das Malen, denn schließlich trainieren die Kinder dabei die gezielten Bewegungen ihrer Finger sowie die Koordination von Hand und Auge – Fähigkeiten, die nicht nur beim Malen wichtig sind, sondern auch in vielen anderen Lebensbereichen. Je früher Ihr Kind beginnt, sie zu trainieren, umso sicherer beherrscht es sie.

Die Sinne nutzen

Um mitzubekommen, was in seiner Umgebung geschieht, braucht Ihr Kind seine Sinne. Während es den ganzen Körper nutzt, um die Welt zu erobern, setzt es Ohren, Augen, Nase, Mund und Haut ein, UM DIE WELT ZU BEGREIFEN, um Personen, Gegenstände und Materialien einzuordnen, sich im Raum zu orientieren und sein Gleichgewicht zu halten. Da für Ihr Kind vieles neu ist, nimmt es genauer wahr als ein Erwachsener und überprüft, was es wahrgenommen hat. Dabei sucht es ständig nach Erinnerungen an ähnliche Bilder, Geräusche, Gerüche oder Berührungen, um die Welt zu verstehen.

Ein Kind sieht, hört, riecht und schmeckt von alleine. Dazu benötigt es keine besondere Förderung, nur viele Anregungen.

Wenn Ihr Kind zum Beispiel beim Malen feststellt, dass die Farbe mal aus einem Stift und dann wieder aus einer Dose kommt, erlebt es, dass unterschiedliche Dinge eine ähnliche Wirkung haben können. Nebenher vergleicht es außerdem die BESCHAFFENHEIT der Fingerfarbe mit ähnlich aussehenden Dingen, die es kennt: Joghurt oder Quark zum Beispiel. Fühlt sich Joghurt genauso an wie Fingerfarbe? Kann man damit auch malen? Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihr Kindergartenkind plötzlich mit Joghurt als Farbe -experimentiert. Lassen Sie Ihrem kleinen Forscher in einem vernünftigen Rahmen genug Spielraum, um sich spannende eigene Erkenntnisse zu verschaffen.

Ihr Vorschulkind sucht sich aus, was es anschauen, anfassen, hören oder beschnuppern möchte, und geht ganz in dieser Wahrnehmung auf. Das ist wichtig, damit es sich später auf die Worte der Lehrerin oder ein bestimmtes Wort im Buch konzentrieren kann. Allerdings wird die gezielte Wahrnehmung im Vorschulalter meist noch gestört, wenn etwas auftaucht, das die Gefühle der Kinder anspricht: Dann können sie ihre Wahrnehmung kaum noch steuern, sondern richten ihre Aufmerksamkeit beinahe automatisch auf die interessante Neuigkeit.

Selbstständig werden

Wenn Ihr Kind in die Schule kommt, muss es im Alltag viele Dinge eigenständig bewältigen. Es lernt jetzt nach und nach, sich auch ohne die Eltern in seiner kleinen Welt zurechtzufinden. Dabei entwickelt es eine Menge Selbstvertrauen.

Denken und Sprechen

Denken kann jeder. Allerdings lernt Ihr Kind erst im Vorschulalter, sich gezielt Gedanken über etwas zu machen. Nach und nach entwickelt es die Fähigkeit, Sachverhalte miteinander zu verknüpfen und zu einem Ergebnis zu kommen.

Ihr Kind tut manchmal Dinge, die Sie merkwürdig oder SKURRIL finden? Damit zeigt es Ihnen, dass es langsam beginnt, LOGISCH zu denken. Es ahnt eine Beziehung zwischen zwei verschiedenen Dingen und möchte dies überprüfen.

Nichts anderes tun wir den ganzen Tag: Wir geraten in eine neue Situation, vergleichen sie mit etwas, das wir kennen, ziehen unsere Schlüsse und handeln: Zum Beispiel finden wir bei einer fremden Stereoanlage den Knopf zum Einschalten, auch wenn sie anders aussieht als unsere. Bei Erwachsenen geschieht das recht automatisch, doch so weit ist ein Vorschulkind noch nicht. Es will sehen, fühlen, riechen und schmecken und legt sich so einen Erfahrungsschatz im Kopf an. Je größer sein Wissensvorrat, umso einfacher hat Ihr Kind es in der Schule. Denn je besser es an Vorhandenes anknüpfen kann, umso leichter lernt es Neues dazu.

Denken ist also auch die Voraussetzung für das Sprechen. Ein Vorschulkind hat sich bereits viele Grundlagen der Sprache angeeignet. Es probiert sie nun aus, formuliert Fragen und Antworten. Dabei spielt es mit seiner Stimme, bis es die Klangfarben, die es bei den Erwachsenen hört, hinbekommt. Es entdeckt außerdem, dass nicht nur das wichtig ist, was gesagt wird: Auch die Stimmung des Sprechenden, die sich in Mimik, Körpersprache und Stimme ausdrückt, entgeht ihm nicht, ebenso wenig wie Botschaften »zwischen den Zeilen«. Daher ist zum Beispiel ein »Nein« kaum wirksam, wenn Sie es lächelnd sagen.

Auch diese Art der Kommunikation kann Ihr Kind nur im Miteinander lernen. Je vielfältiger Ihre Ausdrucksmöglichkeiten sind, umso kreativer und gewandter wird auch Ihr Kind mit Sprache umgehen.

Ein Vorschulkind entdeckt, wie es Sprache für den Austausch mit anderen einsetzen kann. Es erkennt auch den AUFBAU DER SPRACHE und spielt damit. So fällt ihm bei zwei Reimwörtern auf, dass die Wörter fast gleich klingen und nur der Anfangslaut verschieden ist. Kinder lieben deftige Reime wie zum Beispiel »heiß – Scheiß«. Lassen Sie Ihr Kind ruhig gewähren, denn so findet es Spaß an der Sprache. Je mehr Gemeinsamkeiten von Wörtern es entdeckt, umso größer wird sein Wortschatz und umso leichter fällt es ihm, aufgrund von WIEDERKEHRENDEN MUSTERN auch richtig zu schreiben. Obwohl Kinder im Vorschulalter nur über einen kleinen Wortschatz verfügen, können sie sich bereits unterhalten und ihre Wünsche formulieren. Je nach dem Stand ihrer sprachlichen Entwicklung gehen sie auch schon sicher mit den verschiedenen Fällen der Hauptwörter um. Manche Kinder bilden sogar richtig lange Sätze.

Sprache besteht für ein Kind zunächst aus Lauten, die es hört. Beim Vorlesen entdeckt es, dass es einen Zusammenhang zwischen den Lauten und den Zeichen im Buch gibt. Es wird neugierig und beginnt zu forschen. Dabei fängt es meist mit einzelnen Buchstaben oder Buchstabengruppen an. Ein Kind, das beim Stadtbummel Buchstaben oder auch Symbole auf Schildern erkennt, hat seinen ersten Schritt auf dem Weg zum Leser gemacht.

Zeitliche Abläufe verstehen

Alle Eltern erleben das: Sie fordern ihr Vorschulkind auf, etwas zu tun, und nichts geschieht; Ärger scheint vorprogrammiert. Dabei handelt es sich einfach um ein Missverständnis: Kinder bis etwa zur Einschulung können noch keine Verbindung zwischen Gegenwart und Zukunft herstellen. Sie verstehen zum Beispiel nicht, wie das Anziehen der Schuhe mit der nahenden Abfahrt des Zuges zusammenhängt. Diesem Phänomen sind amerikanische Wissenschaftler auf die Spur gekommen. Ihr Experiment mit 34 Kindern zeigt, wie sich Eltern AUF DAS DENKEN DES KINDES EINSTELLEN können. Statt »Nimm deine Jacke mit, sonst frierst du« sollten sie sagen: »Wenn dir kalt wird: Hier liegt deine Jacke.«

Kleine Aufgaben übernehmen

Mit der Einschulung übernimmt Ihr Kind wesentlich mehr Verantwortung als bisher: Es soll mit Heften, Büchern und Stiften sorgsam umgehen. Es muss sich an Termine und Uhrzeiten halten. Kleine Aufgaben wie Tafelputzen oder Kreideholen wollen erledigt werden. Und schließlich übernimmt Ihr Kind nun Verantwortung für seine Bildung, indem es Hausaufgaben macht, für Lernproben oder eine Theateraufführung lernt. Mit kleinen Aufgaben in der Familie bereiten Sie es auf die neuen Pflichten vor.

In der Welt zurechtkommen

In der Familie und im Kindergarten erlebt Ihr Kind einen geschützten Rahmen, in dem auf seine Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Doch um sich zu einem selbstbewussten und lebenstüchtigen Menschen zu entwickeln, muss Ihr Kind sich aus diesem Schonraum Schritt für Schritt HINAUSWAGEN IN DIE WELT.

Unterstützen Sie es nach Kräften dabei!

Konzentriert lernen

Konzentration bedeutet, die Aufmerksamkeit gezielt auf eine Aufgabe, ein Geräusch, ein Musikstück, ein Gespräch, ein Bild oder etwas anderes zu richten. Zu dieser Fähigkeit gehört auch, andere Gedanken und Wahrnehmungen vorübergehend beiseiteschieben zu können. Die Zeitspanne, in der Ihr Kind sich konzentrieren kann, nimmt nach und nach zu. Im Alter von fünf bis sieben Jahren sollte es sich eine Viertelstunde lang aufmerksam mit etwas beschäftigen können. Die Fähigkeit zur Konzentration lässt sich trainieren.

Was die Aufmerksamkeitsspanne betrifft, gibt es große Unterschiede zwischen den Kindern. Während das eine sich fast eine Stunde lang mit seinen Sammelkarten beschäftigen und dabei die Welt um sich herum vergessen kann, schweift das andere nach zehn Minuten mit seinen Gedanken und seiner Aufmerksamkeit ab. Da genügt es schon, wenn draußen ein Hund bellt, dass das Kind aufspringt und nachschaut, was da vor sich geht. Im Kindergartenalter ist das noch kein großes Problem. Doch je näher die Einschulung rückt, umso wichtiger wird es, dass ein Vorschulkind eine Aufgabe oder ein Spiel auch zu Ende bringen kann, denn die Konzentrationsfähigkeit ist eine der wichtigsten Grundlagen für Erfolg in der Schule.

Das Schulwissen an sich wird natürlich erst in der Schule vermittelt. Doch setzen Lehrerinnen und Lehrer voraus, dass Ihr Kind bereits Kenntnisse mitbringt, zum Beispiel über den Aufbau der Sprache oder über die Zahlen. Die Voraussetzungen dafür eignen sich Kinder oft aus eigenem Antrieb an: Sobald sie feststellen, dass bestimmte ZEICHEN UND SYMBOLE in ihrer Umgebung immer wieder auftauchen, wollen sie hinter deren Bedeutung kommen und werden zu wahren Bilderjägern. Viele entdecken jetzt ihre Leidenschaft für Automarken, oft durch die großen Geschwister. Nun zählen sie Autos, auf denen das gleiche Zeichen ist wie auf dem Familienauto. Andere Kinder begnügen sich zunächst mit dem Apotheken-A oder mit dem Anfangsbuchstaben ihres Vornamens.

Sich in der Erwachsenenwelt zurechtfinden

Ihr Kind wächst in einer Welt auf, die vor allem von den Regeln, Vorlieben und Bedürfnissen der Erwachsenen geprägt ist. Je älter es wird, umso mehr freut es sich darüber, ein Teil dieser Welt zu sein und immer aktiver an ihr teilzunehmen. Dies kann es vor allem dort besonders gut tun, wo diese beiden Welten sich treffen.

Mit dem täglichen Weg zum Kindergarten beginnt der Ausflug in die »große weite Welt«, mit dem Essen in einem richtigen Restaurant oder beim Einkauf im Supermarkt wird der Blickwinkel immer weiter. Bei diesen Gelegenheiten darf Ihr Kind auch schon mitentscheiden: Es kann zum Beispiel beim freundlichen Kellner selbst sein Essen bestellen und im Supermarkt MITENTSCHEIDEN, welche Nudeln fürs Abendessen gekauft werden. Das ist wichtig, damit Ihr Kind sich in der Welt zurechtfindet und selbstständig wird.

Für viele Eltern ist die wachsende Selbstständigkeit ihres Kindes auch eine Erleichterung: Wenn die kleine Tochter mal bei der besten Freundin übernachtet oder der Sohn mit der Familie seines Freundes einen Ausflug macht, können sie sich ein paar gemütliche Stunden zu zweit gönnen oder in Ruhe ihren eigenen Interessen nachgehen. Besonders Eltern von sehr temperamentvollen Kindern, die im Alltag viel Aufmerksamkeit fordern, wissen dies zu schätzen.

Andererseits ist es auch schön, mit den größer werdenden Kindern immer mehr Dinge gemeinsam unternehmen zu können, die den Kleinen ebenso wie den Großen Spaß machen: zum Beispiel am Tag der offenen Tür die FEUERWEHR oder die Polizei besuchen, zusammen die Feuerspritze oder die Hubschrauber zu bestaunen und spannende Infos von den Fachleuten zu erfragen. Die allerersten THEATERBESUCHE mit Kind sind ebenfalls aufregend, auch wenn es zunächst »nur« eine Märchenaufführung oder ein Stück im Marionettentheater ist. Ihr Kind muss noch viel lernen – obwohl es doch schon so viel kann, wenn man es mit einem Säugling vergleicht. Vieles eignet sich ein Vorschulkind wie früher als Baby von ganz alleine an. Entscheidend ist aber, welche Anreize es aus seinem Umfeld erhält und wie dieses gestaltet ist. Für eine anregende, das Lernen fördernde Umgebung können Sie gemeinsam mit dem Kindergarten, den Großeltern und Ihren Freunden sorgen. Dieses Buch möchte Sie dabei unterstützen.

Wie Sie Ihr Vorschulkind fördern können

Je mehr Anregungen Sie Ihrem Kind geben, umso selbstständiger wird es und umso besser kann es sich in der Gruppe behaupten: Unter Vorschulkindern ist derjenige interessant, der etwas hat, kann oder weiß, das neu und unbekannt ist. Sicher sind Sie bereits auf dem richtigen Weg, damit Ihr Kind den Sprung vom Kindergartenkind zum selbstständigen, selbstbewussten, geschickten und cleveren Schulkind gut schafft.

Ein Leitfaden fürs Lernen

Gerade die oft sehr unterschiedlichen Lebensumstände von Familien haben dazu geführt, dass in den letzten Jahren die Bildung und Förderung vor der Schule in den Blick genommen wurde. Zu unterschiedlich waren die Fähigkeiten, die Kinder am ersten Schultag mitbrachten.

So kennen manche Kinder bei der Einschulung schon alle Buchstaben, etwa weil sie diese von den älteren Geschwistern gelernt haben. Ein Kind, dessen Großeltern einen Bauernhof haben, weiß, woher Milch und Eier kommen. Mit kleineren Geschwistern lernt ein Kind, Rücksicht auf andere zu nehmen und auch einmal zurückzustecken. Ganz anders etwa das einzige Kind einer alleinerziehenden Mutter, das in einer Stadtwohnung aufwächst. Möglicherweise kennt es bisher nur die Buchstaben M (vom Fast-Food-Restaurant) und A (von der Apotheke). Dafür kann es aber vielleicht bereits alleine mit dem Zug fahren, weil es schon als Fünfjähriger regelmäßig den Vater besuchte.

»Was ein Mensch in seiner Kindheit aus der Luft der Zeit in sein Blut genommen, bleibt unausscheidbar.«

[ Stefan Zweig | österreichischer Schriftsteller (1881–1942) ]

Damit alle Kinder in der Schule gut vorankommen und Freude am Lernen entwickeln, wurden in den letzten Jahren Bildungspläne für Vorschulkinder erarbeitet. Sie enthalten eine Fülle von Dingen, die ein Kind beherrschen sollte, wenn es in die Schule kommt. Manches davon ist in allen Familien selbstverständlich, anderes ist neu, zumindest für manche Kinder, Familien und Regionen. In den Bildungsplänen stehen MEHR ALS HUNDERT DINGE, aber oft sind sie so ungenau formuliert, dass Eltern wenig damit anfangen können. Aus den langen Listen habe ich 100 Dinge ausgewählt und in konkrete Erlebnisse für Kind und Familie übersetzt:

Je mehr Erlebnisse und Erfahrungen Ihr Kind vor der Schule ohne Notenkampf und Zeitdruck machen darf, umso leichter fällt ihm später das Lernen in der Schule!

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2 Meine Familie, meine Freunde und ich

Die Familie ist der sichere Hort für Ihr Kind und zugleich sein erstes Experimentierfeld. Hier erlebt es, wie Menschen miteinander umgehen, womit sie sich beschäftigen, wie sie sprechen und sich bewegen. Sobald Ihr Kind sein Umfeld erweitert, wird es neue Regeln oder Verhaltensweisen mitbringen.

Persönlichkeit entwickeln