Details

Im Schutz des Rudels


Im Schutz des Rudels

Entwicklungsgeschichte einer dissoziativen Persönlichkeit und ihr Heilungsweg
1. Aufl.

von: Terry Maria Balthasar, Bettina Peters, Terry M Balthasar, Ursula Klär-Beinker, Andrea Tillack

5,99 €

Verlag: Hierophant
Format: EPUB
Veröffentl.: 01.09.2013
ISBN/EAN: 9783944163710
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 380

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Im frühen Kindesalter unter Androhung schwerster Strafen vom Adoptivvater vergewaltigt und als Sexsklavin an andere Pädophile verkauft, von der Mutter nicht geliebt, beiseite geschoben und verprügelt, entwickelte sich bei der Autorin im Laufe ihres Lebens eine multiple Persönlichkeitsstörung, die ihr Leben immer wieder an Abgründe brachte und sie folgenschwere Entscheidungen treffen ließ.
Die Geschichte von Terry Maria Balthasar steht für die Geschichten von vielen Betroffenen und soll als Sprachrohr dienen für diejenigen, die ihr Schweigen (noch) nicht brechen können.
Kinderprostitution und Kinderpornographie gehören fast in die Alltäglichkeit unserer Schlagzeilen. Hier wird ein Einblick in die Tragweite einer solchen Nachricht gewährt. Im Schutz des Rudels ist ein Buch für alle, die nicht mit geschlossenen Augen durch die Gesellschaft gehen wollen.
Im Schutz des Rudels
Wie eine Frau sexuelle Traumatisierung erlebt, ihren Alltag bewältigt und umfassende Heilung des Traumas anstrebt – Biographie und Sachbuch-Projekt.
Im Schutz des Rudels beschreibt meine Jahrzehnte währende Auseinandersetzung mit meiner Missbrauchsgeschichte.
Im frühen Kindesalter unter Androhung schwerster Strafen von meinem Adoptivvater vergewaltigt, von der Mutter nicht geliebt und beiseite geschoben, habe ich im Laufe meines Lebens eine multiple Persönlichkeitsstörung erworben, die mein Leben immer wieder an Abgründe brachte und mich zu folgenschweren Entscheidungen hinreißen ließ. Erst im Verlaufe der Therapie, in der ich mich momentan befinde, konnte der gesamte Umfang meiner Krankheit diagnostiziert und ein Behandlungsansatz gefunden werden.
Aus langjährigen Tagebuchaufzeichnungen, Gesprächen mit meiner Mutter und Verwandten sowie aus Erinnerungsfragmenten ist das nun vorliegende Buch entstanden, in dem ich meine Lebensgeschichte erzähle. Als Leitmotiv habe ich die Metapher des Wolfsrudels gewählt, weil ich meine, damit meine multiple Persönlichkeitsstörung verständlich darstellen zu können. Auf meine Person bezogen steht das Rudel für die Gesamtheit der Einzelpersonen, die meine Identität ausmachen. Jede Person in mir trägt einen Teil meiner Lebenslast; nur durch die vollständige Abspaltung meiner Missbrauchserfahrungen, die meine Innenpersonen übernommen haben, war mein Überleben möglich.
Sexueller Missbrauch an Kindern ist in Deutschland strafbewehrt. Doch wie sehen die Strafen aus? Sie sind vergleichsweise milde gemessen an der Strafe, die das Opfer verbüßen muss. Für missbrauchte Menschen hat die Tat Auswirkungen auf das gesamte Leben. Nach meinem Empfinden fehlt unserer Gesellschaft der Blick in die inneren Prozesse eines Menschen, der von diesem Trauma betroffen ist. Nur damit ließe sich ein tieferes Verständnis für diesen Misstand entwickeln.
Im vorliegenden Buch beschreibe ich den Missbrauch in der Härte und in der Brutalität, in der er an mir geschehen ist, ohne mildernde Umstände für die Täter, von denen die meisten aus meinem Familien- und dem Freundeskreis meiner Familie kamen. Dabei ist es mir nicht immer leichtgefallen, konsequent Worte zu finden für das Unaussprechliche, jedoch ist das meiner Ansicht nach der einzige Weg, Parallelidentitäten der Täter aufzudecken, die im Alltag hinter der Fassade des Biedermanns kaum auffallen.
Nicht nur die Täter, auch mich als Opfer habe ich dabei nicht geschont. Ich schildere meine Biographie in aller Deutlichkeit, um meinen Lesern die Gelegenheit zu nehmen, weiter wegzuschauen. Das verlangt ihnen einiges ab, lässt sie aber zugleich erkennen, wie feinmaschig Beziehungsgeflechte und Abhängigkeiten verwoben sind – ein Netz, das sich im falschen Augenblick zusammenzieht und aus dem es kaum noch ein Entrinnen gibt. Diese innere Verwobenheit mit den Tätereigenschaften ist mein innerer Leitfaden, denn nur eine gnadenlose Offenheit nach allen Seiten hilft, den Blick für das Geschehene zu schärfen und die Zusammenhänge zu erkennen.
Für die Opfer ist der Missbrauch ein Ereignis, der das gesamte Leben bis in die kleinste Zelle verändert. Nichts bleibt davon unberührt, nicht das Verhältnis zum eigenen Selbst, zum eigenen Körper, zur spirituellen Dimension und schon gar nicht das Verhältnis zum sozialen Umfeld. Mein Bericht bleibt nicht bei der Gewalterfahrung stehen, vielmehr beschreibt er auch die Zeit danach, die Folgeerscheinungen im täglichen Leben, die bis zum heutigen Tage anhalten, wenngleich ich mich dank erfahrener Therapeuten und eines stabilisierenden Umfeldes auf dem Weg der Genesung befinde. In meinem Fall sind die Diagnosen Dissoziative Persönlichkeitsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung gestellt worden.
Meine allergrößte Aufmerksamkeit bei der Erstellung des Manuskriptes widmete ich der verständlichen Darstellung meines Ringens um Heilung, um eine gesunde, erfüllende Teilnahme am Leben. Gerade dieser filigrane Prozess ist von großer Bedeutung für die Betroffenen gleichwohl wie für die gesamte Gesellschaft. Traumatisierte geben ihre Erfahrungen, ihre Ängste und Beeinträchtigungen häufig ungewollt und unreflektiert an ihre Kinder, an Familienmitglieder und vertraute Menschen weiter. Das ist die sogenannte Retraumatisierung. Diesen Kreislauf können wir nur durchbrechen, wenn wir uns der Heilung, der Gesundung widmen. Deshalb umfasst ein großer Teil meines Buches den Prozess der Selbstreflektion und die sich daraus ableitenden therapeutischen Schritte.
Im Verlaufe der Auseinandersetzung mit meinem Lebenskonflikt kristallisierten sich verschiedene Zielgruppen heraus, die dieses Buch erreichen soll. Zunächst schrieb ich für mich selbst, um mich verstehen zu lernen, meine inneren Personen zu erkennen und um meine Gesundung zu fördern. Der zweite Empfängerkreis sind die Menschen, denen Gewalt angetan wurde und wird. Ich möchte mit diesem Buch ein Sprachrohr sein für alle, die ihr Schweigen noch nicht brechen können. Mir wurde während der Arbeit an diesem Manuskript deutlich, dass Angehörige von Opfern mit diesem Buch einen Einblick in das Leiden an den Folgeerscheinungen erhalten und zugleich Zeichen, die die Opfer aussenden, besser verstehen können. Und die dritte Zielgruppe sind all diejenigen, die mit den Folgen der Gewalterfahrung leben müssen, aber noch keinen Weg der Genesung gefunden haben.
Gegenwärtig wird mir immer bewusster, dass unsere Gesellschaft zunehmend bereit ist, sich dieser Thematik zu stellen. Ein erster zaghafter Ansatz ist die immer stärker ins Blickfeld rückende Debatte um die rasant zunehmende Kinderpornographie. Eine konsequente Auseinandersetzung mit diesem Phänomen des Internetzeitalters ist unausweichlich und darf nicht an halbherzigen Bemühungen scheitern.
Mit meinem Buch Im Schutz des Rudels will ich, stellvertretend für viele Betroffene, einen Einblick in mein von Gewalt und Lieblosigkeit verletztes Leben geben. Ich hoffe, damit einen Beitrag für alle Beteiligten leisten zu können.
Terry Maria Balthasar
Inhalt
Danksagung
Vorworte
Einführung: Warum Naturgesetze uns viel lehren können
Das Rudel
I. Teil - Wie der Mensch die Grausamkeit der Natur zu steigern weiß
1. Kapitel: Die Brutstätte
2. Kapitel: Die Schutzlosigkeit der Welpen
3. Kapitel: Die allgegenwärtige Gefahr – nichts ist wirklich sicher …
4. Kapitel: … mit einer Ausnahme
5. Kapitel: Ihn ein Tier zu nennen, entspräche einer Würdigung …
6. Kapitel: … denn Tiere verfügen nicht über ein solches Handelsspektrum
7. Kapitel: Wenn eine Frau ihre wahre Natur nicht leben kann
8. Kapitel: Die Einzelgängerin – oder: mit den Waffen des Feindes
9. Kapitel: Die Bestandsaufnahme – Wunden lecken
II. Teil - Lauf, so weit die Füße tragen
10. Kapitel: Auf der Suche nach wahrem Sein
11. Kapitel: Das vertraute Rudel
12. Kapitel: Wenn das Territorium zu eng wird …
13. Kapitel: … gehen die Wölfe auf Wanderschaft
14. Kapitel: In Freiheit
15. Kapitel: Stärker als ein Käfiggitter – die Konditionierung
16. Kapitel: Abschied nehmen
17. Kapitel: Ausgehungert, doch bereit zu kämpfen – die Wolfsnatur
III. Teil - Die Weigerung, in Gefangenschaft zu leben
18. Kapitel: Initiation – das Bündnis des Rudels
19. Kapitel: Neue Jagdgründe
20. Kapitel: Die Liebe der Wölfe – oder: der Gesang der Zukunft
Nachwort
Glossar
Ausbildungen: Floristin und Religionspädagogin FA
Sprachstudien in Englisch und Tagalog
Ordensfrau von 1987 bis 1997
Tätig in der Entwicklungshilfe auf den Philippinen von 1996 bis 2000.

Nach der Rückkehr nach Deutschland arbeitete ich in der Altenpflege und widmete mich vorrangig der Heilung meiner Traumata. Aus langjährigen Tagebuchaufzeichnungen, Gesprächen mit meiner Mutter und Verwandten sowie aus Erinnerungsfragmenten ist das vorliegende Buch „Im Schutz des Rudels“ entstanden.

Gegenwärtig arbeite ich an einem Vortrag zum Buch mit folgenden Unterpunkten:

Die Verletzung / Die Wunde
Die Folgen
Die Entscheidung zu gesunden
Erinnerungen sortieren / die Vielen anhören, ihnen glauben
Schmerz und Trauer leben
Der Glaube und das Vertrauen an Dich selbst / Selbstheilende Kräfte
Sichere Orte schaffen / Daheim / im sozialen Umfeld
Vergebung? Wem vergeben? / Verantwortung für mich übernehmen
Zugehörigkeit / Teilnahme am Leben
Gesundung und Neubeginn
Dieses gegenwärtige Projekt entspringt dem Gedanken, dass Kinderprostitution und Kinderpornographie fast in die Alltäglichkeit unserer Schlagzeilen gehört. Der Einblick in die Tragweite einer solchen Nachricht für den betroffenen Menschen bleibt unklar. Sicherlich auch, weil Betroffene selten so gesunden, als dass sie darüber sprechen könnten. Wie aber wollen wir als Gesellschaft uns einem Thema stellen, dessen Ausmaß uns nicht bewusst ist?
EINFÜHRUNG:

Warum Naturgesetze uns viel lehren können
Der allein wandernde Wolf stimmt Geheul an, wenn er seinesgleichen sucht und sein Revier absteckt. Mit meinen Mitteln möchte ich gleiches tun. Ich möchte der Klage, die mich und viele täglich aus den Nachrichten anspringt, eine Stimme verleihen, möchte klar und deutlich ein Revier abstecken, das von unserer Gesellschaft nicht mehr negiert wird im Sinne von: Euch gibt es nicht. Doch! Es gibt uns! Mitten unter euch, auch wenn ihr lieber wegschaut!
Ich möchte den geschändeten Frauen und Männern dieser Welt ein Zeugnis ablegen: Eure Erfahrungen schmälern euch nicht, sie können das Potential einer neuen Gesellschaft werden. Sobald wir unsere Traumata verarbeiten und nicht nur wegschieben, verändern wir nicht nur uns, sondern üben Einfluss aus auf alle uns folgenden Generationen. Wir geben unsere Verletzungen nicht mehr unbewusst weiter, sondern unterbrechen den Kreislauf. Aus diesem Grund benötigen wir so dringend die Verständigung untereinander, dürfen nicht mehr schweigen, zumal nicht denen gegenüber, die unsere Erfahrungen nicht teilen.
Eine wahre Geschichte zu berichten bringt die Schwierigkeit mit sich, die Wahrheit unbeschönigt zu erzählen. Wahrheit ist oft schmerzhaft und nur schwer zu ertragen. Es ist, als ob sich uns die Worte für das Erlebte verweigern.
Menschliche Interaktion kann sehr grausam sein und jegliche Schilderung des Erfahrenen wirkt abstoßend oder gar obszön. Trotzdem wage ich den Versuch, die Sprachbarrieren zu brechen und das Unbeschreibliche in Worte zu fassen, möchte meine Gefühle und Gedanken nahe bringen, so, wie ich sie erlebe, ohne Beschönigung, ohne Tabus. Jemand sagte einmal zu mir, dass diese Form zu schreiben, eine direkte „Wichsvorlage“ für Pädophile sei. Dieser Gefahr bin ich mir bewusst. Der Umgang mit diesem Buch steht in der Verantwortung jedes einzelnen Lesers!
Über das gesamte Werk hinweg schreibe ich gnadenlos offen, in dem Urton der Brutalität, in der es geschah, ich könnte sagen: schamlos. Und ja, die Scham um diese Begebenheiten gehört zu jenen, die den Dreck um sich verbreiten: zu den Tätern.
Die erfahrene Gewalt scheint nicht zur augenscheinlichen Realität zu gehören. Wir selbst und unser soziales Umfeld weigern uns, der brutalen Wahrheit ins Auge zu schauen. Zu ungeheuerlich erscheint uns die Möglichkeit, dass körperlicher und seelischer Missbrauch in unserem direkten Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis geschieht. Die Ignoranz der Gesellschaft überträgt sich gewissermaßen auf das Opfer und es beginnt, das Geschehene vor sich selbst zu verleugnen. Gefühle stauen sich auf; es ist, als ob man platzt angesichts des Wunsches, der Welt die erfahrenen Schrecken ins Gesicht zu schreien. Dennoch: Die meisten Opfer schweigen – oft über Jahre und Jahrzehnte hinweg.
Den Mut, über den Missbrauch ihres Körpers und ihrer Seele zu sprechen, finden nur wenige Menschen. Ich halte es für dringend notwendig, die Öffentlichkeit über die Lebenswirklichkeit des missbrauchten Kindes zu informieren. Ich verstehe sehr wohl, dass „normale Menschen“ so schreckliche Geschehnisse am liebsten gar nicht wahrnehmen wollen, diese Tatsachen in die Nichtexistenz verdrängen möchten. Sogar mir selbst ergeht es nicht anders. Ich verleugne manchmal diese Realität und verbanne das Erlebte aus meinem Kopf.
Unsere Gesellschaft spricht und hört nicht gerne von Opfern und wagt sich ein Schriftsteller an die ernsthafte, detaillierte Schilderung, erntet er Naserümpfen. Zu pornographisch mutet er damit an. Um das Opfer zu verstehen, muss man sich die körperlichen Attacken, die physische und psychische Manipulation mit ihren Feinheiten vor Augen führen. Erst dann kann das Verständnis wachsen für die seelischen und körperlichen Schäden, die Betroffene oft lebenslang begleiten. Tragisch ist, dass den Kindern und Frauen, die körperliche und sexuelle Gewalt erfahren haben, indirekt auch das Wort verboten wird. Darüber redet man nicht, so etwas schreibt man nicht … Dabei geschieht es täglich tausendfach in unserem Land, und oft gerade dort, wo wir es am wenigsten vermuten.
Jeder, der die Historie verleugnet, ist dazu verflucht, sie zu wiederholen. Ganzen Völkern unterläuft dieser Fehler, um wie viel mehr, wenn es sich um die Intimsphären von Familien handelt. Zwar kann ich nur ganz allmählich einen Sinn darin erkennen, dass ich durch diese Hölle gehen musste, doch vermute ich, dass dies meine persönliche Berufung ist: unserer Gesellschaft das Grauen vor Augen zu führen, das in ihrer Mitte an der Tagesordnung ist. Ich will die Isolation der Opfer durchbrechen, will endlich eine gesellschaftliche Anerkennung erringen, will hören, dass jeder zu verstehen gibt: Ja, wir nehmen wahr, was euch geschehen ist, wir stehen auf eurer Seite und wenden uns gegen die Täter. Von einer solchen Haltung ist unsere Gesellschaft noch Lichtjahre entfernt.
Es mutet mir seltsam an, dass in Talk-Shows darüber hinweggeplätschert wird wie bei einem Kaffeekränzchen. Ich spüre jedes Mal, dass es mir die Kehle zuschnürt, wenn ich beginne, etwas von meiner Geschichte mitzuteilen. Mein Magen presst sich zusammen, als fände nur eine Erbse darin Platz; mein Herz hämmert so stark, dass ich jeden Schlag im Hals spüre; mein Mund wird trocken; Panik steigt auf; ich erlebe durch jedes Wort die Gefühle von damals wieder, als wären sie vor einer Stunde geschehen.
Manchmal drängen sich mir die Bilder der Gewaltverbrechen auf, denen ich wehrlos ausgeliefert war. Sie überfallen mich plötzlich und ohne Warnung am Arbeitsplatz, beim Staubsaugen, im Schlaf. Fieberhaft versuche ich, etwas Anderes zu denken, die innere Wirklichkeit zu verdrängen und mir nichts anmerken zu lassen. Worte schießen mir in den Kopf, die mein Adoptivvater hinrotzte: „Mach die Beine breit, na mach schon …“, oder im Park läuft ein Mann an mir vorbei, der nach Parfüm duftet, wie mein Peiniger gebrauchte: Tabac for men. Allein der Geruch bringt mich zum Würgen.
Mit diesen Worten, Bildern und Gerüchen kriechen in mir die alten Gefühle hoch, Verzweiflung befällt mich. Krampfhaft konzentriere ich mich auf meine reale Umwelt, höre laut Musik und singe mit oder verwickle mich in belanglose Gespräche mit meinen Mitmenschen, nur um zu vergessen, etwas Anderes zu denken, um der inneren Welt zu entfliehen. Ich zeige dir ein humorvolles Gesicht mit Augen voller Schalk. Aber tief drinnen bleibt das Gefühl, der normalen Welt meiner Mitmenschen fremd zu sein.
Ich habe lange geschwiegen. Nur wenigen Menschen gewährte ich Einblick in die Schmerzen, die ich erlitt und mitunter noch erleide. Jetzt, wo ich von meiner Geschichte berichte, mag es stellenweise so erscheinen, als erzähle ich in Bruchstücken, chronologisch nicht klar geordnet. Es liegt wohl daran, dass in mir immer wieder Bilder aufblitzen, die ich zeitlich nicht einordnen kann.
Bei der Überlegung, dieses Buch zu verfassen, geriet ich in eine Zwickmühle: meiner Leserschaft eine abgerundete Erzählung vorzulegen oder aber mein Leben so zu schildern, wie es eben war und ist. Ich entschied mich für die letztere Variante, die ich als ehrlicher empfand. Mal sind es Kurzfilme der Erinnerung mit Ton, dann wieder erscheinen Standbilder ohne Kommentar. Auszüge aus meinen Tagebüchern stehen kurz und prägnant neben Erzählkomplexen. Dieses Buch erscheint mir wie meine Persönlichkeit: etwas zerfleddert, aber letztendlich verständlich.
Wer jemals ein Trauma über einen längeren Zeitraum hinweg erfahren hat, der wird verstehen, was ich meine. Du hast die Wahrheit vor dir selbst und anderen verdrängt; erst später, als das Leben sich stabilisierte und eine Art Genesung möglich machte, versuchtest, du die Erlebnisse gewissermaßen „auf die Reihe“ zu bringen. Du wendest dich deinen Erfahrungen zu und stellst fest, dass in dir ein Blitzlichtgewitter von Erinnerungen herrscht, die du kaum einordnen kannst. Ich denke, dies ist einer der Gründe, weshalb wir Opfer des Missbrauchs als unwahrhaftig dargestellt werden, ganz nach dem Motto: Ihr habt eine viel zu lebhafte Fantasie. Leider ist es die Wahrheit.
Im sozialen Gefüge eines Wolfsrudels wird kein Mitglied geduldet, das die Struktur des Rudels nachhaltig stört. Unruhestifter werden ausgestoßen und müssen fortan als Einzelgänger leben. Wölfe befassen sich nicht mit Moralfragen des „armen Täters“, der ja nun allein leben muss. Für sie zählt einzig das Rudel, dessen Schutz mit allen Mitteln gewährleistet werden muss.
Das unterscheidet das Wolfsrudel von dem Prinzip, das leider oft in der menschlichen Gemeinschaft vorherrscht. Denn wir leben in einer von Männern dominierten, patriarchalischen Gesellschaft, und es soll vergessen werden: Es ist das Opfer, das leidet. Eine soziale Gemeinschaft wie die unsere kann es nicht ertragen, dass solches Unrecht direkt unter ihren Augen geschieht, sie fühlt sich hilflos wie die Opfer. Diese Machtlosigkeit zu ertragen ist schwer. Da fällt es schon leichter, sich auf die Seite der Täter zu schlagen und ihrer Behauptung, es sei niemals geschehen, Glauben zu schenken. Wie oft habe ich es selber gehört: „Du lügst, …du bildest dir das ein, …du bist selber schuld …“ Dies ist die Negation und Argumentation von Mittätern oder zumindest die von Ignoranten, die ihren kleinen Frieden brauchen.
Ich habe nun 24 Jahre meines Lebens damit verbracht, die mir geschehene Gewalt einigermaßen zu verarbeiten und meine daher rührenden Verhaltensmuster zu verstehen. Das heißt nicht, dass ich sie alle überwinden könnte. Doch immerhin wäre ich jetzt in der Lage, den Täter vor Gericht zu bringen und erniedrigende Befragungen auszuhalten und souverän Auskunft zu geben.
Eine Verurteilung der Täter ist jedoch nur möglich, wenn die Anzeige innerhalb der ersten zehn Jahre nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres erstattet wird. Die Statistiken hingegen zeigen deutlich, dass die betroffenen Missbrauchsopfer frühestens in der Mitte des dritten Lebensjahrzehnts in der Lage sind, ihren Heilungsprozess zu durchlaufen und eventuell zur Anzeige zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Tat in den allermeisten Fällen bereits verjährt. Genau dies nenne ich eine täterfreundliche Gesellschaft und empfinde tiefste Verachtung für diese bewusst gewollte Ignoranz der geschehenen Verbrechen. Oft bekommt das Opfer noch so einen Satz hinterher geworfen wie diesen: „Du musst dass doch irgendwann vergessen können, es ist doch auch einmal gut …“
Ist es nicht! Manchmal genügt es, in gerötete Augen zu schauen, von einem Mann angerempelt zu werden, eine Bierfahne zu riechen, eine kurze Berührung, Weihnachtsmusik, … eine banale Kleinigkeit eben – und plötzlich ist alles wieder da.
Alle Sinne, die des Hörens, Sehens, Schmeckens, Riechens, Tastens, haben Erinnerungen gespeichert, Vergessen ist unmöglich.
Immer wieder begegne ich der Frage, ob die Vergewaltigung von vor 20 Jahren für das Opfer heute noch von Bedeutung ist. Jenen, die diese Frage stellen, wünsche ich, zwei Minuten meiner Wirklichkeit zu erleben – den Moment, in dem ich „ausraste“, schweißgebadet mit einem Schrei auf den Lippen erwache; plötzlich, mitten am Tage, im klaren Wachzustand, beginne, die Türen und Fenster meiner Wohnung zu verrammeln, sein Gesicht mich in der U-Bahn anglotzt – obwohl er ganz bestimmt nicht da ist, sein Teil in meinem Schlund steckt – ich würgen muss mit dem Gefühl zu ersticken – obwohl ich gerade in der Kneipe sitze, einen Milchkaffee schlürfe und meine Freunde lachen, weil sie denken, ich hätte mich verschluckt. Hat all das noch Relevanz nach mehr als 20 Jahren?
Mein Urteil lautet: lebenslänglich. Tag für Tag kämpfe ich gegen die Folgen an und bejubele jede noch so kleine überwundene Verhaltensstörung. Ich wachse daran und bin froh und dankbar darüber, mich meinen Herausforderungen stellen zu können. Leider hat nicht jedes Opfer die Kraft und die nötige Hilfe hierfür.
Alles, was ich hier niedergeschrieben habe, entstammt meiner persönlichen Erfahrung und meiner Betrachtungsweise. Das ist zugegebenermaßen subjektiv. Die Frage der Objektivität bleibt offen, denn wir benötigen immer ein Subjekt (einen Menschen), um ein Objekt (eine Sache oder Wirklichkeit) zu betrachten. Es entsteht eine Dialektik zwischen der tatsächlichen Erfahrung und dem Hintergrund der allgemeinen Erfahrung der Opfer, der, wenn auch klischeehaft in einem gleichem Ergebnis mündet. Beide Sichtweisen verschmelzen ineinander, sind damit sowohl subjektiv als auch objektiv. Ich denke, hierin liegt ein weiterer Grund, weshalb Opfer als unglaubwürdig hingestellt werden und sich nur zu oft sagen lassen müssen, es seien alles boshafte Unterstellungen. Wahrheit findet sich zwischen beiden: sowohl in subjektiven Gefühlen, die die erfahrene Gewalt widerspiegeln, als auch in objektiven äußerlichen Erscheinungen, und Symptomen, wie zum Beispiel Verhaltensstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Narben, Dissoziation1 und anderen.
Meine Geschichte mag schockieren oder betroffen machen. Auf jeden Fall möchte ich dich zum Nachdenken über deine eigene Geschichte und die Geschichte derer, die dein Leben berühren, anregen. Ich bin überzeugt davon, dass wir alle Kontakt zu missbrauchten Kindern haben. Sei dies in unserer eigenen Familie, zu Mitschülern unserer Kinder, zu Nachbarn oder Bekannten. Denke immer daran, dass die Opfer meist schweigen: aus Scham und aus Furcht.
Wo immer du eine Intuition hast, ist diese oft nicht so absurd, wie du vielleicht annimmst. Gemeinsam haben wir die Verantwortung einzugreifen, junges Leben zu schützen um jeden Preis. Mein leiblicher Vater fragte mich einmal: „Als du 13 Jahre alt warst, da war doch was mit dir, hat dein Adoptivvater dir was angetan?“ Seine Frage kam Jahrzehnte zu spät.
Mögen unsere gemeinsamen Überlegungen dazu führen, dass Menschen in unserem Umfeld vor solchen Erfahrungen bewahrt bleiben, und mögen wir daraus lernen, mit unserer eigenen Geschichte des Missbrauchs zu leben.
Glaube mir, du bist nicht allein. Viele Menschen durchleben die immer wiederkehrenden Gedanken an früheren Missbrauch, genau wie du. Wir können unsere Traumata nicht ungeschehen machen, niemand kann wiedergutmachen, was an uns geschehen ist. Unsere Rachegelüste werden wir wohl niemals zu stillen in der Lage sein. Dies wäre auch nicht der Sinn, denn hiermit würden wir uns auf das Niveau des Täters hinabbegeben und seine Verhaltensweisen fortentwickeln. Dies kann und darf nicht das Ziel sein, das wir verfolgen. Vielmehr sollten wir unsere Kräfte bündeln, unsere Verbundenheit untereinander ausbauen, uns in unserer Verletzlichkeit und Schwäche gegenseitig stützen, bis sie zur Kraft wird, die unsere Gesellschaft zwingt, unsere Anwesenheit nicht mehr zu verleugnen.
Projekte, die Heilung fördern, müssen unterstützt werden. Doch selbst die ersten Anlaufstellen, wie beispielsweise Mädchenhäuser werden geschlossen, weil angeblich das Geld fehlt. Ich denke, das Geld ist nicht das Problem. Unser Staat hat einen gesunden Haushalt, es ist eine Frage der Gewichtung. Was ist letztlich wichtiger: neue Straßen zu bauen, Abwrackprämien zu zahlen, die Diäten zu erhöhen oder Kindern die Möglichkeit zu geben einen Ort zu finden, der ihnen Zuflucht bietet?
Meine Krankenkasse zahlt mir einhundert Stunden Therapie und ich bin sehr dankbar hierfür. Doch sage mir: Was sind hundert Stunden, um die Erfahrung von 18 Jahren Gewalt und Missbrauch aufzuarbeiten? Es reicht nicht aus.
Heute bin ich 42 Jahre alt und kämpfe noch immer um Heilung. Mit 19 Jahren habe ich damit begonnen, es gab viele Fortschritte und viele Rückfälle. Alles, was ich mir wünsche, ist zu leben, voll und ohne Einschränkung. Doch bis jetzt überlebe ich nur.
Ich kämpfe an gegen physische und psychische Symptome. Sie umfassen ein riesiges Spektrum. Meine Symptome reichen von Schlafstörungen über Ernährungsstörungen, Erstickungsanfällen, Amnesien, Gefühllosigkeit, Schmerzunempfindlichkeit, Fremdheitsgefühle, innerer Leere, Lähmungen, Lethargie, Hörigkeit, kindliches Verhalten bis hin zu selbstzerstörerischen Handlungen. Ich habe den Eindruck, diese Liste könnte ich mühelos verlängern …
Heilung hingegen wird mir nur in kleinen dosierten Fragmenten zuteil. Ich aber will sie umfassend, in jeder Faser meines Lebens. Ich will Erlösung von diesem ungeheuren Schmerz, den ich nicht einmal spüren kann, weil ich ihn komplett von mir abspalte. Genesung ist möglich, davon bin ich überzeugt, jedoch rechne ich damit, dass eine, wie ich es nenne, Immunschwäche bleibt. Ich suche nach Heilung, heil werden in einem umfassenden Sinn: in der Beziehung zu mir selbst, zu meinem Körper, zu meiner Seele, in zwischenmenschlichen Beziehungen, ja auch Heilung meiner Spiritualität. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass der Missbrauch mich geradezu von der göttlichen Energie trennt, weil mein grundsätzliches Misstrauen jeden Gedanken an Vertrauen zerstört. Ohne ein grundsätzliches Vertrauen in die göttliche Energie aber erscheint mir Heilung nicht möglich. Ja, ich glaube sogar, dass diese letzten Endes ein Geschenk ist. Alles, was ich unternehme, um meine Gesundung zu fördern, ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Im Grunde ist es Dialektik: Ich kämpfe darum und weiß doch, es ist ein Geschenk; ohne mein Ringen um Heil könnte ich den Boden nicht bereiten, auf dem das Geschenk der Gesundung möglich wird.
Wer jemals Kinder missbraucht hat, der muss zur Rechenschaft gezogen werden. Das muss von der Gesellschaft als moralische Richtschnur anerkannt werden, um zukünftige Gewaltverbrechen an Kindern, Jugendlichen und Frauen möglichst auszuschließen. Wir haben erfahren, was es bedeutet, ein Opfer zu sein. Wir sind die Einzigen, die unsere Gesellschaft dahingehend sensibilisieren können, diese Straftaten wahrzunehmen und gesetzlich schärfer zu verfolgen.
Richtig ist, dass viele Täter auch Opfer waren. Die Statistiken geben Zahlen bekannt, die diese Wahrheit eindeutig belegen. Dennoch wird ein Opfer nicht notwendigerweise zum Täter. Was war zuerst: die Henne oder das Ei? Der rechte Ansatz kann nicht in der Auflösung dieser Frage bestehen. Es ist eine Milchmädchenrechnung zu behaupten, dass jemand schuldunfähig wird durch die Gewalt, die er selbst erfahren musste. Dass wäre ja ein Freifahrtschein für mich persönlich, alle Männer zu ermorden oder sie zu quälen, bis sie um meine Verzeihung winseln. Die Wahrheit ist, dass ich zu jedem Zeitpunkt meines Lebens sehr wohl wusste, was richtig und was falsch ist. Und Gewalt ist niemals gerecht.
Ebenso halte ich es für einen Trugschluss zu behaupten, dass der Einfluss von Alkohol die Schuldfähigkeit mindert. Im Gegenteil, gerade dann sollte sie verschärft werden. Die Ausrede: „Entschuldige, denn ich wusste nicht, was ich tat“, habe ich zur Genüge von meinem Adoptivvater gehört. Wie kann er sich für etwas entschuldigen, was er nicht zu wissen vorgibt? Er war sehr wohl in der Lage, seine innere Stimme wahrzunehmen und eindeutig zu bemerken, dass seine Taten himmelschreiendes Unrecht waren. Und selbst wenn er betrunken war: Etwas muss er bemerkt haben, sonst hätte er sich nicht entschuldigt. Seine Konsequenz hätte dann völliger Alkoholverzicht sein müssen, damit das nicht wieder passiert. Doch er zog es vor, nach den Gesetzen seiner Triebbefriedigung zu leben anstatt nach den moralischen Gesetzen, die jeder Mensch in sich angelegt findet.
Von Wölfen und ihren naturgegebenen Instinkten können wir als Gesellschaft viel lernen. Gerade in Bezug zu ihrem Rudel und ihren Jungen haben sie im Laufe der Jahrtausende ein Verhalten entwickelt, dem menschliche Kommunen noch einiges abgewinnen können. Alle an einem Rudel Beteiligten sorgen füreinander, insbesondere für die Schutzbedürftigen. An der Aufzucht der Jungen sind ebenso alle beteiligt, Onkel, Tanten und ältere Geschwister lehren die Jungen, zeigen ihnen Grenzen auf und spielen mit ihnen. Vorhandene Konflikte werden offen ausgetragen, und zwar in dem Moment, in dem sie bewältigt werden müssen, sozusagen ohne Verzögerung und Aufschub. Vor allem aber folgen sie ihrer inneren Stimme, ihrem Instinkt, und handeln indes oft menschlicher als der Mensch.
Die öffentliche Meinung scheut sich nicht, uns dazu aufzufordern, Mitleid mit den Tätern zu haben und ihnen ihre Vergehen zu verzeihen. Welch lästernder Hohn!
Und was tun wir? Wir nehmen uns derartige Aufforderungen auch noch zu Herzen und handeln womöglich danach. Schließlich wurden wir von unserem Peiniger ausgiebig abgerichtet, jeder Form von Autorität mit Gehorsam und Unterwürfigkeit zu begegnen. Genau dies aber bedeutet, in der Opferrolle zu verhaften.
Unter Todesdrohungen wurde uns das Schweigen oktroyiert, als Kind und junge Frau hat mich diese Drohung das Fürchten gelehrt. Heute aber werfe ich zurück: Deine Taten haben mich das Kämpfen gelehrt, mich zu einer Persönlichkeit geformt, die sich durch den Tod nicht mehr beeindrucken lässt, denn den Tod habe ich hinter mir gelassen. Meinen Willen brichst du nicht mehr und deiner Aufforderung zu schweigen leiste ich keine Folge mehr. Mein Schweigen hat dich mächtig gemacht. Diese Macht nehme ich dir nun!
Vergebung ist sicher eine der schwierigsten Stationen auf dem Weg der Heilung, aber sie muss in einem umfassenden Kontext erarbeitet werden und kann keine vorschnelle Lösung sein. An diesem Punkt spreche ich aus persönlicher Erfahrung. Bevor ich in der Tiefe meines Seins Vergebung schenken kann, müssen Schmerz, Wut und Trauer angeschaut und verarbeitet werden. Wut, die ich nie fühlen konnte, weil ich sie um des Überlebens willen nicht ausleben durfte, darf ich jetzt zulassen. Ich muss sie aus mir heraus schreien, sie wahrnehmen und durchleben.
Den sinnbildlichen Tod meiner Seelenanteile betrauern, bevor ich Leben neu gestalten kann. Vergebung wird für mich am Ende dieser Prozesse der Seelenarbeit stehen. Ja, Vergebung ist eines der Ziele, die ich erreichen will, um inneren Frieden zu finden und weiterzuschenken. Vergessen hingegen werde ich niemals.
Wir bilden eine große Gemeinschaft von Frauen und Männern, die durch die sinnbildliche Hölle gingen und ohne dass die Täter das wollten, haben sie uns hierdurch die Stärke geschenkt, nicht in Verletzung und Zorn stecken zu bleiben, sondern unsere machtvollen Energien dem Leben zu widmen.
Es ist eine Notwendigkeit, zukünftige Opfer zu schützen und uns in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Außerstande, die Vergangenheit zu verändern, müssen wir die Zukunft beeinflussen.
Lasst uns das Schweigen brechen!
Ich möchte besonders darauf aufmerksam machen, dass ich die geschriebenen Inhalte nicht fühlen kann oder sie nur ansatzweise spüre. Meine Gefühle für den wissentlichen Bereich sind abgespalten von meiner Wahrnehmung, daher bitte ich dich, feinfühlig mit deinem eigenen Innern zu sein, während du diesen Bericht liest. Viele Aspekte meiner Geschichte sind stark traumatisiert, und ich möchte keine seelischen Erschütterungen in dir wach rufen oder erinnern. Im Zweifelsfall bitte ich dich, darum lieber nicht zu lesen.
Alle vorkommenden Namen und Orte sind geändert.
Ende der achtziger Jahre kam ich erstmals durch meinen Beruf als Ärztin in persönlichen Kontakt mit erwachsenen Opfern von sexualisierter Gewalt in der Kindheit. Meine Reaktion damals war zunächst ungläubiges Entsetzen, nicht fassen und nicht glauben können, was erwachsene Menschen Kindern antun. Heute und rückblickend sehe ich meine erste Reaktion als eine typische Reaktion all derer an, die zwar über Medien und eventuell Fachliteratur von diesen Gewalthandlungen an Kindern wissen, es aber gefühlsmäßig nicht nachvollziehen können. Im Laufe der Jahre begriff ich, dass die Berichte der Betroffenen, also all das was überhaupt in Worten ausgedrückt werden konnte, lediglich die Spitze eines Eisberges ist, dass das meiste und schlimmste aber keine Sprache finden kann, weil es die Opfer überwältigen würde. So bleibt für Nichtbetroffene das Leid der Opfer abstrakt und die Motive der Täter unverständlich. Dies ist die fatale Kombination aus Nicht- Verstehen und Nicht-Wahrhaben-Wollen, was diese Straftaten aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. So kann geschehen, dass quasi vor aller Augen den Schwächsten und Schutzbedürftigsten unserer Gesellschaft, den Kindern, weiter schlimmste Gewalt angetan wird. Mittlerweile geschieht es nicht mehr nur im Dunklen und Verborgenen, sondern mit Wissen und Wegsehen, aus einer emotionalen Unbeteiligtheit heraus.
Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Buch ein ebenso außerordentliches wie wichtiges und authentisches Dokument.
Die Autorin beschreibt ihre Geschichte in ein- und nachfühlsamen Worten, ohne falsche Schonung und mit mutiger, unsentimentaler Offenheit, um den Leser, der Leserin, Einblick zu gewähren in die dunkelsten Geheimnisse ihrer Biografie, um Betroffenen Mut und Hoffnung zu geben und Nichtbetroffenen Antworten auf ihre Fragen.
Es ist ein beunruhigendes, erschütterndes und aufrüttelndes Buch, aber vor allem ein bereicherndes Buch und es verdient Respekt und Beachtung.

Ursula Klär-Beinker,
Fachärztin für Psychosomatische Medizin

Dieses Buch erzählt über ein großes, immerfort begleitendes Thema der Menschheit: Opfer – Täter.
Diese Verstrickung erleben wir im Kleinen wie im Großen. Oft auf so grausame Weise, dass wir manches davon lieber nicht sehen, lieber nicht wahrhaben und schon gar nicht fühlen möchten. Lieber nicht fühlen! – So geht es mir beim Lesen dieses Buches.
Ich bin seit langer Zeit auf meinem Heilungsweg unterwegs und habe viele Stationen bewältigt. Dennoch fällt es nicht leicht, mich auf der Gefühlsebene auf diese traumatische Kind- und Jugendzeit einzulassen. Wie muss es Terry ergangen sein, die ihre Seele in 11 unabhängig voneinander getrennte Persönlichkeiten spalten musste, um zu überleben?
Unsere Seelen sind auf natürliche Weise heil, ganz, strahlend – kurz: göttlicher Natur. Warum also brauchen wir diese Erfahrungen? Was bringen sie uns? Jenseits des verbal Erklärbaren können wir Antworten finden, die für jeden individuell sind.
Bin ich bereit, für mich Verantwortung zu übernehmen und aus der Opferrolle auszusteigen? Bin ich mutig genug, nicht über die Aspekte hinwegzusehen, die ich vom Täter übernahm, in denen ich Täter bin? Damit beginnt meines Erachtens erst der wirkliche Heilungsweg. Diese Entscheidung, aus der tiefsten Seele getroffen, berührt alle Facetten, Zellen und Ebenen unseres Seins. Es ist ein mutiger, schmerzhafter, unbequemer und langer Prozess, der sich sehr lohnt. Nichts ist so wunderbar wie wirkliche Heilung und das Wissen darum, dass sie immer, egal aus welcher Verletzung entstanden, geschehen kann, ja, unweigerlich geschehen wird.
Heil zu werden liegt allein an und vor allem in uns. Der Weg dahin ist so einzigartig wie unser Fingerabdruck. Haben wir die Entscheidung getroffen, von unserer Vergangenheit zu gesunden, begegnen uns fast automatisch Wegbegleiter und Helfer. Auf dem Weg der Heilung ist Bereitschaft und Offenheit zunächst einmal alles, was wir benötigen.
Dieses Buch macht Mut, sich auf den Weg zu begeben. Ich finde es einzigartig in seiner Tiefe der Auseinandersetzung mit der schwer traumatisierten Vergangenheit, der Opfer- und Täterschaft und der Wanderschaft der Heilung. Terry lässt sich auf die scheinbar unlösbare Aufgabe ein: Wie kann ich mich und andere wahrhaftig lieben, wenn ich von meinen Eltern anstatt Liebe fast ausschließlich Gewalt und Erniedrigung erlebt habe? Mir fällt dazu ein Zitat aus dem Buch „Telos“, von Aurelia Louise Jones (R. Lippert Verlag, 2004, Seite122) ein: „Niemand kann euch mehr lieben, als ihr euch selbst lieben könnt. Noch könnt ihr jemals einen anderen Menschen im Sinne wahrer Liebe mehr lieben, als ihr euch selbst lieben könnt. Wann immer ihr jemanden sucht, der euch die Liebe geben soll, die ihr nicht willens seid, euch selbst zu geben, erschafft ihr Bedürftigkeit.“
Terry widmet sich dem Thema Selbstliebe und vollbringt Großes für sich im Kleinen, das wegweisend für viele Suchende ist.
Meine Hochachtung und innige Freundschaft gilt Sylvia, Magdalena, Dailing, Jessy, Mo, Nana Baket, Hanni, Killer, Phainomena, Jonathan und dem kleinen Mädchen. Ihr habt euch mir gezeigt in tiefem Schmerz und lebendiger Freude. An eurem großen Wissen, euren wunderbaren Talenten lasst ihr mich so großzügig teilhaben. Ich weiß, was das für euch bedeutet, welches Wagnis ihr eingeht. Ich danke von Herzen für euer Vertrauen und eure Freundschaft; euch allen, die ihr in Terry mehr und mehr euer Zuhause findet und eins werdet.
Möge sich die große Symphonie der Heilung und des Eins-Seins in Euch – in Dir, Terry, immer spürbarer manifestieren und in jedem, der ihr lauschen möchte.
Andrea Tillack

Diese Produkte könnten Sie auch interessieren:

Checkpoint Charlie - 2 x Täglich
Checkpoint Charlie - 2 x Täglich
von: Miriam van Mellen
EPUB ebook
9,99 €
Die Schafe im Wolfspelz
Die Schafe im Wolfspelz
von: Felix Winter
EPUB ebook
17,99 €
Zeitreise nach Hermannstadt
Zeitreise nach Hermannstadt
von: Robert Peter Binder
EPUB ebook
5,99 €