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Karin Tag

Merlins Geheimnis

Mit Zeichnungen von Jutta Wietschorke
getuscht und koloriert von Karl Lesina

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Bitte besuchen Sie uns im Internet:
www.AmraVerlag.de

Copyright © 2012/2018 by Karin Tag

Herausgeber & Lektor

Michael Nagula

Einband & Innenillus

Jutta Wietschorke

Tusche & Kolorierung

Karl Lesina

Layout & Satz

Birgit Letsch

Inhalt

Vorwort

Die Krähe Murmur und der Zauberer Merlin

Die Zwergenstadt im Inneren der Erde

Die Feenkönigin und die Quelle der Weisheit

Das Einhorn am Zaubersee

Der Flug mit dem Adler um die Erde

Die Friedenspfeife des Indianerhäuptlings

Der Junge und der Zaubertraum

Über die Autorin

Danksagung

Ich danke meinen Kindern, die mich in jedem Moment meines Lebens ermutigen, weiter daran zu arbeiten, allen Kindern dieser Erde zu helfen, mit Mutter Erde in friedlicher Harmonie zu leben. Ich danke allen, die mithelfen, den Erhalt des Friedens auf der Erde anzustreben und Mutter Erde zu beschützen.

Besonders danke ich Nina Hagen und Harald Glööckler für ihren Einsatz bei der Aktion »Rettet die Indianer des brasilianischen Regenwaldes«.

Danke an alle, die mich bei meinen Aktivitäten aus vollem Herzen unterstützen.

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Liebe Kinder, liebe Eltern,

sehr oft treffe ich Menschen anderer Kulturen und Volksstämme. Sie erzählen wundervolle Geschichten, die uns viel über unsere Erde und unser Leben auf ihr beibringen. Es ist sehr wichtig, dass diese Geschichten überdauern, denn sie sind ein Teil unserer Vergangenheit und helfen uns, bewusster mit unserer Umwelt umzugehen. Fantasie und Lebensfreude gehören ebenso zu den kreativen Momenten unseres Lebens wie die gelebte Einheit mit der Natur, in der wir uns bewegen. Die Erde zu lieben und zu schützen ist dabei unsere wichtigste Aufgabe. In dieser Hinsicht können wir viel von den alten Völkern lernen.

Lest so viele Bücher wie möglich und helft den Menschen aus anderen Kulturen zu überleben, denn ihr Wissen sichert unsere Zukunft und die aller Kinder dieser Erde.

Ich danke euch!

Karin Tag

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Die Krähe Murmur und der Zauberer Merlin

Es war eine wunderschöne Sommernacht. Die Sterne glitzerten am Himmel, ein dicker runder Vollmond lächelte in die Stille. Leicht säuselte der Wind zwischen den Bäumen hindurch, während eine Eule im Mondenschein ihre gurrenden Laute in den Wald rief. Die Tiere schliefen tief und fest, nur die Nachteule blickte mit ihren hellen Augen durch das dichte Geäst.

Murmur, die Krähe, hatte sich in einer Felsnische auf dem Zauberberg niedergelassen und versuchte ebenfalls ein wenig zu schlafen. Ihre Familie lebte in einem kleinen Dorf ganz in der Nähe. Murmur war auf der Suche nach Waldbeeren gewesen, als sie sich verflogen hatte und es vor Anbruch der Dunkelheit nicht mehr zum Nest zurückgeschafft hatte. Das war ihr schon öfter passiert. Ihre Freunde lebten hier im Wald, und sie hatten sich immer so viel zu erzählen, dass Murmur manchmal die Zeit vergaß und sich erst bei Sonnenuntergang auf den Heimweg machte. So verflog sie sich hin und wieder, und auch diesmal war die Sonne bereits untergegangen, ehe sie den dichten Wald verlassen konnte.

Murmur war ein junges Krähenmädchen und schwatzte gern mit Pips, einem kleinen Grünfinken. Pips schnatterte an einem Stück. Er war ein besonders munterer Geselle, schaukelte oft auf einer jungen Buche in der Nähe einer kleinen Lichtung im Wald. Für sein Leben gern wippte er auf den dünnen jungen Trieben. Das sah ungemein lustig aus, denn er setzte sich dabei mit Vorliebe auf das dünne Ende der grünen Triebe und beschwerte die kleinen Äste mit seinem Körpergewicht. Er wusste genau, wann er nach oben springen musste, um den Schwung des Zweigleins zu nutzen und ganz weit hinauf geschnellt zu werden. Die Spannkraft des jungen Gehölzes wirkte wie ein Katapult, wenn Pips sich mit angelegten Flügeln in die Höhe schnellen ließ. Er sauste dann immer ein paar Meter weit, ohne einen Flügelschlag zu tun. Erst wenn die Schwerkraft ihn wieder einfing, flatterte er los und ließ sich nach unten gleiten.

Das machte dem Grünfink riesigen Spaß. Dadurch war Murmur auch auf ihn aufmerksam geworden, dort auf der Lichtung. Sie fand den kleinen Kerl äußerst amüsant und traf sich seitdem immer wieder mit ihm. Die beiden waren dicke Freunde geworden und trieben inzwischen so manche lustige Scherze mit den Bewohnern der Lichtung.

Einmal hatten sie in der Abenddämmerung auf eine Rehfamilie gewartet, die sich dort im Zwielicht oft frische Kräuter und Gräser suchte. Murmur und Fips hatten sich in der jungen Buche versteckt und ganz still verhalten, bis die Rehfamilie vorsichtig aus dem Gehölz auf die Lichtung kam. Darauf hatte Pips nur gewartet. Er tastete sich vorsichtig auf einen dünnen grünen Zweig seiner Lieblingsbuche und ließ sich dann dicht neben Familie Reh durch die Luft schnellen. Dabei piepste er so laut, dass die Rehmutter mit ihren Kindern ganz erschrocken das Weite suchte. Murmur und Pips hatten vor Lachen um die Wette gezwitschert.

Ständig dachten sich die beiden neue Scherze aus und waren bald als Spaßmacher Murmur und Pips waldbekannt. Über diesen Streichen vergaß Murmur oft, rechtzeitig nach Hause zu fliegen, was dazu führte, dass sie in einer Felsnische am Zauberberg übernachten musste, denn sie fürchtete sich nachts und wollte nicht durch die Dunkelheit fliegen.

Auch an diesem Abend saß Murmur, das Krähenmädchen, wieder in ihrer Felsnische am Zauberberg und dachte an die Krähenmutter, die sich bestimmt schon große Sorgen um sie machte. Eigentlich hatte Murmur versprochen, pünktlich zu Hause zu sein, denn es war der Geburtstag ihrer Mutter. Und ausgerechnet heute hatte sie mit Pips wieder kein Ende gefunden. Das setzte Murmur mächtig zu.

Unruhig versuchte sie, in der Felsnische ein wenig Schlaf zu finden. Die kleine Nische war gerade groß genug, um dem Krähenmädchen Schutz vor Regen zu bieten. Doch heute war die Nacht sternenklar, und Murmur wollte einfach nur schlafen. Der Mond schien hell, während sie mit müden Äuglein in einen kleinen Spalt starrte, der unter ihr in den Felsen des Zauberbergs führte.

Pips, der Finkenjunge, hatte Murmur vom Zauberberg erzählt. Er wurde so genannt, weil in diesem Wald einmal ein großer Zauberer gelebt hatte. Die Vögel des Waldes erzählten sich, dass sein Name Merlin gewesen war. Angeblich war er ein wundervoller Zauberer gewesen, der sogar die Sprache der Tiere verstehen konnte – damals, vor vielen hundert Jahren. Auch Murmurs Mutter hatte ihr oft von ihm erzählt.

Es gab ganz hinreißende Geschichten von Merlin und all den Abenteuern, die der Zauberer bestanden hatte, um den Wald und seine Bewohner vor den Menschen zu schützen. Man erzählte sich, dass er den Eingang ins Innere der Erde beschützt hatte, wo es Höhlen gegeben haben soll, in denen Zwerge lebten. Ganze Städte sollen sie bis tief in die Erde hinein gebaut haben. Auch Feen und Elfen lebten dort in Eintracht mit ihnen, berichtete man sich, und hüteten die letzten Geheimnisse der Erde.

Murmurs Großmutter hatte ihr oft über diese Zeit erzählt, und das Krähenmädchen hatte von den Geschichten, die Großmutter ihr erzählte, gar nicht genug bekommen können. Dabei endeten die Geschichten immer gleich: Der Zauberer soll eines Tages verschwunden sein. Als die Menschen in den Wald kamen und begannen, die Bäume zu fällen, soll er sich in den Zauberberg zurückgezogen haben, und fortan hatte ihn niemand mehr gesehen. Manche behaupten, der Grund sei gewesen, dass er so traurig über die Zerstörung des Waldes durch die Menschen gewesen war. Jedenfalls war er vergessen worden, nachdem er sich in eine Höhle im Innern des Berges zurückgezogen hatte.

Übriggeblieben waren nur die Geschichten der Urgroßmütter und Großmütter der Tiere des Waldes, und sie erinnerten sich immer gern an den freundlichen Zauberer mit den langen weißen Haaren und seinem blauen Gewand.

Murmur dachte bei sich, wie schön es doch wäre, den Zauberer hier im Wald einmal zu treffen. Oft hatte das Krähenmädchen mit Pips, dem Finkenjungen, nach der geheimen Höhle im Zauberberg gesucht. Sie hatten überall nach einem verborgenen Eingang geforscht, aber bisher keine Höhle im Zauberberg entdecken können.

Nur diese kleine Felsnische hatten sie gefunden, und hierhin flog Murmur seitdem immer, wenn sie im Dunkeln den Heimweg nicht mehr finden konnte.

Der Mond schien in dieser Nacht besonders hell, und so sehr Murmur sich auch bemühte, sie konnte einfach nicht schlafen. Andauernd verlagerte sie ihr Gewicht von einem Krähenbein aufs andere und legte den Kopf von der einen auf die andere Seite. Gerade als sie ihren Schnabel wieder in das dichte schwarze Gefieder steckten wollte, sah sie etwas am unteren Ende der Felsnische.

Etwas blitzte dort in der felsigen Wand. Ganz magisch sah es aus, als es das Mondlicht reflektierte. Neugierig hüpfte Murmur zu dem kantigen Nischenrand, um das Leuchten eingehend zu beäugen. Es war ein Kristall, der da funkelte und glitzerte, dass es eine Wonne war – ein Bergkristall!

Nun hatte Murmur für die Krähenmutter noch kein Geburtstagsgeschenk und dachte bei sich, der Kristall wäre ein vortreffliches Geschenk. Er würde die Mutter milde stimmen und verhindern, dass sie zu sehr schimpfte, weil sie wieder nicht rechtzeitig nach Hause gekommen war. Also hüpfte sie zu ihm und versuchte, mit dem Schnabel so an dem Kristall zu picken, dass er sich aus dem Felsen löste.