9783961222766.jpg

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag Whitaker House, New Kensington, unter dem Titel „The Divine Dance“.

© 2016 by Richard Rohr

Die Bibelzitate wurden den folgenden Bibelübersetzungen entnommen:

Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (GN)

Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica Inc.® Verwendet mit freundlicher Genehmigung von Fontis – Brunnen Basel. Alle weiteren Rechte weltweit vorbehalten. (HFA)

Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LÜ)

Neue Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen, Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft (NGÜ)

Neues Leben. Die Bibel, © 2002 und 2006 SCM R. Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten (NL)

Einheitsübersetzung, © 1980 Kath. Bibelanstalt GmbH, Stuttgart (EÜ)

Elberfelder Bibel, © 2006 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten (ELB)

Copyright der deutschen Ausgabe © 2017 adeo Verlag

in der Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar

1. Auflage September 2017
ISBN 978-3-86334-787-1

Umschlaggestaltung: Die guten Botschafter
Satz: Uhl + Massopust, Aalen

www.adeo-verlag.de

RICHARD ROHR

Für alle Ahnungslosen, die nicht wissen, dass sie schon mitten im Fluss sind.

MIKE MORRELL

Für meine Töchter Jubilee Grace und Nova Rain. Ihr verkörpert die unerwarteten Bewegungen des Heiligen Geistes in meinem Leben.

INHALT

„Sechs unmögliche Dinge vor dem Frühstück“

Dreieinigkeit – der Tanz

Ein Platz am Tisch Gottes

Eine Lücke im Ganzen

TEIL 1 – DIE REVOLUTION DER DREIEINIGKEIT

Ein geistlicher Paradigmenwechsel

Staub aufwirbeln erwünscht

Mathematische Probleme

Die Beziehung ist der Motor

Mögen die Metaphern mit dir sein!

Ein gespiegeltes Universum

Verletzlichkeit

Die Weisheit der Schwäche

Die Freuden der Diversität

Die Welt in einem Wort

Unser Bild neu formen

Atomare Verbindungen

Schöpfer und Zerstörer

Aristoteles und Boethius: der Preis des Substantivs

Scotus und Merton: Zurück zum Verb

Vollkommene Freiheit

Fortsetzung der Schöpfung

Verlorene Paradigmen

Deutliche Vereinigung

Waschmittelpakete im Supermarkt

Die falschen Leute lieben

Nur die Leere kann die Fülle empfangen

Zwischenraum

Wie das Gesetz der Drei alles verändert

Ist es ein Junge oder ein Mädchen?

Die Kraft konzentrischer Kreise

Richard von St. Victor und die höchste Freude

Das Paradox der rastlosen Zufriedenheit

Körperwissen

Die Vielen gehören zum Einen

Zutritt zum göttlichen Kraftfeld

Andersartigkeit erschaffen

Und nun?

TEIL 2 – WARUM DIE DREIEINIGKEIT?
UND WARUM JETZT?

Drei Gründe, um gesund zu werden

Was hindert uns an echter geistlicher Erfahrung?

Zwei Wege zum Durchbruch

Die überraschende Kraft des Leids

Sühne oder Einssein?

Und was ist mit dem Zorn Gottes?

Unseren Horizont erweitern

Stille: der Vater

Die lebendige Manifestation: der Christus

Die Dynamik im Inneren und in den Zwischenräumen: der Heilige Geist

TDS – Trinitäts-Defizit-Syndrom

Der abwesende Vater

Der Sohn: Hast du mich gesehen?

Der unnachgiebige Antrieb des Geistes

Gebet von innen nach außen

Das ursprünglichste Gebet

Transzendenz-Defizit-Syndrom

Interreligiöse Freundschaft

Müssen wir über die Sünde reden?

Zugang durch eine andere Tür

Da sein

Eine erstaunliche Kette des Seins

Die Dreieinigkeit in vergangener Ewigkeit

Die wildeste Welle

Reale Präsenz

Sein und werden

Essenzielle Ekstase

Zu gut, um wahr zu sein?

Die Menschwerdung ist das Evangelium

Blut und Vergebung

Die große Anziehung

TEIL 3 – DER HEILIGE GEIST

Vollständige Versöhnung

Die göttliche Energie

Alles ist heilig

ANHANG

Die Dreieinigkeit erleben – sieben Übungen

1. Bewegung – das Zeichen des Kreuzes

2. Schritte – eine Meditation im Gehen

3. Beobachten

4. Atmen

5. Sehen – im Dunkeln

6. Lobpreis – eine Litanei zur Anrufung des Heiligen Geistes

7. Funken der Weisheit

DANK

ÜBER DIE AUTOREN

ANMERKUNGEN

EINER allein

kann nicht Liebe sein

oder Lachen

oder Singen.

EINER allein

kann in Bewegung bringen

unkennbar

untrennbar

Alles.

Und wenn Alles in Allem ist und alles Einer ist

dann ist Einer allein

auf sich selbst bezogen

keine Liebe

kein Lachen

kein Singen.

ZWEI

Ying und Yang

Dunkel und Licht

Männlich und weiblich

Widerstreitende Pole

bestärken Böse und Gut

und streben nach Gleichgewicht

Im besten Fall Gegenüber

Aber niemals Gemeinschaft

DREI

Von Angesicht zu Angesicht zu Angesicht

Gemeinschaft

Mehrdeutigkeit

Geheimnis

Liebe füreinander

Und Liebe für die Liebe der anderen

Ineinander

Auf die anderen bezogen

Sich hingebend

Liebend

Singend

Lachend

Etwas Viertes wird erschaffen

immer geliebt und voller Liebe.

Beziehungen waren schon immer der unberechenbare Faktor, der Überraschungsgast, der mitten in unseren Plänen auftaucht, in unseren Seifenblasenideen von Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit. Und sie offenbaren immer wieder, dass der Kaiser nackt ist. Wenn Sie auch nur am Rand einer Beziehung herumschlittern, geben Sie sich dem Geheimnisvollen hin und verlieren die Kontrolle. Eine Ehe wäre so viel einfacher, wenn keine zweite Person dabei wäre. Aber dann hätte sie auch keine Bedeutung mehr. Beziehungen sind kompliziert, vergänglich, chaotisch, stärkend, bezaubernd und zornerregend. Sie sind berauschend und frustrierend, riskant und entlarvend und zu schön, um es in Worte zu fassen. Es gibt Augenblicke, da glauben wir, jetzt hätten wir unsere Welt zumindest ansatzweise im Griff. Und – zack – kommt jemand und wirft alles komplett wieder über den Haufen.

Und doch sind es Beziehungen, die dem Kunstwerk unseres Lebens den Hintergrund und Rahmen geben. Ohne sie würden unsere Farben sich in einer formlosen Dunkelheit und Leere auflösen, würden auf den Heiligen Geist warten, um sie einzusammeln und mit allen Schattierungen und Abstufungen in uns hineinzuatmen.

Schlechte Theologie ist wie Pornografie: die Vorspiegelung einer Beziehung ohne das Risiko einer solchen. Sie beruht auf Transaktionen und Lehrsätzen statt auf Beziehung und Geheimnis. Man muss niemandem vertrauen und niemanden mögen. Sie wird zu einer Übung in Selbstbelohnung und entmenschlicht schließlich das Ich und die Gemeinschaft, um die schmerzhaften Prozesse der Demut und des Vertrauens zu umgehen. Schlechte Theologie ist kein opferloses Verbrechen. Sie entfernt Gott von den Menschen und verwandelt das Wunder und das geheimnisvolle Chaos inniger Beziehung in ein billiges Poster, das man benutzen und wegwerfen kann.

Aber wir hören da etwas kommen; es klingt wie ein Nachtzug, der sich durch die Wüste nähert. Wir hören ihn nicht nur aus der Ferne, sondern wir spüren ihn, wenn wir die Hand auf den Boden legen, ebenso wie im Wasser, im zerrissenen Brot und im eingegossenen Wein. Das Gerücht tief in unserer Seele sagt uns, dass eine Feier stattfindet, und wir können kaum glauben, dass wir eingeladen sind. Kann es sein, dass man sogar einen Trinkspruch auf uns ausbringt? Kann es sein, dass sich eine Hand zu uns ausstreckt und uns zum göttlichen Tanz auffordert; dass uns jemand ins Ohr flüstert, wir seien seit jeher dafür gemacht? Und so warten wir auf den Kuss, auf den Atemzug – ein, aus –, der unser schlafendes Herz zum Leben erweckt. Denn ja, wir sind dafür gemacht, vollkommen gefunden von unwiderstehlicher Zuneigung.

Es gibt eine Gemeinschaft intelligenter Mystiker, die voller Mitgefühl und Authentizität über diese Dinge sprechen und uns daran erinnern, dass auch wir eingeladen sind. Richard Rohr und Mike Morrell gehören zu ihnen. Sie rufen uns heraus und laden uns dazu ein, aktiv zu verändern, was wir in unser Herz lassen. Wir dürfen an dem göttlichen Tanz teilnehmen, sollen lieben und uns lieben lassen.

Wir haben beobachtet, wie das Wasser in den letzten paar Hundert Jahren zurückgegangen ist und wie mit ihm auch die Hoffnung abebbte. Aber wenn wir neu entscheiden, was wir in unser Herz lassen, dann erkennen wir: Wir sind nicht verlassen oder aufgegeben worden, und was wir zu verlieren glaubten, war in Wirklichkeit ein Sammeln. Eine Flut aus vielen Stimmen erhebt sich zu einer Fontäne des Lebens, die auch die Träume mitnimmt – Träume voller Erwartung und chronischem Staunen und sehnsüchtiger Liebe – zu einem Scheitelpunkt einer neuen Reformation, einer „Renaissance“ (Wiedergeburt).

So wundervoll jede Erweckung gewesen sein mag, es war nie genug. Wir haben erlebt, wie die alten Schläuche zerrissen sind und der blutrote Wein in die Erde sickerte. Wer Augen hat zu sehen, erkennt die Springflut lebendigen Wassers, die auf diesen Planeten hinunterregnen wird. Und diejenigen, deren Augen noch nicht geheilt sind, die blind geboren sind … wir können es zwar nicht sehen, aber spüren.

Die Kinder dieser kommenden Re-Formation unseres gesamten Denkens und Sehens werden schnell und leicht darauf reagieren. Die Herrscher und Lenker werden mehr Arbeit machen. Aber wir dürfen sie nicht aufgeben, denn die Liebe lehnt kein Stück Brot und keinen Tropfen Wein ab.

Dieses Buch stimmt in die vielen anderen Rufe ein, die Machtstrukturen anfechten und Beziehungen feiern. Wer einmal die tiefen Geheimnisse erkannt hat, die hier liebevoll enthüllt werden, kann sie nicht ungesehen machen. Wer sie einmal gehört hat, kann nicht mehr zurück. Nicht einmal großes Leid kann das Lächeln des Herzens auslöschen.

Gott, du hast nie eine niedrige Meinung von der Menschheit gehabt.

Mögen unsere Augen geheilt werden, vor allem dann, wenn wir blind geboren wurden. Damit wir sehen, was du tust.

Mögen unsere Ohren geöffnet werden für die heilende Musik, sodass wir die herrliche Kompliziertheit der Unterschiede feiern können und selbst in der Dissonanz hören, dass wir als Melodie in die dreistimmige Harmonie eingebettet sind.

Möge unser Mut wachsen, Vertrauen zu wagen und in der Gnade jedes einzelnen Tages zu leben. Die Grenzen der Strukturen von Macht und Kontrolle zu überwinden und die Mauern niederzureißen, die unsere Gesichter verstecken.

Mögen wir in uns das ewige Leben Jesu spüren, das durch unsere Hände fließt, damit wir heilen, halten und umarmen. Und mögen wir das Brot unserer Menschlichkeit feiern, die Heiligkeit des Gewöhnlichen und die Teilhabe an der Dreieinigkeit.

William Paul Young

Autor von Die Hütte, Der Weg und Eva

Am Sonntag Trinitatis 2016

„Sechs unmögliche Dinge vor dem Frühstück“

Die heilige Dreieinigkeit gilt als wichtige, wenn nicht als die wichtigste Grundannahme des gesamten christlichen Glaubenssystems. Und gleichzeitig sagt man uns – jedenfalls sagte man mir das, als ich ein kleiner Junge war –, wir sollten gar nicht versuchen, sie zu verstehen.

„Glaubt einfach daran!“, wurden wir ermahnt, und damit hatte es sich. Unsere irischstämmige Lehrerin Schwester Ephrem zeigte ihrer vertrauensvollen dritten Klasse ein Kleeblatt als Illustration. Und wir glaubten. Wenn auch vielleicht nicht an die Dreieinigkeit, dann doch auf jeden Fall an den ernsthaften irischen Glauben der Schwester. Obwohl – vielleicht kommt gerade so der göttliche Fluss in Gang: indem man ein bisschen ernsthafte Güte teilt.

Trotzdem, es war ein Geheimnis. Eine Art mathematisches Rätsel, mit dem unsere Fähigkeit getestet werden sollte, unmögliche Dinge für wahr zu halten. Insgesamt hätte man den Eindruck bekommen können, meine vorkonziliare katholische Erziehung hätte unter der Überschrift „Glaube noch vor dem Frühstück an sechs unmögliche Dinge“ gestanden. Später stellte ich allerdings fest, dass meine protestantischen Freunde eine ähnliche Herangehensweise an den Glauben gelernt hatten. Bei ihnen ging es nur um andere Unmöglichkeiten, in der Regel gewisse Dinge, die in der Bibel standen. Innere Erfahrungen des Einzelnen schienen bei ihnen auch nicht mehr geschätzt zu werden als bei uns.

Und jetzt sitze ich hier, etwa sechzig Jahre später, und versuche, dieses undurchdringliche Geheimnis anzupacken. Wollen wir es gemeinsam wagen?

Ich glaube nämlich, dass dies der einzige Weg ist, um mitzutanzen …

Dreieinigkeit – der Tanz

Beginnen wir mit einer schockierenden und oft zitierten Idee von Karl Rahner, dem deutschen Jesuiten, der so großen Einfluss auf das Zweite Vatikanische Konzil hatte. In seinem Klassiker „The Trinity“1 schreibt er:

„Christen sind im praktischen Leben fast reine Monotheisten. Wir müssen zugeben: Sollte die Lehre von der Dreieinigkeit aus irgendeinem Grund als falsch fallen gelassen werden, könnte der größte Teil der religiösen Literatur gut und gern unverändert bleiben.“

So sah es tatsächlich aus, bis William Paul Young vor zehn Jahren seinen Roman Die Hütte schrieb, der ein Weltbestseller wurde.2 Zum ersten Mal seit dem 4. Jahrhundert wurde die Dreieinigkeit tatsächlich zu einem inspirierenden Gesprächsthema, das an heimischen Küchentischen und in Restaurants aufs Angeregteste diskutiert wurde und interessante Fragen aufwarf. Und es geht immer weiter!

Aber wie kann es sein, dass die Dreieinigkeit 17 Jahrhunderte lang quasi verschollen war? Könnte ihre Abwesenheit ein Hinweis darauf sein, dass wir mit unserem Verständnis des Christentums noch in den Kinderschuhen stecken? Könnte es uns helfen, die Unwirksamkeit und den Mangel an echter Veränderung zu verstehen, die wir in großen Teilen der christlichen Welt beobachten? Wenn man den Mittelpunkt eines Gebäudes verschiebt, wird das gesamte Konstrukt in sich instabil.

Die Dreieinigkeit beschreibt das Herz des Wesens Gottes, und dennoch hat sie so gut wie keine praktischen oder seelsorglichen Auswirkungen in unserem Leben … wenn wir sie morgen einfach aus den Büchern streichen könnten und sie wäre nur eine unwesentliche, unwirksame Lehrmeinung, die man vergessen kann … dann ist sie entweder nicht wahr, oder wir verstehen sie nicht.

Da Sie dieses Buch lesen, vermute ich, dass Sie irgendwie glauben, dass die Dreieinigkeit der Wahrheit entspricht. Im Folgenden werde ich diese paradoxe Vorstellung vom Wesen Gottes umkreisen. Denn „umkreisen“ ist tatsächlich ein passender Begriff für den Versuch, dieses Geheimnis zu verstehen. Eine andere Art, mit einem Geheimnis wertschätzend umzugehen, gibt es nicht.

Ein Geheimnis ist nicht etwas, was wir nicht verstehen können, sondern etwas, was wir endlos begreifen. Es gibt nicht den einen Punkt, an dem wir sagen können: „Jetzt hab ich’s!“ Das Geheimnis hat uns, immer wieder und in alle Ewigkeit.

Wir können es tatsächlich nur umkreisen. Unser Reden von Gott ist eine einzige Suche nach Vergleichbarkeiten, Analogien und Metaphern. Alle theologischen Begriffserklärungen sind immer Annäherungen, die wir in heiliger Ehrfurcht vorsichtig tastend anbieten. Mehr kann menschliche Sprache nicht leisten. Wir können sagen: „Es ist wie …, Es ist so ähnlich wie …“, aber wir können nie sagen: „Es ist …“. Denn wir bewegen uns im Bereich des Jenseitigen, der Transzendenz, des Mysteriums. Und wir müssen uns – absolut! – eine grundsätzliche Demut vor dem großen Geheimnis bewahren. Wenn wir das nicht tun, betet Religion nur sich selbst und ihre eigenen Formulierungen an, aber nicht Gott.

Die sehr mystisch veranlagten kappadozischen Wüstenväter, die im 4. Jahrhundert im Osten der heutigen Türkei lebten, entwickelten eine höchst ausgefeilte Vorstellung von dem, was bald darauf als „Dreieinigkeit“ oder „Dreifaltigkeit“ bezeichnet wurde. Es brauchte drei Jahrhunderte des Nachdenkens über die Evangelien, bis jemand den Mut fand, es auszusprechen, aber sie – und das gilt auch für ihren Vorgänger Paulus von Tarsus und später für Mevlânâ Rumi von Konya – näherten sich in konzentrischen Kreisen der besten Metapher, die sie finden konnten:

Was immer in Gott geschieht, ist ein Durchströmen, ein Ineinanderfließen, eine radikale Verbindung, eine vollkommene Gemeinschaft dreier Wesen – ein Kreistanz der Liebe.

Aber Gott ist nicht nur der Tänzer, er ist der Tanz selbst. Stellen Sie sich das vor! Das ist keine neue, trendige Theologie aus Amerika, sondern eine uralte Überlieferung. Traditioneller geht es kaum. Bruder Elias Marechal formuliert es folgendermaßen:

Die Wüstenväter beschreiben die Dreieinigkeit als Rundtanz, ein Geschehen, das seit sechstausend und sechs Mal sechstausend Jahren immer weitergeht und über die Zeit hinausreicht, als die Menschen die Zeit entdeckten. Eine endlose Strömung der Liebe bewegt sich unablässig, hin und her, vor und zurück, herum und hindurch. Ein Gleiten vom Vater zum Sohn und zurück zum Vater, in einer einzigen zeitlosen Bewegung. Dieser zirkulierende Strom der trinitarischen Liebe setzt sich Tag und Nacht fort. Der geordnete, rhythmische Prozess, in dem subatomare Teilchen sich in einer unglaublichen Geschwindigkeit drehen, ist ein Echo dieser Dynamik.3

Das ist es: Der „Kreistanz“ der Dreieinigkeit ist eine sehr traditionelle Beschreibung. Wenn man heute den Mut hätte, einen so riskanten Begriff zu verwenden, würde man vermutlich als Esoteriker – oder Häretiker – bezeichnet.

Und doch ist Gott der Tanz selbst, sagten die Wüstenväter.

Ein Platz am Tisch Gottes

Lassen Sie uns diesen göttlichen Tanz in einer rätselhaften Geschichte aus dem allerersten Buch jener Sammlung heiliger Texte ansehen, die wir die Bibel nennen.

Abraham wohnte bei den Eichen von Mamre, da erschien ihm der Herr wieder. Es war um die heißeste Zeit des Tages, und Abraham saß gerade am Eingang seines Zeltes. Als er aufblickte, bemerkte er plötzlich drei Männer, die ganz in der Nähe standen. Sofort sprang er auf, lief zu ihnen hinüber, verneigte sich bis zur Erde und bat: „Herr, bitte schenk mir deine Aufmerksamkeit und geh nicht einfach weiter! Ich lasse Wasser holen für eure Füße, ruht euch solange unter dem Baum aus; ich sorge für das Essen, damit ihr gestärkt weitergehen könnt! Ihr sollt nicht umsonst bei mir vorbeigekommen sein!“

„Einverstanden“, sagten die drei, „tu, was du dir vorgenommen hast!“

Abraham lief ins Zelt zurück und rief Sarah zu: „Schnell! Nimm 15 Kilo vom besten Mehl, das wir haben, rühr einen Teig an und backe Fladenbrote!“

Er lief weiter zu seiner Rinderherde, wählte ein zartes, gesundes Kalb aus und befahl seinem Knecht, es so schnell wie möglich zuzubereiten. Den fertigen Braten bot er dann seinen Gästen mit Sauerrahm und Milch an. Sie saßen im Schatten des Baums, und während sie aßen, stand Abraham daneben und bediente sie.4

Dieser Bericht gibt uns eine Menge zu kauen. Die Szene beginnt damit, dass „der Herr“ Abraham erscheint. Aber im Bereich sichtbarer Gestalten erscheint er ihm als „drei Männer“. In den Jahrhunderten des Nachdenkens, der Theologie und des Geschichtenerzählens, die auf die ursprüngliche Geschichte folgten, wurden die drei oft als Engel betrachtet, und vielleicht auch noch mehr. Abraham, der sich vor ihnen verneigt, scheint dieses „noch mehr“ intuitiv zu begreifen und lädt sie ein, etwas zu essen und sich auszuruhen. Er selbst nimmt nicht an der Mahlzeit teil, sondern beobachtet sie aus einiger Entfernung, „unter dem Baum“. Ein Platz am Tisch Gottes ist noch nicht vorstellbar.

Es scheint, als würden Abraham und Sarah den Höchsten in der physischen Anwesenheit der Drei sehen, und ihre erste instinktive Reaktion ist eine Einladung und Gastfreundschaft. Sie schaffen einen Ort, an dem die Drei essen und trinken können. Hier haben wir immer noch die Menschheit, die Gott nährt – es wird noch einige Zeit dauern, bis sich das Verhältnis in der Vorstellung der Menschen umkehrt. „Wir selbst sind sicher nicht an diesen göttlichen Tisch geladen“, nehmen sie an.

Diese einzigartige und facettenreiche Geschichte hat ein ebenso einzigartiges und facettenreiches Beispiel religiöser Kunst hervorgebracht. Es heißt „Die Gastfreundschaft des Abraham“ oder einfach (aus Gründen, auf die wir noch eingehen werden) „Die Dreifaltigkeit“.

Ich glaube, dass alle echte Kunst heilig ist. Bewusst „religiöse“ Kunst ist oft zu bemüht und rutscht dann in billige Gefühlsduselei ab. Aber die spezielle Form künstlerischen Ausdrucks, die uns in dem Bild „Die Dreifaltigkeit“ begegnet, die Ikonenmalerei, versucht über sich selbst hinauszuweisen und in den Betrachtern ein Gefühl für das „Darüber hinaus“ und gleichzeitig für die Gemeinschaft hervorzurufen, die in unserer Mitte existiert.

Das Bild des russischen Ikonenmalers Andrei Rubljow aus dem 15. Jahrhundert ist für viele die Ikone schlechthin. Und wie ich Jahre nach der ersten Entdeckung feststellen konnte, ist sie noch einladender als viele andere. Für mich ist sie das vollkommenste religiöse Kunstwerk aller Zeiten. In meinem Zimmer hängt schon seit langer Zeit ein Druck davon. Das Original ist in der Tretjakow-Galerie in Moskau ausgestellt.

Es heißt, ein Künstler sei nur durch die Betrachtung dieser Ikone zu einem Nachfolger von Jesus geworden. Er soll ausgerufen haben: „Wenn dies das Wesen Gottes ist, dann bin ich ein Glaubender.“ Und ich kann ihn gut verstehen.

In Rubljows Ikone gibt es drei Grundfarben, die die Facetten des Heiligen illustrieren, die alle in den drei Gestalten enthalten sind.

Rubljow wählte Gold für den Vater – es symbolisiert Vollkommenheit, Fülle, Ganzheitlichkeit, die ultimative Quelle.

Blau – die Farbe von Meer und Himmel, die einander spiegeln –, nahm er für den Menschensohn: Gott, der in Jesus Christus die Welt und die Menschlichkeit annimmt. Deshalb sieht Rubljow Jesus blau. Mit seinen ausgestreckten zwei Fingern sagt er uns, dass er Geist und Materie, Göttlichkeit und Menschlichkeit in sich vereint – für uns.

Und dann gibt es das Grün, das den Geist repräsentiert. Hildegard von Bingen, die Benediktineräbtissin, Komponistin, Autorin, Philosophin, Mystikerin und Visionärin, die drei Jahrhunderte vor Rubljow lebte, nannte die endlose Fruchtbarkeit des Geistes „viriditas“, die Grünkraft, und meinte damit die göttliche Lebendigkeit, die alles erblühen und in immer neuen Schattierungen ergrünen lässt.

Hildegard war vermutlich inspiriert durch die üppige Vegetation der Umgebung ihres Klosters im Rheinland, das ich schon besucht habe. Rubljow wählte, in ebenso tiefer Ehrerbietung für die Natur, Grün als Farbe der „göttlichen Photosynthese“, die alles von innen her wachsen lässt, indem sie Licht in sich selbst verwandelt. Und genau das tut der Heilige Geist.

Das ist einfach großartig, oder?

Der eine Gott in dreifacher Gestalt isst und trinkt in unendlicher Gastfreundschaft und reiner Freude mit- und aneinander. Wenn wir die Darstellung Gottes in der Ikone „Die Dreifaltigkeit“ ernst nehmen, müssen wir sagen: „Im Anfang war Beziehung.“

Und diese Ikone lässt immer mehr Früchte wachsen, je länger man sie betrachtet. Jeder Teil ist sorgfältig komponiert und offensichtlich aus langer Reflektion entstanden: die Blicke, die zwischen den Dreien hin und her gehen, der tiefe Respekt, mit dem sie aus einer gemeinsamen Schüssel essen. Und achten Sie auf die Hand des Heiligen Geistes, die auf den freien, vierten Platz am Tisch deutet. Es scheint, als würde der Heilige Geist jemanden einladen, einen Platz anbieten und Raum schaffen. Wenn es tatsächlich so ist – für wen?

Eine Lücke im Ganzen

So großartig diese Ikone – und die in ihr dargestellte Gemeinschaft – auch ist, etwas fehlt doch. Die Drei sitzen um einen Tisch, und wenn man von vorn auf den Tisch schaut, scheint da ein kleines rechteckiges Loch zu sein. Die meisten Betrachter übergehen es, aber Kunsthistoriker sagen, dass es an dieser Stelle Klebstoffreste gibt, die darauf hindeuten, dass dort vielleicht einmal ein Spiegel war.

Wenn Sie nicht aus einem orthodoxen, katholischen oder anglikanischen Umfeld stammen, finden Sie daran vielleicht nichts Besonderes, aber Sie sollten wissen, dass dies ein sehr ungewöhnliches Element in einer Ikone wäre. Normalerweise würde man eine heilige Ikone nicht mit einem echten Spiegel versehen. Wenn es so wäre, dann wäre das wirklich einzigartig und sehr mutig.

Vielleicht hatte Rubljow einen kühnen Moment, als er die Ikone fertigstellte. Oder der Spiegel wurde später hinzugefügt – wir wissen es nicht.

Aber können Sie sich vorstellen, was dieser Spiegel bedeutet? Es ist schon erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt: An diesem Tisch war Platz für eine vierte Person.

Für den Betrachter.

Für Sie!

Es ist eine der wichtigsten Entdeckungen des Christentums, dass Gott nicht als ferner, statischer Weltenherrscher gesehen wird, sondern – wie wir gemeinsam erkunden werden – als lebendiger Beziehungstanz, wie die Wüstenväter so kühn erkannten. Im Griechischen heißt dies „perichoresis“, und darin steckt unser heutiges Wort Choreografie. Gott ist der Heilige, der im dynamischen, liebevollen Wechselspiel der Drei verkörpert wird.

Aber selbst diese erfüllte Dreierschaft speist nicht gern allein. Die Einladung an den Tisch Gottes ist vielleicht der erste biblische Hinweis auf das, was wir später „Erlösung“ nennen werden.

Jesus kommt aus dieser ewigen Fülle und ermöglicht es uns, uns selbst gespiegelt zu sehen, als Teil dieser Tischgemeinschaft. Als Teilnehmer bei seinem Festmahl und Partner in Gottes ewigem Tanz der Liebe und der Gemeinschaft.

Der Spiegel scheint irgendwann im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen zu sein, sowohl in der Ikone als auch in unserer nüchternen Vorstellung davon, wer Gott ist und wer wir sind, die wir „nach seinem Bild“ erschaffen sind.5

Meine größte Hoffnung wäre, dass dieses Buch Sie wieder in den Spiegel der göttlichen Gemeinschaft blicken lässt, mit einem Platz am Tisch.

Ich möchte, dass Sie dieses Bild beim Lesen in sich aufnehmen. Ich lade Sie ein, den Gedanken zuzulassen, dass der Tisch nicht nur für die Drei reserviert ist und dass der Kreis der Tanzenden nicht geschlossen ist. Wir alle sind dazu eingeladen. Die gesamte Schöpfung ist dazu eingeladen, und dies ist die Befreiung, die Gott von Anfang an beabsichtigt hat.

Diese göttliche Absicht, diese gewagte Einladung, ist eingebettet in die Schöpfung selbst.6 Später wird sie in Jesus konkret, persönlich und fassbar.7 Mit anderen Worten: Die Aufnahme des Menschen in Gott – also das, was wir ganz richtig Erlösung nennen –, war Plan A und nicht Plan B!

Unser Ziel des Einswerdens mit Gott ist schon in der Schöpfung begründet, auch in unserer individuellen Erschaffung.8 Dieser Glaube war in meiner Ausbildung als Franziskanermönch ganz zentral.9 Unser Ausgangspunkt ist immer die „Urgüte“, nicht die Ursünde.10 Und damit ist der Endpunkt, wie auch alles zwischen den beiden Punkten, unsere angeborene Fähigkeit zum Guten, zur Wahrheit und zur Schönheit.

Die Erlösung ist nicht nebenbei als Notfallplan hinterhergeschoben worden, sondern war Gottes Absicht von Anfang an. Sie ist „in unsere Herzen geschrieben“.11

Sind Sie bereit, Ihren Platz an diesem wundervollen Tisch einzunehmen? Können Sie sich vorstellen, dass Sie bereits ein Teil des Tanzes sind?

Dann lassen Sie uns zusammen herausfinden, wie und warum das möglich ist!

TEIL 1

DIE REVOLUTION DER DREIEINIGKEIT