Kristian Fechtner

Was tun die Engel am
Weihnachtsmorgen?

Biblische Beobachtungen für Ausgeschlafene

Blume

Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: agentur IDee

Umschlagfoto: © corbis

Motive Innenteil: © shutterstock

Innengestaltung: agentur Idee

ISBN (E-Book) 978-3-451-80038-2

ISBN (Buch) 978-3-451-61213-8

Inhalt

I. Die Weihnachtsgeschichte

II. Was tun die Engel am Weihnachtsmorgen?

III. Der Weihnachtsmorgen. Biblische Betrachtungen

1. Vom Himmel hoch, da komm’ ich her

2. Und sie wunderten sich sehr

3. Die Freundlichkeit Gottes

4. Raum für die Sehnsucht

5. Was wir feiern, wenn wir Weihnachten feiern

6. Engelswort und Gottes Zorn

7. Das Lachen der Seele

8. Himmelskinder

9. Was am Anfang war

10. Josef bleibt

IV. Anhang

9783451800382_p008_part1.jpg

Es begab sich aber zu der Zeit…

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.

Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.

Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seiner Stadt.

Da machte sich auf auch Josef aus Galiäa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,

damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger.

Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.

Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.

Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.

Und der Engel sprach zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;

Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.«

Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:

»Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.«

(Lukas 2,1-14)

9783451800382_p012_part2.jpg

Wer weiß schon, was die Engel tun, nachdem sie die Botschaft verkündet haben. In der Geschichte der Heiligen Nacht jedenfalls erfahren wir nur, dass sie wieder »gen Himmel fuhren« (Lukas 2,15). Das Geschehen der Heiligen Nacht wird im Folgenden bei Lichte betrachtet, am Morgen danach, am Weihnachtsmorgen. Die Engel sind schon wieder verschwunden, aber wir können nun wahrnehmen, welche Wirkung sie und ihre Worte hinterlassen. Dafür muss man sehr genau schauen, um die Spuren und Eindrücke der Weihnachtsboten zu erkennen. So wie bei dem Engel auf der Vorderseite des Buches, dessen Konturen im Schnee sichtbar werden, auch wenn wir ihn selbst nicht zu Gesicht bekommen haben.

Es braucht einen Moment Ruhe und Abstand, um zu erfassen, was passiert und wie es zu verstehen ist. Zu den Festtagen gehören ihre Nischen – wenn nichts zu tun ist, wenn Zeit ist zu lesen und in eigenen Gedanken zu sein. Für diese Zeiten sind die biblischen Beobachtungen dieses Buches gedacht. Sie gehen an den biblischen Texten entlang, die unser Weihnachtsfest ausmachen:

Die Geburtsgeschichte Jesu, wie sie die Evangelisten Lukas und Matthäus erzählen; der Anfang des Johannes-Evangeliums mit seinem Wort vom Anfang und vom Licht, das in der Finsternis scheint; die Verheißung des Propheten Micha, die auf Bethlehem hinweist; auch einzelne, eher unvertraute Verse aus neutestamentlichen Briefen, die von alters her auf das Christfest bezogen worden sind: von der Freundlichkeit Gottes und von der Himmelskindschaft.

Die in der Bibel überlieferten Worte und Motive sollen transparent werden für das, was sie heute für uns bedeuten können. In ihnen scheint − wenn man sie hin und her bewegt, ihnen nachgeht und sie mit Glaubenssinn betrachtet – etwas von unseren Erfahrungen durch und es scheint etwas auf vom Geheimnis unseres Lebens.

Weihnachten ist das Fest der Feste in unserem Kulturkreis. Dies gilt gesellschaftlich und kirchlich, dies gilt aber vor allem persönlich. Sich biblisch zu vergewissern, warum dies so ist, ist das Anliegen des kleinen Weihnachtslesebüchleins. Deshalb liest man hier auch nichts von Weihnachtswichteln und roten Rentiernasen, wohl aber vom Glanz der Engel und vom göttlichen Kind in der Krippe. Weihnachten sitzt im Gefühl und im Gemüt, aber es gibt auch zu denken und etwas zu verstehen.

Beim Verfassen der Texte habe ich an ganz unterschiedliche Leserinnen und Leser gedacht. Der eine mag spirituell feinsinnig sein, die andere sich übers Jahr als eher religiös unmusikalisch empfinden. Und doch treffen sie sich an dieser einen Stelle. Die biblischen Weihnachtsgedanken in zehn Kapiteln sind für Zeitgenossinnen und Zeitgenossen geschrieben, die wenig mehr mitbringen müssen, als empfänglich zu sein für dieses besondere Fest. Sie gehen zurück auf Predigten, die ich in den vergangenen Jahren am ersten Festtag im Universitätsgottesdienst in Mainz gehalten habe. Sie bilden einen thematischen Bogen, können aber auch jeweils einzeln gelesen werden.

Die Mainzer Universitätsgottesdienste sind musikalisch reich gestaltet. So mag beim Lesen eine Weihnachtskantate Johann Sebastian Bachs oder ein Weihnachtslied Martin Luthers mitklingen – oder ein anderes der Lieder, die auch Engel gerne singen.

Kristian Fechtner

Gott, heilig und gnädig.

Jahr um Jahr wird mir die Geschichte von der Geburt des göttlichen Kindes erzählt.

Jahr um Jahr sehne ich mich

nach dem Licht, das in der Finsternis scheint – in der Welt

und in meinem Herzen.

Ich bitte dich, Gott,

um dieses Licht.

Nimm von mir Härte

und Überdruss.

Nimm weg,

was mir den Blick verstellt

auf die Krippe,

auf andere Menschen,

auf mich selbst.

Schenke mir wache Sinne und einen offenen Verstand,

damit ich Weihnachten

empfinden kann.

Ich möchte die Botschaft

der Engel hören.

9783451800382_p020_part3.jpg

9783451800382_p021_kap1.jpg

Hören, singen und sagen sind die weihnachtlichen Tätigkeiten. Wir hören die Geschichte: »Es begab sich aber zu der Zeit …«. Satz um Satz entfaltet der Evangelist Lukas die Szene, die uns zur Heiligen Nacht geworden ist. Und dann singen wir, was wir vom Hörensagen erfahren haben. Seit annähernd fünfhundert Jahren gehören zu unseren Schätzen die Klänge und Worte eines »kinder lieds auff die weihnacht Christi«, das Martin Luther an der Wiege seines neu geborenen Töchterleins Margarete, seiner Jüngsten, gedichtet hat. Es ist ein gesungenes Krippenspiel, das bis heute eines unserer verbreitetsten Weihnachtslieder ist.

I

Vom Himmel hoch, da komm' ich her,

Ich bring euch gute neue Mär,

Der guten Mär bring ich so viel,

Davon ich singen und sagen will.

Oben beginnt es. In der Höhe. Schon der erste Ton hebt empor, himmelwärts. Beim hohen C fängt es an und dann führt die Melodie wie in Wellen bis hinunter auf die Erde, bis wir beim tiefen C ankommen. Wer immer in das Lied einstimmt – mitsingt oder summt, mit geübter Stimme oder etwas schräg –, der ist schon mitten drin in dem, was erzählt wird. Indem wir singen, werden wir Teil der Geschichte. In unserem Gesang erklingen die weihnachtlichen Worte des Engels, dem wir unsere Stimme leihen. Wir singen und sagen die Botschaft, damit wir selbst hören können, was uns verkündet wird: »Ich bring euch gute neue Mär«.

In diesem Lied erfahren wir: Weihnachten ist nicht etwas, was vor langer Zeit in einem fernliegenden Winkel der Welt stattgefunden hat. Vielmehr geschieht Weihnachten, wenn uns hier und heute erreicht und berührt, wovon der Engel kündet. Die »Mär«, wie es in Luthers Sprache heißt, ist kein Märchen aus uralten Zeiten. Es ist eine gute Nachricht für Menschen, die wissen, wie unwägbar und risikoreich das Leben ist. Wir sing´n und sagen mit dem Engel für Menschen, die immer auch mit schlechten Nachrichten rechnen müssen. Wer glaubensgewiss ist und ohne jeden Zweifel, der muss nicht singen. Wer sich sicher ist, dass es − komme, was wolle – eh gut ausgeht, der muss es sich nicht sagen lassen. Aber denjenigen, die verzagt sind, auch wenn sie hoffen, die unruhig bleiben und denen Lebensangst nicht fremd ist, wird eine gute Mär gebracht.

II

2. Euch ist ein Kindlein heut’ geborn

Von einer Jungfrau auserkorn,

Ein Kindelein, so zart und fein,

Das soll eu’r Freud und Wonne sein.

3. Es ist der Herr Christ, unser Gott,

Der will euch führn aus aller Not,

Er will eu’r Heiland selber sein,

Von allen Sünden machen rein.

5. So merket nun das Zeichen recht:

Die Krippe, Windelein so schlecht,

Da findet ihr das Kind gelegt,

Das alle Welt erhält und trägt.